Wenn das Leben vor der Geburt endet

von Redaktion

Wenn das eigene Kind stirbt, bricht für Eltern eine Welt zusammen. Mehrere Betroffene erzählen in einer Ausstellung in der Heilig-Geist-Kirche jetzt, wie sie mit dem schmerzlichen Verlust umgehen. Über einen Anfang, der auch das Ende ist.

Rosenheim – Weihnachten ist für Silvia (63) die schlimmste Zeit. Ihr Sohn Andreas ist am 1. April 1974 kurz nach der Geburt gestorben. Abgenommen hat der Schmerz über die Jahre nicht. Im Gegenteil. „Ich denke jeden Tag an ihn. Je älter ich werde, desto intensiver wird das Vermissen“, sagt sie.

Stillgeburt in
der 38. Woche

Auch Heiko (31) hat das Unbegreifliche erlebt. Sein Sohn Jonah kam in der 38. Schwangerschaftswoche als Stillgeburt zur Welt. „Es war ein Schock und ist es heute auch noch“, sagt er. Schwierig sei für ihn gewesen, wenn ihn Freunde und Bekannte nach seinem Befinden fragten. „Viele Menschen wollen die ehrliche Antwort einfach nicht hören“, sagt er.

Auch Alexandra (44) hat ihr Kind verloren. „Ich dachte, eine frühe Fehlgeburt hat noch keine Berechtigung zur Trauer. Deshalb habe ich mich nicht getraut, zu trauern“, sagt sie. Nach vielen Jahren habe sie sich endlich erlaubt, den Verlust zu spüren.

Jede dritte Frau erlebt eine Fehlgeburt

Drei von unzähligen Beispielen. „Fast jede dritte Frau in Deutschland hat eine Fehlgeburt erlebt“, sagt Susanne Mittermair-Johnson. Sie leitet die Rosenheimer Beratungsstelle „Donum Vitae“, hat häufig mit Frauen zu tun, die ihr Kind während der Schwangerschaft, bei oder kurz nach der Geburt verloren haben.

Sie erzählt von einer jungen Mutter, die vor einigen Tagen zu ihr gekommen ist. Eigentlich wollten die beiden über das Thema Elterngeld sprechen. Am Ende unterhielten sie sich 30 Minuten lang über das Thema Verlust. „Sie hat mir erzählt, dass ihr Kind kurz nach der Geburt an einem Herzfehler gestorben ist“, sagt Mittermair-Johnson.

Die große Angst, dass es wieder passiert

Es komme häufig vor, dass schwangere Frauen zu ihr kommen, die bereits ein Kind verloren haben. „Viele sorgen sich, dass es wieder passieren könnte“, ergänzt Andrea Hermann. Auch sie ist bei der Beratungsstelle tätig. Sowohl Hermann als auch Mittermair-Johnson wissen, dass sich Eltern nach Fehlgeburten oft alleine gelassen fühlen.

„Es ist nach wie vor ein Tabuthema und etwas, das viel im Privaten abgehandelt wird“, sagt sie. Warum das so ist, kann die Leiterin der Beratungsstelle nur vermuten. „Generell wird nicht viel über den Tod gesprochen, bei Kindern ist es dann nochmal eine andere Situation“, sagt sie. Das unterstreicht auch Andrea Hermann. „Die Reihenfolge des Todes stimmt nicht. Wenn der Opa stirbt, kommt man damit klar. Wenn das ungeborene Kind stirbt, sind viele überfordert“, sagt sie.

Viele Eltern hätten zudem Angst vor den Reaktionen. So seien Bemerkungen wie „Das wird schon wieder“ oder „Du bist noch jung, du kannst ja nochmal schwanger werden“, häufig der Fall. Das schrecke viele ab, über das Thema zu sprechen. Hinzu kommt, dass viele Eltern andere mit ihrer Trauer nicht belasten wollen.

Doch nicht nur in der Gesellschaft wird das Thema tabuisiert. Auch in der Politik hat man sich lange Zeit nicht mit Fehlgeburten und deren Folgen auseinandergesetzt. Das hat sich mittlerweile zumindest in Teilen geändert, auch dank Natascha Sargorski. Die junge Frau aus Unterföhring hat 2019 ihr ungeborenes Kind verloren. In der zehnten Woche der Schwangerschaft konnte der Gynäkologe keinen Herzschlag mehr beim Embryo feststellen. So geht es aus mehreren Zeitungsberichten hervor. Operativ wurden ihr Embryo und Gebärmutterschleimhaut entfernt, eine Krankschreibung erhielt sie im Anschluss nicht. Stattdessen wurde sie direkt wieder in den Alltag entlassen. Für Sargorski ein Unding. Sie beginnt zu recherchieren, tauscht sich mit zahlreichen anderen Frauen aus und startet eine Petition. Ihre Forderung: Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, sollen bessere Unterstützung erhalten.

Bundestag ändert
die Gesetzeslage

Denn bisher stand Frauen beispielsweise erst dann Mutterschutz zu, wenn sie ihr Kind in der 24. Schwangerschaftswoche oder später verlieren, das Baby schwerer als 500 Gramm ist oder bei der Geburt gelebt hat und dann stirbt. Verliert eine Frau ihr Kind in der 23. Woche, hatte sie keinerlei Anrecht.

Das hat sich mittlerweile geändert. Im Januar verabschiedete der Bundestag ein neues Gesetz zum „gestaffelten Mutterschutz“. Heißt im Umkehrschluss: Mütter, die eine Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche erleiden, haben nun Zeit für Trauer und Heilung. Für Susanne Mittermair-Johnson und ihre Kollegin ein wichtiger Schritt.

Um das Thema noch mehr in die Öffentlichkeit zu bringen, findet in der Zeit von heute, Freitag, bis Dienstag, 30. September, die Ausstellung „Sternenkinder – wenn die Wiege leer bleibt“ in der Heilig-Geist-Kirche statt. „Wir wollen dem Thema einen besonderen Raum geben“, sagt Mittermair-Johnson. Gleichzeitig will sie die Möglichkeit nutzen, Betroffenen zu zeigen, wo es Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung in der Region gibt.

„Wir sind in Rosenheim sehr gut aufgestellt“, sagt Andrea Hermann. Neben einigen Praxen für Pränatalmedizin gebe es auch im Romed-Klinikum in Rosenheim und Wasserburg eine gute Unterstützung. Zudem gibt es die Bethanien Sternenkinder Beratungsstelle Oberland/Inntal, die betroffenen Eltern zur Seite steht und sie beispielsweise auch bei der stillen Geburt oder der Beerdigung begleitet.

Über Urnen und kleine Kindersärge

Seit Tagen sind Mittermair-Johnson und Hermann also in der Heilig-Geist-Straße im Einsatz. Sie haben Plakate aufgestellt und Bücher ausgewählt. In einer Umzugskiste befinden sich noch Urnen und kleine Kindersärge. Auch sie sollen in der Ausstellung ihren Platz finden. „Auch das gehört dazu“, sagt Mittermair-Johnson. Ihre Hoffnung: Das Thema „Fehlgeburten“ aus der Tabuzone holen. „Es ist nichts Individuelles. Es geht uns alle an.“

Dr. Angela Kirschenhofer, Leiterin Pränatale Medizin und Geburtshilfe bei Romed, gibt Antworten

Mehr Informationen zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm

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