von Redaktion

Interview Dr. Jan Dierfeld über fehlende Kollegen und die gravierenden Folgen für Patienten

Rosenheim – Die Lage ist düster. Daraus macht Jan Dierfeld kein Geheimnis. Er ist der freie Obmann für den Landkreis Rosenheim und betreibt selbst eine Zahnarztpraxis in der Stadt. Vor welchen Herausforderungen er steht und warum ein Besuch beim Zahnarzt immer teurer wird, erklärt er im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen.

Wie schnell bekomme ich einen Zahnarzttermin in der Region?

Das kommt darauf an, wo sie einen Termin haben wollen. Die Lage auf dem Land ist deutlich angespannter als in der Stadt. Viele ältere Zahnärzte auf dem Land haben Probleme, einen Nachfolger zu finden. Dadurch reduziert sich die Zahl der Zahnärzte zum Teil massiv. In vielen Dörfern ist eh nur eine Zahnarztpraxis vertreten. Wenn diese dann auch noch schließt, ist das natürlich für die Versorgung fatal. Das ist in den zentralen Stadtlagen etwas einfacher. Trotz allem kann man auch hier beobachten, dass die Tendenz zu weniger Einzelpraxen und zu mehr medizinischen Versorgungszentren geht.

Also sieht es auf dem Land eher düster aus?

Menschen, die auf dem Land wohnen und auf der Suche nach einem Zahnarzt sind, müssen gegebenenfalls ins nächste Dorf oder in die Stadt fahren, um einen Termin zu bekommen. Generell bemerken wir, dass wir viele Anrufe von Patienten bekommen, die ohne Zahnarzt dastehen – aus den unterschiedlichsten Gründen.

Ist diese Situation neu?

Ja, die Anrufe haben merklich zugenommen. Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht Gespräche mit Patienten führen, die auf der Suche nach einem neuen Zahnarzt sind.

Gibt es bei Ihnen in der Praxis noch freie Termine?

Seitdem ich einen Assistenzzahnarzt habe, haben wir wieder freie Kapazitäten und Termine. Aber ich habe auch mit Kollegen gesprochen, die überhaupt nichts freihaben und Termine frühestens für 2026 ausmachen können. Gerade für Neupatienten sieht es da ganz schlecht aus. Aber es gibt auch Praxen, die noch Platz für Patienten haben. Gegebenenfalls muss man sich auf eine Warteliste schreiben lassen.

Also einfach hartnäckig bleiben, dann klappt es schon mit dem Termin?

Generell ja. Ich finde es auch wichtig, eventuell mehrere Optionen zu prüfen, wenn der erste Zahnarzt nichts frei hat. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass man fünf verschiedene Zahnärzte anrufen muss, um jemanden zu finden, bei dem man unterkommen kann. Noch befinden wir uns im orangen Bereich, aber wir steuern auf den roten Bereich zu.

Kann man hier nicht gegensteuern?

Die Politik muss hier aktiv werden. Unsere Gebührenordnung hat sich seit 1988 kaum verändert. Wir können die Gebühren nicht anpassen, um beispielsweise unsere Ausgaben zu decken. Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist den Faktor 3,5 auf der Rechnung zu überschreiten. Da die Leistung somit über dem gesetzlichen Höchstsatz liegt, kommen auf die Patienten höhere Kosten zu. Was passiert, wenn ein Betrieb nicht mehr wirtschaftlich arbeitet, sehen wir jetzt gerade an der Klinik in Vogtareuth. Hier werden sechs Abteilungen geschlossen, weil sie nicht mehr gewinnbringend arbeiten können. Das bedeutet für die Patienten eine enorme Herausforderung, aber auch den Verlust von über 200 Arbeitsplätzen.

Weil die Politik nichts unternimmt, wird der Zahnarztbesuch immer teurer?

Im schlimmsten Fall kann es darauf hinauslaufen. Denn weil sich die Gebührenordnung eben seit Jahren nicht verändert hat, können wir auch nicht auf Inflation, höhere Lebenshaltungskosten oder gestiegene Personalkosten reagieren. Zudem gibt es auch noch Unterschiede zwischen der Abrechnung von Privatpatienten und denen, die gesetzlich versichert sind.

Inwiefern?

Schuld daran ist das sogenannte Finanzstabilisierungsgesetz, das eingeführt wurde, um die Ausgaben der Krankenkassen zu begrenzen. Diese Deckelung führt zu einer indirekten Leistungskürzung, da Zahnärzte für bestimmte Behandlungen, wie die Parodontitis-Therapie, nur ein festes Budget erhalten und darüber hinausgehende Leistungen als Privatleistung erbringen müssen. Für Kassenpatienten bedeutet das höhere Zuzahlungen.

Und Zahnärzte haben kaum Anreiz, Kassenpatienten zu behandeln, da sie schlimmstenfalls noch draufzahlen müssen.

Es kommt ja auch noch erschwerend hinzu, dass die Politik mit dem Versorgungsstärkungsgesetz versucht hat, dass mehr Sprechzeiten für Kassenpatienten vorgehalten werden müssen. Und das, obwohl die Politiker wussten, dass Zahnärzte dadurch schlimmstenfalls Minusgeschäfte machen. Seit Jahren kämpfen wir deshalb dafür, dass die Budgetierung der Leistungen für gesetzlich versicherte Patienten angepasst wird. Bislang ohne Erfolg.

Führt das nicht schlimmstenfalls dazu, dass Zahnärzte irgendwas abrechnen?

Klar, im schlimmsten Fall kann das passieren. Derzeit ist es so, dass es vor allem in den medizinischen Versorgungszentren eine hohe Abrechnungsquote von den Kassenleistungen gibt. Einzelzahnarztpraxen können das aber nicht machen. Zum einen fehlen die Patienten, zum anderen haben sie – anders als die Versorgungszentren – keine Fachleute, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als Abrechnungen zu optimieren.

Was bereitet Ihnen derzeit noch Bauchschmerzen – oder besser: Zahnschmerzen?

Die Bürokratie. Man muss häufig sehr lange Gespräche mit den Patienten führen, um ihnen ganz genau zu erklären, warum was gemacht werden muss und wieso es so viel kostet. Man muss Behandlungspläne entwerfen, Erstattungsschreiben formulieren und zum Teil zweiseitige Begründungen an die Krankenkasse schicken, warum wir beispielsweise ein Röntgenbild gemacht haben. Das ist ein riesiger bürokratischer Aufwand, den ich zusätzlich zu meinem normalen Arbeitspensum noch stemmen muss.

Zeit, die Sie eigentlich für zusätzliche Patienten verwenden könnten.

Korrekt. Wenn wir die Bürokratie abbauen könnten, können wir wahrscheinlich zwischen 20 und 40 Prozent mehr Zeit am Patienten verbringen. Gerade mit Blick auf den Zahnärztemangel, der auf uns zukommt, keine unerhebliche Zahl.

Hört sich düster an.

50 Prozent der aktiven Zahnärzte sind derzeit über 60 Jahre alt. 25 Prozent sind bereits über 65 Jahre. In den nächsten fünf Jahren werden also viele meiner Kollegen in Rente gehen. Wir warnen schon seit vielen Jahren vor diesem Problem. Zwar gibt es auch viele Neueinsteiger, aber die reichen nicht aus, um die 50 Prozent, die schlimmstenfalls aufhören, zu ersetzen.

Das hätte für die Patienten gravierende Folgen.

Durchaus. Dann wird es einen nicht unerheblichen Teil an Patienten geben, die keinen Zahnarzt haben.

Schauen wir abschließend noch auf die Zähne der Rosenheimer. Ihre Einschätzung?

Bei der jungen Generation gibt es deutlich weniger Zahnschäden. Gerade die jungen Leute achten sehr gut auf ihre Zähne. Bei den Älteren ist das nicht immer so. Es gibt übrigens auch Mundgesundheitsstudien, die genau das belegen. Sie zeigen deutlich auf, dass die prophylaktischen Konzepte gut funktionieren. Wer regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen geht, hat in der Regel gute Zähne und dadurch auch geringere Zahnarztkosten. 

Interview: Anna Heise

Bedenkliche Lücken bei den Zahnärzten

Artikel 2 von 11