Rosenheim/Traunstein – Die Anklage ist ellenlang. Auf insgesamt 14 Seiten wird zusammengefasst, was die drei jungen Männer, zwei davon aus Rosenheim, einer aus Kolbermoor, zwischen dem Frühjahr 2023 und August 2024 getan haben sollen. Die Vorwürfe sind schwerwiegend. Im Rahmen ihres Handels mit verschiedensten Betäubungs- und Arzneimitteln kam es auch zu massiver Gewalt – und sogar zu einer Entführung.
Gefesselt, geschlagen,
mit Waffe bedroht
Zwei der drei Angeklagten, der 20-Jährige und der 21-Jährige, sollen etwa um Ostern 2023 einen jungen Mann am Bahnhof in Rosenheim aufgegabelt haben. „Ich hatte den letzten Zug in Rosenheim verpasst. Also hab ich irgendwelche Leute gefragt, ob sie mich für zehn Euro nach Kolbermoor fahren“, sagte dieser am ersten Verhandlungstag. Die zwei Männer stimmten der Anklage zufolge zu. Doch als der Mann im Gespräch im Auto berichtete, dass er Zugang zum Darknet habe und sich dort Cannabis bestellte, wurde ihm diese Aussage zum Verhängnis. Die Männer brachten ihn letztlich in einen Keller, fesselten ihn dort an einen Stuhl, schlugen ihn und steckten ihm sogar eine Pistole in den Mund. Das Ergebnis nach einer Nacht, gefesselt, im Keller, und weiteren Drohungen: Der Entführte wurde zum Drogenlieferanten des Trios gemacht. Über die Dauer seiner „Besteller-Tätigkeit“ organisierte der Geschädigte für die drei jungen Männer zahlreiche Betäubungsmittel sowie Arzneimittel. Nach der Entführung trat auch der 22-Jährige erstmals in Erscheinung, als das Opfer die Bestellungen an ihn übergab. In ihrem Plädoyer spricht die Staatsanwältin von „tausenden Stück Ecstasy-Tabletten, Amphetamine im Kilo-Bereich und Meth“. Und das macht nur einen Teil des Ganzen aus.
Es folgten weitere Drogen-Geschäfte, inklusive Drohungen und schwerer Gewalt. Ein weiteres Opfer wurde im Zuge dessen in ein Waldstück gebracht, dort geschlagen und getreten und ebenfalls mit einer Schusswaffe bedroht. Es sind Taten, wie man sie eigentlich nur aus Krimis oder Thrillern kennt. „Solche Handlungen kennt man eigentlich eher nur aus Amerika“, sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. „So etwas sollte man in keinster Weise in Rosenheim vorfinden können.”
Als sie vorträgt, blicken die beiden Rosenheimer unbeeindruckt drein. Immer wieder werfen sie sich Blicke zu, schmunzeln teils. Der Ältere ist groß und eher schlaksig, der Jüngere eher untersetzt. Der Dritte im Bunde aus Kolbermoor sieht für seine 21 Jahre sehr jung aus. Er ist etwa 1,70 Meter groß und hat – anders als seine beiden Kollegen – so gut wie keinen Bartwuchs. Sein Gesichtsausdruck wirkt den gesamten Prozess über ein wenig bedröppelt. So als könne er nicht ganz fassen, dass dies hier wirklich geschieht. Angesichts des Alters der Jungen ist es tatsächlich ein bisschen befremdlich, dass diese Herren sich so gewalttätig gezeigt haben. In den Zuschauerreihen sitzen Freunde und Familie der Angeklagten. Als die Staatsanwältin auf acht Jahre Freiheitsstrafe für den 20-Jährigen plädiert, brechen in den hinteren Reihen mehrere Personen in Tränen aus. Auch seine Augen werden rot und wässrig – eine Träne verdrückt der „harte Kerl” allerdings nicht. Unter dem Schluchzen aus dem Zuschauerblock trägt die Staatsanwältin noch ihre weiteren Forderungen vor. Der 22-Jährige sollte ihrer Auffassung nach für sieben Jahre in Haft. Der 21-Jährige, der sich anders als die beiden anderen auf kein Geständnis einließ, für sechs Jahre.
Während die Staatsanwältin in der Gruppe der drei jungen Männer einen bandenmäßigen Zusammenschluss sieht, hält die Verteidigung in diesem Punkt massiv dagegen. Alle sechs Verteidiger der drei Angeklagten sehen im Trio keine Bande. Besonders, da der 21-Jährige zumeist mehr als Gehilfe fungiert hat. Die Verteidigung des 22-Jährigen plädiert für nicht mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe und auch der Verteidiger des 20-Jährigen fordert ein deutlich niedrigeres Strafmaß von fünf Jahren und neun Monaten. Die Verteidigung des 21-jährigen Gehilfen setzt sogar noch einen drauf und fordert einen Freispruch. Es gebe keinen objektiven Beweis, dass er bei der ersten Entführung beteiligt gewesen sei.
In den letzten Worten bedankt sich der 20-Jährige noch bei seinem Verteidiger und beteuert, kein „Drehtürgefangener“ werden zu wollen. „Ich möchte ein vollständiges Mitglied der Gesellschaft werden”, sagt er.
Kein Freispruch –
Gefängnis für alle
Das Gericht unter dem Vorsitz von Richterin Jacqueline Aßbichler verurteilt den 20-Jährigen letztlich zu sechs Jahren und zehn Monaten, den 22-Jährigen zu sechs Jahren und den 21-jährigen Kolbermoorer zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Die Angeklagten nehmen das Urteil regungslos zur Kenntnis. Das Gericht sieht in den drei jungen Männern „trotz Hinweisen“ keine Bande. Dennoch sei die Schwere der Schuld eindeutig festzustellen. Denn: „Wir haben hier Straftaten, die extrem gewalttätig sind“, betont Aßbichler in ihrem Urteil.
Patricia Huber