Rosenheim – Armin Stiegler, Dirk Langer und Steffen Storandt sind leidenschaftliche Radfahrer. Umso wichtiger ist es ihnen, die Situation in der Stadt zu verbessern. Sie wollen mehr Stellplätze, breitere Radwege und ein besseres Sicherheitsgefühl. Alle Forderungen wurden im Bürgerbegehren „Radentscheid Rosenheim“ zusammengetragen. Einstimmig sprach sich der Stadtrat im März 2020 für diese Ziele aus. Was seitdem alles geschehen ist, erklären die drei Initiatoren im OVB-Exklusivinterview.
Wie ist die Lage?
Langer: Wir sind mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden. Wir haben den Eindruck, dass der Radverkehr immer weniger im Fokus der Politiker steht.
Stiegler: Und dabei wäre es so einfach. Im Bürgerbegehren Radentscheid sind die Ziele ganz klar formuliert. Jetzt ist es nur an der Stadt, aktiv zu werden und die Ziele umzusetzen.
Storandt: Im Bürgerbegehren heißt es übrigens auch, dass die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um diese Ziele zeitnah umzusetzen. Der Stadtrat hat damals mit großer Mehrheit für das Vorhaben gestimmt. Damit ist es verbindlich.
Nun ist es aber auch kein Geheimnis, dass die finanzielle Situation in Rosenheim mehr als angespannt ist.
Stiegler: Uns ist bewusst, dass der Ausbau der großen Hauptverkehrsstraßen wahnsinnig viel Geld und Zeit kosten würde. Statt also neue Radfahrstreifen und Gehwege mit Breiten von 2,50 Metern zu bauen, könnte man auch einfach vorhandene Kfz-Spuren umnutzen. Statt vier Spuren gibt es dann eben nur drei für Autofahrer. Die vierte wird für Radfahrer genutzt.
Storandt: Für Autofahrer werden oft aufwendige Lösungen geschaffen. Zum Beispiel die vierspurige Erneuerung der Mangfallkanalbrücke – ohne die Verkehrsentwicklung durch die Westtangente abzuwarten. Die Baumaßnahme ist absolut im Zeitplan, obwohl sie fast 14 Millionen Euro kostet. Dafür ist Geld da.
Langer: Die Verbesserung des Radverkehrs ist auf der Prioritätenliste ganz unten. Es ist ja nicht so, dass es keine Gelder gegeben hätte.
Was meinen Sie?
Langer: Im Jahr 2021 gab es ein Förderprogramm vom Bund. Im Rahmen dessen wurden Radverkehrsanlagen und andere Maßnahmen für den Radverkehr mit 80 Prozent gefördert. Geld gab es für Planungen, Bau oder den Grunderwerb. Das lief alles sehr unbürokratisch ab. Die Stadt hat leider kein einziges Projekt für dieses Programm angemeldet.
Storandt: Und es ist ja nicht nur unser Eindruck, dass beim Radverkehr noch viel Luft nach oben ist. Das zeigt beispielsweise auch das Ergebnis des ADFC-Fahrradklimatests.
An dem Test haben nur 239 Menschen teilgenommen. Das sind gerade einmal 0,36 Prozent.
Storandt: Woanders ist das ähnlich. Die Umfrage richtet sich ja speziell an die aktiv Radfahrenden und ist deshalb nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. Das ändert auch nichts an der Tatsache, dass das Ergebnis sehr enttäuschend ist: Wir sind im Ranking um mehr als 20 Plätze nach unten gerutscht – im Vergleich zu anderen, ähnlich großen Städten und zu unserem Ergebnis aus dem Jahr 2022.
Was machen andere Städte denn besser als Rosenheim?
Stiegler: Das ist ganz unterschiedlich. Fest steht nun einmal, dass es in Rosenheim – trotz Radentscheid – schlechter läuft als anderswo.
Aber wie kann das sein?
Stiegler: Es scheint hier eine allgemeine Tendenz zu sein: Alles, was einen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnte, hat einen schweren Stand und stößt auf taube Ohren.
Langer: Das große Umdenken ist leider ausgeblieben. Seit ein paar Jahren wurden kaum noch Maßnahmen umgesetzt. Im ganzen vergangenen Jahr waren es gerade einmal zwei.
Welche waren das?
Stiegler: In der Aisinger Straße in Heilig Blut gibt es jetzt einen Radfahrstreifen. Dort wurde Fernwärme verlegt. Da die Straße also aufgerissen werden musste, hat man die Chance direkt genutzt und etwas für die Radfahrer getan. Zudem wurde in der Brückenstraße mehr Platz für Fußgänger geschaffen.
Langer: Es ist super, wenn solche Gelegenheiten genutzt werden. Aber es gibt eben zahlreiche Beispiele, wo genau das nicht passiert ist.
Zum Beispiel?
Langer: Beim Umbau der Brixstraße haben wir vorgeschlagen, gleich von Beginn an überdachte Fahrradstellplätze mit einzuplanen. Man hätte zumindest das Fundament setzen können. Daraus ist leider nichts geworden. Auch in der Kaiserstraße hat man eine Chance verpasst. Hier hätte man unserer Meinung nach durchaus über eine Spurenaufteilung nachdenken können – auch eine Fußgängerzone an dieser Stelle wäre für uns gut vorstellbar gewesen.
Fehlt der Mut?
Stiegler: Ja, vielleicht. Aber auch die Kommunikation. Es wurden hochwertige Konzepte erstellt, beispielsweise für Fahrrad- und Einbahnstraßen. Seitdem liegen sie in der Schublade.
Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, dass sie Rad- und Autofahrer gegeneinander ausspielen.
Stiegler: Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr Radwege gebaut werden, desto mehr wird der Autoverkehr entlastet. Würde es in der Stadt beispielsweise Fahrradstraßen geben, bräuchte es nicht allzu viele Umbauten. Damit würden auch keine Stellplätze wegfallen. Das ist ja immer ein großer Kritikpunkt.
In der Eichfeldstraße entsteht jetzt eine erste Fahrradstraße.
Langer: Das wird nicht viel bringen – und es ist einfach zu wenig.
Was würde Ihrer Meinung nach denn etwas bringen?
Stiegler: Es braucht zusätzliche Fahrradabstellplätze am Bahnhof. Auf der Südseite fehlt noch eine Überdachung der Stellplätze.
Langer: Es gibt dazu übrigens einen Stadtratsbeschluss: 2020 haben sich die Politiker mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass die Radverkehrsanlagen an der Klepperstraße erweitert werden sollen. Bis heute ist leider nichts passiert. Beschlossen wurde übrigens auch, dass in der Küpferlingstraße Schutzstreifen angelegt werden sollen. Die Realisierung war für 2024 geplant. Soweit wir wissen, sind aber noch nicht einmal die Gespräche zur Schaffung von Ersatzstellplätzen für die Anwohner abgeschlossen.
Wie hoch ist die Frustration?
Stiegler: Hoch, weil es schon seit Jahren sehr zäh vorangeht. Wir haben eher das Gefühl, dass immer weniger läuft und immer weniger Interesse besteht, einzelne Maßnahmen umzusetzen. Mir fehlt die politische Diskussion zu dem Thema. Gerade die beiden genannten Konzepte verdienen es, dass sich die Parteien im Stadtrat ernsthaft darüber verständigen.
Spielt man auch manchmal mit dem Gedanken, alles hinzuschmeißen?
Langer: Wir haben schon öfter überlegt, aufzuhören. Andererseits haben wir mit dem Fahrradbeirat eine Möglichkeit, mitzuwirken und Einfluss zu nehmen. Wir entwickeln auch einige Vorschläge selbst und schlagen Alternativen vor. Es wäre schade, wenn wir das nicht mehr machen würden. Deshalb bleiben wir bei der Stange (lacht).
Storandt: Aber es wäre eben auch schön, wenn dieses bürgerschaftliche Engagement von Erfolg gekrönt würde.
Am morgigen Samstag veranstalten Sie eine Fahrraddemo.
Storandt: Genau, wir wollen präsent sein und zeigen, wie viele Bürger sich eine Verbesserung des Radverkehrs wünschen.
Stiegler: Wir fahren ungefähr eine Stunde durch die Innenstadt. Es wird eine kurze Rede und im Anschluss an die Rundfahrt ein Live-Jazzkonzert geben. Start ist um 10.30 Uhr am Ludwigsplatz. Wir haben auch Oberbürgermeister Andreas März und zahlreiche Politiker eingeladen.
Interview: Anna Heise