Rosenheim/München – Tobias Münzenhofer ist staatlich anerkannter Altenpfleger und Fachpfleger für Gerontopsychiatrie. Außerdem ist er der Inhaber von Lichtblicke Demenzstrategie, einer Bildungsstätte, die Fortbildungen und Unterstützung für gerontopsychiatrische Einrichtungen anbietet. Im Rahmen der sechsten Bayerischen Demenzwoche gibt Münzenhofer morgen, Dienstag, einen Vortrag zu „Demenz verstehen, den Weg gemeinsam gehen!“ in Rosenheim. Vorab erklärt er im OVB-Interview, was eine Demenzerkrankung ist, wer dafür besonders anfällig ist und welche ersten Anzeichen es gibt.
Was ist Demenz?
Demenz ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, bei denen die Nervenzellen im Gehirn nach und nach absterben. Es gibt ungefähr 100 verschiedene Demenzformen, wobei Alzheimer am häufigsten auftritt. Dieses Absterben von Nervenzellen führt zu einer Störung des Gedächtnisses, der Orientierung, der Sprache und der Persönlichkeit.
Wie verläuft eine Demenzerkrankung?
Es gibt ein leichtes, mittleres und schweres Stadium. Beim leichten Stadium sind komplexere Alltagsaktivitäten für die Betroffenen schwierig und neue Informationen können kaum noch gespeichert werden. Die Menschen können nicht mehr wirklich dazu lernen. Sie können sich zwar an vertrauten Orten noch zurechtfinden, aber an fremden Orten wird es ganz schwierig. Das Verhalten verändert sich. Oft sind Betroffene ängstlich, leiden an Depressionen oder Aggressionen.
Wie verändert sich das?
Im mittleren Stadium erkennen die Betroffenen dann bekannte Personen nicht mehr wieder, bringen Vergangenheit und Gegenwart durcheinander und brauchen umfassende Hilfe. Halluzinationen und Wahnvorstellungen können auch auftreten. Und das Krankheitsgefühl geht verloren. Im letzten Stadium leben die Betroffenen dann zunehmend zurückgezogen, sind apathisch, bettlägerig und haben Schluckstörungen. Die häufigste Todesursache ist die Lungenentzündung.
Was ist der Unterschied zwischen Demenz und Alzheimer?
Alzheimer ist nur eine Form von Demenz. Die Wissenschaft kann sich die Alzheimer-Demenz noch nicht wirklich gut erklären. Der Unterschied von Alzheimer zu anderen Demenzformen sind die Eiweißablagerungen im Gehirn. Dadurch funktionieren die Synapsen und Neuronen nicht mehr. Unser Gehirn kann Bereiche, die nicht mehr gut funktionieren, aber kompensieren. Das nennt man Neuroplastizität.
Wer ist besonders anfällig für eine Demenz?
Jeder Dritte ab dem 90. Lebensjahr wird eine Demenzerkrankung haben, so lautet die Statistik. Genetische Faktoren spielen natürlich eine Rolle, aber mehr noch die Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hohes Cholesterin, Alkohol, Rauchen und Übergewicht. Bildung hat auch damit zu tun. Jemand, der gebildeter ist, kann sich einen besseren Lebensstil leisten. Bessere Ernährung oder Möglichkeiten und Sport.
Aber ist es nicht auch so, dass Menschen, die sehr einsam sind oder die Depressionen haben, ein bisschen anfälliger für Demenz sind?
Rund ein Drittel bis zwei Fünftel aller Menschen mit einer Demenz sind depressiv. Demenz tritt pathologisch schon viel früher auf als die Depression. Wenn man merkt, dass man Defizite hat und man nicht mehr so kann, wie man möchte, dann macht es was mit einem. Es gibt auch die sogenannte Pseudodemenz, die gar keine Demenz ist, sondern eine Depression. Wenn man eine Depression nicht behandelt, können ähnliche Symptome auftreten, wie bei Demenz.
Können auch Menschen unter 90 Jahren an Demenz erkranken?
Ja, natürlich. In Deutschland sind 1,84 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Ab 90 steigt die Kurve rapide an. Aber es gibt auch Demenzformen, die früher auftreten als Alzheimer, zum Beispiel die Frontotemporale Demenz. Da ist, wie der Name sagt, der frontotemporale Lappen, also die Bereiche im Gehirn an der Stirn und den Schläfen, betroffen. Die sind dafür zuständig, dass wir unsere Emotionen kontrollieren können und für unser Sozialverhalten. Wenn das wegbricht, verändert sich die Persönlichkeit extrem und meist nicht zum Guten. Enthemmung und Impulsivität können bis hin zu Aggression auftreten – müssen aber nicht regelhaft vorkommen. Es gibt auch seltene Demenzerkrankungen, die speziell Kinder betreffen.
Was sind die ersten Anzeichen einer Demenz?
Zeitliche, örtliche, situative und persönliche Desorientierung. Das ist nicht nur, dass man mal was vergisst. Da muss man unterscheiden zwischen dem normalen Altern, einem milden kognitiven Defizit, was praktisch dazwischen ist, und Demenz. Bei einer Demenz schafft es eine erkrankte Person nicht mehr, komplexere Alltagsaufgaben ohne Hilfe zu bewältigen.
Wann spricht man von Demenz?
Für eine Diagnose muss dieser Zustand über sechs Monate andauern. Die Menschen, die an Demenz erkrankt sind, können aber recht lange eine Fassade wahren. Oft kommt das dann erst durch ein Delir auf, das bei alten Menschen einfach recht leicht auftritt, zum Beispiel schon durch eine Erkältung. Und dann werden sie irgendwo in einem Zustand der Verwirrung gefunden und ins Krankenhaus gebracht und dort bricht ihre Fassade dann zusammen.
Wie kann man Demenz vorbeugen?
Wenn man die Risikofaktoren, also Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Cholesterin, Bluthochdruck, Diabetes, Alkohol, in den Griff bekommt, dann kann man die Gefahr, an einer vaskulären Demenz zu erkranken, deutlich reduzieren. Eine vaskuläre Demenz kommt auch sehr häufig vor, auch in Kombination mit Alzheimer. Sie entsteht durch Durchblutungsstörungen im Gehirn. Ein gutes Sozialleben, gesunde Ernährung und Sport können das Risiko auch reduzieren, aber es sind auch keine Zaubermittel.
Wie sieht es mit Gedächtnistraining aus?
Damit kann man die Erkrankung leider nicht aufhalten.
Wie viel bekommen die Betroffenen von ihrer Erkrankung mit?
Das ist eine gute Frage. Sie bekommen anfangs schon mit, dass sie nicht mehr können wie früher. Sie können irgendwann nicht mehr reflektieren.
Man hört häufig, dass Demenzkranke, die im Endstadium sind, sich zum Kleinkind zurück entwickeln.
Umgangssprachlich höre ich das auch immer. Gut, dass sie es ansprechen. Demenzkranke leben im Hier und Jetzt. Im Umgang mit Menschen mit Demenz müssen wir ihnen genau dort begegnen, im Hier und Jetzt. Dann können wir sie sehr gut begleiten. Man muss sich da ein bisschen eindenken, was jetzt genau das Bedürfnis des Demenzkranken ist. Wenn er nach Hause will, dann meint er nicht das Haus, sondern die Emotion, die dahintersteckt. Sicherheit und Geborgenheit. Das will er. Kein Mensch mit Demenz, der sich im Hier und Jetzt sicher und geborgen fühlt, würde sein Zuhause suchen. Warum reden und behandeln wir Demenzkranke so, als ob sie kleine Kinder wären? Das hat mit diesem Empowerment nichts zu tun.
Wie sollen Angehörige damit umgehen?
Für Angehörige ist es schwierig, da distanziert zu bleiben, weil man eigene Gefühle, Hoffnungen, Erwartungen und Verletzungen hat. Und es ist genauso wichtig, dass es den pflegenden Angehörigen gut geht, wie es wichtig ist, dass es dem Demenzkranken gut geht. Dem Betroffenen geht es besser, wenn es den Angehörigen gut geht. Deshalb ist es so wichtig, dass sie Hilfe annehmen. Meistens gehen die Angehörigen weit über ihr Limit hinaus. 75 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt. Angehörige erkundigen sich erst bei Pflegeheimen, wenn sie schon völlig durch sind. Soweit muss es aber nicht kommen. Ein gutes Pflegeheim begleitet auch diese Umstellung und Eingewöhnung. Mittlerweile weiß man, dass Angehörigenarbeit genauso wichtig ist.
Gibt es Heilung?
Leider noch nicht. Aber es gibt so viele schöne Momente, die man mit Demenzkranken hat. Das möchte ich nicht so schwarz stehen lassen. Man kann sie auch ohne Medikamente in vielen Situationen sehr gut begleiten. In frühen Alzheimer-Stadien können neue Therapien die Verschlechterung moderat verlangsamen – sie sind jedoch keine Heilung und müssen individuell abgewogen werden.
Interview: Hannah Mayer