Rosenheim – Die Verunsicherung ist der Fahrerin des silbernen Audis anzusehen. „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragt sie nervös durchs offene Seitenfenster. Nur wenige Augenblicke zuvor hat sie ein Polizist mit Kelle und Handzeichen an der Hochfellnstraße aus dem Verkehr gezogen. Ihr Blick fällt auf das Lasermessgerät, das ein paar Meter entfernt an einer kleinen Hecke steht. „Ich bin doch gar nicht zu schnell gefahren“, behauptet die Frau. Die Beamten haben aber etwas anderes gemessen. „Sie sind 36 km/h gefahren – hier gilt Tempo 30“, sagt Polizist Marco Di Salve mit ruhiger Stimme.
Dieses mal gibt es nur
Zitronen statt Bußgeld
Als der Beamte der Audi-Fahrerin ihre Strafe erklärt, weicht die Anspannung einem Lachen. „Wir haben heute einen Aktionstag, alle Autofahrer, die zu schnell fahren, müssen in eine Zitronenscheibe beißen“, sagt Di Salve. Wer sich hingegen an die Geschwindigkeit hält, bekommt einen Schokoriegel. Die Polizisten führen die Kontrollen im Rahmen der Initiative „Schokolade oder Zitrone“ aber nicht alleine durch. Unterstützung bekommen die sechs Beamten von zahlreichen Viertklässlern der Grund- und Mittelschule Fürstätt.
Während Di Salve die Frau belehrt, dass sie vor allem zum Schuljahresanfang genau aufs Tempo achten soll, tauchen hinter seinem Rücken auch schon zwei Schüler auf. Etwas schüchtern überreichen sie der Fahrerin mit einer Zange die Zitrone. „Bitte das nächste Mal etwas langsamer fahren, für ihre und unsere Sicherheit“, murmelt einer von ihnen. Sichtlich erleichtert, kein Bußgeld zahlen zu müssen, beißt die Audi-Fahrerin in die Zitronenscheibe. „Strafe muss sein“, sagt sie, lacht und fährt davon.
Ein paar Minuten später winken die Polizisten das nächste Auto heraus – einen dunklen VW-Bus. Die junge Frau ist mit 29 km/h in der Tempo30-Zone gemessen worden, angehalten wird sie trotzdem. „Was machen wir jetzt bei dieser Geschwindigkeit?“, fragt Polizistin Eva-Marie Schmid die Schüler, die mit ihr zum Auto gegangen sind. Die Daumen der Schüler gehen nach oben, die Frau bekommt eine Schokolade. „Sehr vorbildlich“, sagt Schmid und entlässt die Frau aus der Kontrolle.
Währenddessen nehmen ihre Kollegen einen BMW ins Visier. Der Fahrer wird mit 32 km/h erwischt. Die Beamten drücken dieses Mal aber nochmal ein Auge zu. Eine Schülerin will es jetzt aber genau wissen. „Was passiert denn, wenn jemand mit 120 km/h fährt, wie viele Zitronen muss der essen?“, fragt sie. Da reichen Zitronen nicht mehr aus, erklärt ihr Marco Di Salve. Da müsse der Autofahrer seinen Führerschein abgeben. Viel Zeit für Erklärungen ist aber nicht, denn schon wird das nächste Auto herausgewunken.
Ein besonderer
Rechenkünstler
Ein roter Kleintransporter ist mit sechs km/h zu viel unterwegs. Der Fahrer kramt aufgeregt im Handschuhfach nach seinen Papieren, dann öffnet er das Fenster. „Sie waren zu schnell, heute gibt es aber keine Geldstrafe, sondern die Zitronen-Strafe“, betont Marco Di Salve. Für den Fahrer des Transporters eine willkommene Überraschung. „Das ist gar kein Problem, Zitronen mag ich gern“, sagt er. So einfach kommt er aber nicht davon, die Schüler haben ihm noch etwas zu sagen: „Können Sie nicht bis 30 zählen?“, fragt ein Mädchen mit einem Grinsen.
Das könne er schon, erwidert der Transporter-Fahrer, sein Tacho gehe aber um sechs Kilometer pro Stunde vor. „Deswegen muss ich das immer abziehen und dieses Mal habe ich mich verschätzt“, behauptet er. Er dachte, dass er mit 39 km/h unterwegs ist und vergessen habe, die Geschwindigkeit richtig zu berechnen. So ganz nehmen die Polizisten ihm die Ausrede nicht ab. „Das ist ungefähr so, als ob ihr behauptet, dass der Hund eure Hausaufgaben gefressen hat“, erklärt Phillip Häußler, Lehrer der Viertklässler, seinen Schülern die kuriose Situation.
Der Lehrer weiß aber auch, dass es an der Straße nicht immer so lustig zugeht. „Wenn die Polizei nicht da ist, halten sich ein paar schwarze Schafe häufiger nicht an die Regeln“, sagt Häußler. Das reiche von Autofahrer, welche die Geschwindigkeitsgrenze überschreiten bis hin zu Eltern, die ihre Kinder mitten auf der Straße aussteigen lassen. Besonders im Bereich der Wertstoffinsel an der Hochfellnstraße seien einige deutlich schneller unterwegs als erlaubt. „Daher ist es eine wichtige Aktion der Polizei, dass sie immer wieder Präsenz zeigt“, betont Häußler. Und auch die Kinder könnten so etwas lernen, „damit sie sicher zur Schule und wieder zurückkommen“.
Bis auf wenige Ausnahmen halten sich an diesem Freitag aber alle Autofahrer an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Spitzenreiter war eine ältere Dame mit 38 km/h und zwei oder drei Autofahrer, die mit 36 km/h auf dem Tacho erwischt wurden. Eine Ausrede haben aber fast alle dabei: entweder seien sie in Eile, auf dem Weg in die Gymnastikstunde, die gleich beginnt oder die paar Euro für eine Strafe könne man schon mal in Kauf nehmen. „Wer allerdings mit 39 km/h unterwegs ist, da werden gleich mal 30 Euro fällig“, erklärt Marco Di Salve.
Kontrollen
zeigen Wirkung
Sein Fazit für die Verkehrskontrolle fällt dennoch positiv aus. „Das liegt aber auch daran, dass die Leute wissen, dass an der Stelle öfter kontrolliert wird“, sagt Marco Di Salve. Er sei dennoch positiv überrascht, dass niemand 40 km/h oder schneller gefahren ist, das sei eher selten. So sei er froh, dass er an diesem Tag mehr Schokoriegel als Zitronen verteilen konnte.