„Die meisten Mörder sind freundlich“

von Redaktion

Rosenheim – „Tatort“-Schauspieler und Gefängnisarzt Joe Bausch kommt für eine Lesung nach Rosenheim. Vorab spricht er im OVB-Exklusivinterview über seine Arbeit in der Justizvollzugsanstalt Werl, sexuellen Missbrauch und darüber, warum Menschen böse werden.

Im Ruhestand lassen es viele Menschen eher ruhiger angehen. Für Sie keine Option?

Ein ruhiges Leben, ganz ohne Termine, wäre nichts für mich. Das Wort Urlaub sorgt bei mir schon für Schweißausbrüche. Acht Tage lang am Meer zu verbringen und am Strand zu liegen, wäre für mich eine Strafe (lacht).

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Stattdessen haben Sie ein neues Buch geschrieben, mit dem Sie jetzt durch Deutschland touren. Sie sind Autor und Schauspieler und haben lange Zeit als Arzt in einem Hochsicherheitsgefängnis gearbeitet. Dabei sollten Sie eigentlich den Hof ihres Vaters übernehmen.

Statt Bauer oder Priester zu werden, habe ich Theaterwissenschaften, Germanistik, Politik und Medizin studiert. Auf der Bühne stehen wollte ich eigentlich gar nicht. Ich war mehr daran interessiert, den Schauspielern Anweisungen zu geben, was sie zu tun haben (lacht). Irgendwie bin ich dann aber doch auf der Bühne gelandet. Das habe ich dann so lange gemacht, bis es aufgrund meines Berufs nicht mehr möglich war.

Der Zeit wegen?

Genau, ich konnte nicht tagsüber im Krankenhaus arbeiten und am Abend bei Proben und Auftritten sein. Ich habe es probiert, aber es ging einfach nicht. Stattdessen habe ich angefangen, Fernsehen zu machen. Das ging gut nebenbei – und dann habe ich den Job im Knast angenommen.

32 Jahre lang haben Sie in der Justizvollzugsanstalt Werl gearbeitet. Es ist ein Gefängnis mit mehr als 1000 Männern, viele sind Mörder, Vergewaltiger und Geiselnehmer.

Ich habe schnell gemerkt, dass ich das gut hinbekomme und mir auch den nötigen Respekt verschaffen kann. Ich komme auch mit der schwierigsten Klientel klar. Und aufgrund meiner Biografie habe ich ohnehin ein Faible für Menschen, die gescheitert sind und sich in schwierigen Situationen in ihrem Leben befinden.

Aber natürlich muss man diese Art von Beruf mögen, sonst hält man das nicht aus.

Ihre Patienten haben andere Menschen umgebracht oder gequält.

Weit über die Hälfte meiner Patienten hat entsetzliche Straftaten begangen. Wenn man sich die Akten durchliest, stockt einem der Atem. Aber ich kann das nun einmal nicht ändern. Meine Pflicht als Arzt war es, meinen Patienten zu helfen. Auch wenn es sich dabei um schwierige Charaktere gehandelt hat.

In einem Interview haben Sie gesagt, dass die schlimmsten Verbrecher aussahen wie die friedlichsten Familienväter.

Ja. Manchmal hört man von ganz monströsen Taten. Dann geht die Tür auf und ein netter, junger Mann kommt rein. Da hab ich mir schon des Öfteren die Frage gestellt, von wem er während der Tat besetzt war.

1992 hat die Geiselnahme in Werl die Menschen in ganz Deutschland bewegt. Zwei Häftlinge nahmen auf der Krankenstation Mitarbeiter als Geiseln, um sich freizupressen. Zwei von ihnen übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Sie überlebten schwer verletzt. Ein Spezialeinsatzkommando beendete alles nach 13 Stunden.

Ich war an dem Tag im Juni 1992 nicht in Werl, ich stand in Fröndenberg im Justizkrankenhaus im OP, als es losging. Aber: Und ich musste die Täter im Anschluss behandeln. Am Nachmittag war ich bei meinen Kollegen im Krankenhaus, am nächsten Tag habe ich mich um die Täter gekümmert. Und ich gebe zu, da war ich schon sehr kurz angebunden. Aber ich habe gesehen, dass ich auch so etwas aushalte.

Also gab es nie Momente, an denen es Ihnen zu viel wurde?

Nein, nie. Wäre ich an einen solchen Punkt gekommen, dann hätte ich meinen Beruf nicht weiter ausgeübt. Ich hatte nie Angst oder habe mich unwohl gefühlt. Ich glaube aber auch, dass mir die Tatsache, dass ich nebenbei Bücher geschrieben und geschauspielert habe, bei der Verarbeitung bestimmter Ereignisse geholfen hat. Den Bausch im Gefängnis hätte es ohne den Bausch vor der Kamera nicht so lange gegeben.

Haben die Insassen Sie auf ihre Rollen im „Tatort“ angesprochen?

Ja klar. Sie haben auch meine Bücher gelesen. Mir war es wichtig, was meine Kollegen, aber auch meine Patienten dazu sagen. Ein Großteil fand es toll, dass sie einen berühmten Arzt haben (lacht). Einige haben mich auch beschimpft und gesagt, ich soll lieber nach Hollywood gehen. Meine Patienten fanden es übrigens auch immer lustig, wenn ich mal wieder einen Serienmörder gespielt habe.

Und das war tatsächlich ziemlich oft der Fall.

Wenn man so aussieht, wie ich, ist man eher der Kandidat für Mord und Totschlag. Meine Rolle als Dr. Joseph Roth im Kölner ‚Tatort‘ ist meine einzige seriöse Rolle. Deshalb hänge ich da auch schon sehr lange dran. Ich habe jetzt erst meine 97. Folge gedreht.

Sie beschäftigen sich auch sehr viel True Crime. Woher kommt die Faszination?

Mich fasziniert nicht das Verbrechen, sondern vielmehr die Frage, was einen Menschen böse macht. Liegt es an der Genetik, falschen Freunden, hirnorganischen Veränderungen? Und natürlich habe ich mir auch sehr oft die Frage gestellt, warum ich nicht böse geworden bin. Warum bin ich also auf der richtigen Seite des Schreibtischs eines Hochsicherheitsgefängnisses gelandet?

Antworten auf diese Frage liefert ihr neues Buch. In diesem teilen Sie sehr viele persönliche Details aus ihrem Leben.

Ja, das war einer meiner Wünsche. Ich habe viele fremde Charaktere auf der Bühne gespielt, habe Menschen behandelt und in deren Leben gewühlt. Es war einfach an der Zeit für mein Leben.

Warum sind Sie nicht böse geworden?

Mir wurde schon sehr früh, viel Verantwortung übertragen. Das ging auf einem Bauernhof gar nicht anders. Aber gleichzeitig mache ich auch kein Geheimnis daraus, dass ich mich mit Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch auskenne.

Ihr Pflegebruder hat Sie sexuell missbraucht.

Er war zehn Jahre älter als ich, und es hat angefangen, als ich vier Jahre alt war. Auch darüber spreche ich in meinem Buch. Natürlich kenne ich die Regel, dass man niemals die Hintertür öffnen soll. Aber ich bin 72 Jahre alt, wovor soll ich noch Angst haben. Ich wollte dort hingehen, wo es weh tut. Es ist wichtig, über Dinge wie sexuellen Missbrauch zu sprechen. Eben, weil es fast immer aus dem nahen Umfeld kommt. Es sollte kein Tabuthema sein.

Wie geht es nach der Lesereise für Sie weiter?

Vielleicht mit dem nächsten Buch. Es gibt noch so viele Fälle, über die ich nicht erzählt habe. Natürlich fiktionalisiert.

Interview: Anne Heise

Joe Bausch liest und talkt

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