Rosenheim – „Das Für- und Miteinander schrumpft in sich zusammen – bis jeder alleine steht und kämpft, auf verlorenem Posten.“ So beschrieb Aaron Buck, Mitglied im Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, was passiert, wenn „Hass, Missgunst und Argwohn in bislang respektvolle, friedliche Gesellschaften getragen werden“. Er tat dies auf einer Veranstaltung, in der neue Gedenkzeichen enthüllt wurden: Für drei Rosenheimer Bürger, die unter der Naziherrschaft ausgegrenzt, verfolgt, gedemütigt wurden, von denen man einen schließlich in den Tod trieb, den anderen ermordete und der dritte sein Leben lang gezeichnet blieb.
Drei Schicksale als
mahnende Botschaft
Die drei Schicksale – von der jüdischen Kaufmannsfamilie Maier, dem Kommunisten Josef Schober und dem Sozialdemokraten Josef Sebald – machen vor allem zwei Dinge glasklar: Dass es kein Halten mehr gibt, wenn rechtsradikales Gedankengut erst einmal zur „Staatsräson“ geworden ist. Und dass dann nichts und niemand mehr sicher sein kann. Das war die Botschaft des Gedenkens, an dem etwa 50 Rosenheimer teilgenommen hatten.
So war Leopold Maier Vorstand der Organisation des bayerischen Einzelhandels, er war aktives Mitglied der Feuer- und Wasserwehr, half als Kassier im Wirtschaftlichen Verband bei der Organisation der Rosenheimer Herbstfeste. Er war also eigentlich die Verkörperung dessen, was man unter einem engagierten und respektierten Mitglied der Zivilgesellschaft verstehen würde. Doch all die Auszeichnungen, all das Engagement haben ihn, der jüdischen Glaubens war, nicht gerettet. Im Gegenteil, so führte Dr. Thomas Nowotny von der Initiative Erinnerungskultur aus: Schon in den frühen Zwanzigern sah er sich mit seiner Familie ersten massiven Anfeindungen ausgesetzt – junge Leute schmierten antisemitische Parolen an sein Geschäft, auch sein Wohnhaus wurde zum Ziel von antisemitischen Vandalen. Das Schicksal Leopold Maiers, der kurz nach der „Machtergreifung“ im Januar 1933 keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich umzubringen, und seiner Frau Babette, die ihm darin nachfolgte, zeigt eines: Die Katastrophe, die aus Argwohn, Missgunst und schließlich Hass hervorgeht, kommt nicht über Nacht. Sie hat eine lange Zeit der Vorbereitung.
Wenn aber solches Denken erst einmal an die Schaltstellen der Regierung gelangt ist, geht es schnell. Vor allem, wenn die, die an der Macht sind, die Klaviatur des Verwaltungsapparates ebenso perfekt wie perfide zu missbrauchen verstehen: Recht und Moral gelten dann nichts mehr, aber das Unrecht wird mit derselben bürokratischen Sorgfalt ausgeübt, wie es einst mit dem Recht geschah.
Josef Schober ist dafür ein Beispiel, denn er war mit 27 anderen Kommunisten aus der Stadt und dem Landkreis einer der ersten Häftlinge, die im gerade fertiggestellten Konzentrationslager Dachau inhaftiert wurden. Und blieb danach für sein restliches Leben in der Maschinerie der Unrechtsjustiz gefangen: Konzentrationslager, Gefängnis, „Schutzhaft“, dann wieder Konzentrationslager – die Orte wechselten sich ab, das Leiden blieb. Und die „Begründungen“, die man jeweils dafür gab, folgten formal stets dem Weg einer „korrekten“ Bürokratie. Dass wir sein Leben bis zu seinem Tod nachvollziehen können – man ließ ihn im Konzentrationslager Flossenbürg verhungern – ist das Verdienst von Andreas Salomon, der sein Leben minutiös nachrecherchierte.
Auch Josef Sebald ist ein doppeltes Beispiel. Erstens dafür, dass man weder Jude noch Kommunist sein musste, um im Dritten Reich verfolgt zu werden. Es genügte schlicht, gegen die Nazis zu sein. Und zweitens, wie segensreich es war, wenn jemand es schaffte, am Erlebten nicht zu verbittern, sondern es als weiteren Beweggrund für seinen Kampf um Fairness und Mitmenschlichkeit zu sehen. Josef Sebald tat das, als langjähriges SPD-Stadtratsmitglied und auch in den zwei Jahren – von 1958 bis zu seinem Tod 1960 – in denen er Oberbürgermeister war.
Für den heutigen Oberbürgermeister Andreas März ist Josef Sebald gerade deshalb, gerade heute ein Zeichen. Denn, so sagte er, „wir leben in Zeiten, in denen es nicht mehr so scheint, als ob ein demokratisches Miteinander und gegenseitiger Respekt als entscheidende Grundwerte geachtet würden“. Auch in Rosenheim sähe man, so März: „Um unsere Demokratie muss gerungen werden.“ Er sei „deshalb sehr dankbar, dass es uns in dieser Legislaturperiode gelang, den „Rosenheimer Weg der Erinnerungskultur“ zu etablieren und damit Weichen zu stellen“.
Alte Muster im Heute wiedererkennen
Und dabei gelte, so hatte es Aaron Buck in seiner kurzen Ansprache zu Beginn der Erinnerungsfeier ausdrücklich betont: „Erinnerungskultur ist nichts Gestriges, hat nichts zu tun mit dem angeblichen „Schuldkult“ von dem Alice Weidel spricht“. Erinnerung sei Beschäftigung mit der Zukunft, denn wer sich an die Vergangenheit erinnere, sei befähigt, im Heute alte Muster zu erkennen: „Die Strategien nämlich, mit denen Demokratien unterwandert werden.“ Und er sah die Anbringung der drei neuen Erinnerungszeichen als ein gegenseitiges Versprechen, „dass wir im Heutigen wachsamer sein wollen und wehrhafter“.