Rosenheim – Stammtischparolen, jeder kennt sie, jeder hat es schon erlebt: im Berufsleben, beim Einkaufen, im Freundeskreis oder beim Familientreffen. Schnell ist etwas dahingesagt, eine Behauptung, vermeintlich eine Wahrheit, die jemand für sich gepachtet hat. „Man ist oftmals überrumpelt und weiß erst später, was man sagen hätte können“, sagt Sofie Engl beim Workshop „Stammtischparolen-Training“ im Bildungswerk Rosenheim, wo sich an diesem Freitagnachmittag 16 Interessierte aus unterschiedlichen Gründen eingefunden haben, um sich mit dem Thema zu beschäftigen.
„Auch ich tappe in die
Überrumplungsfalle“
Sofie Engl, Sozialpädagogin, Mediatorin und Mitarbeiterin für interkulturelle Bildung am Bildungswerk München, hat das Konzept für den Workshop entwickelt und bietet ihn seit mehreren Jahren an. „Auch ich tappe in die Überrumpelungsfalle und bin manchmal sprachlos, wenn ich mit einer Parole konfrontiert bin“, sagt sie. Doch man könne es üben und Taktiken entwickeln, wie man erfolgreich dagegenhalten könne.
Engl fängt gleich mit einer Übung an und bittet die Teilnehmer darum, sie in kurzen Worten zu beschreiben. Es bilden sich Zweiergruppen, zwei Minuten Zeit gibt die Referentin. Man überlegt, ob sie Kinder hat, wo und wie sie lebt, was ihre Lieblingsfarbe ist, was sie studiert hat, ob sie in einer Partnerschaft ist und was sie in ihrer Freizeit macht. Und schon wird sie eingeordnet, mit Attributen versehen und ja, auch ein klein wenig abgestempelt. Was wir halt so machen, wenn wir jemandem begegnen, den wir gar nicht kennen, uns erst einmal ein Urteil bilden.
Nur ein kurzer Weg
in die Diskriminierung
„Unser Gehirn steht total darauf, einzuordnen“, sagt Engl, es sei sozusagen überlebenswichtig, ein Relikt aus grauer Vorzeit, das uns sagt: Freund oder Feind. Also bleiben oder davonrennen. Und wenn einem das nicht bewusst ist, wird aus dem Urteil schnell ein Vorurteil. Auch wenn die Beschreibung von Sofie Engl sehr positiv war, war es lediglich ein Vorurteil, denn niemand habe etwas über sie gewusst. Aus einem Vorurteil entsteht wiederum Diskriminierung mit ausschließenden Strukturen. „Rassismus ist die Ideologie der Ungleichwertigkeit, woraus schnell gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit werden kann“, schließt Sofie Engl diese kurze Einführung in das Prinzip der Entstehung von Diskriminierung ab.
Nun beginnt eine Vorstellungsrunde. Jeder nennt die Beweggründe, warum er oder sie hierhergekommen ist. Und alle Teilnehmer schildern ein Beispiel, mit dem sie konfrontiert waren und vielleicht sprachlos zurückgeblieben sind. Oder wie in einem Fall die familiäre Kaffeerunde beim Thema „Mohrenkopf“ oder „Negerkuss“ gesprengt wurde.
Immer wieder taucht die Parole „Die Asylanten kriegen alles“ auf, die, so die Referentin, ein wiederkehrendes zentrales Thema in ihren Workshops sei. Auch das Beispiel häusliche Gewalt wird angeführt, „die hauptsächlich in Familien mit Migrationshintergrund öfter vorkommt“. Ein Klassiker, meint Sofie Engl, einfach so dahingesagt, ohne Fakten, ohne Hintergrund. „Hier kommt die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ins Spiel“ und sie erzählt ein selbst erlebtes Beispiel dazu.
In dem Innenhof ihrer Wohnanlage gibt es einen Spielplatz, dorthin geht sie oft mit ihren Kindern, trifft sich mit den anderen Müttern und Vätern, unterhält sich, trinkt Kaffee. Jemand erzählt von einem Streit, den es in einer Wohnung gegeben hatte. Da wurden Bierflaschen aus dem Fenster geworfen. „Das war bestimmt die Familie von Wohnung Nummer XY“, habe eine der Mütter gesagt. „Eine klassische Situation, bei der unnötigerweise die Nationalität mit einem Verhalten verbunden wird“, schildert die Referentin. „Ich wollte auf keinen Fall, dass mein kleiner Sohn das hört. Meine Befürchtung ist, dass er bei der nächsten Begegnung mit einem Menschen dieser Nationalität denkt, die Person sei gefährlich. Ich erklärte ihr die Mechanismen dieser Vorverurteilung, die Folgen für mein Kind und siehe da, heute sind wir gute Freundinnen.“
Tiefe Zerwürfnisse bis
hin zum Kontaktabbruch
So funktioniere das leider nicht immer, oft bleibe ein tiefes Zerwürfnis bis hin zum Kontaktabbruch, aber es gebe durchaus Techniken und Methoden, dies zu verhindern. Eine Möglichkeit sei, zuerst ins Beobachten zu gehen, eine Pause, einen Raum zu schaffen, damit man nicht gleich verbal zurückschießt. „Sagen sollte man auf alle Fälle etwas, denn Schweigen heißt Zustimmung“, sagt Sofie Engl.
Wenn einem nichts einfällt oder man keine datenbasierten Gegenargumente zur Hand hat, gehe auch erst einmal „Ich bin nicht deiner Meinung“ oder „Da kommen wir nicht zusammen“. Man könnte auch eine Gegenfrage stellen, zum Beispiel „Wie meinst du das genau?“ oder „Woher hast du das, was ist deine Informationsquelle?“. Auch einen Perspektivenwechsel anzubieten, mit Sätzen wie „Versetze dich doch mal in deren Lage“, sei eine Möglichkeit. Trotzdem kommen Parolen, egal ob rassistisch, frauenfeindlich, antisemitisch oder anderweitig verletzend, oft mit einer solchen Wucht, dass man zuerst einmal hilf- und sprachlos dasteht und nicht weiß, ob man mit seinen Gegenargumenten standhalten kann. „Auch Interesse zeigen kann entwaffnend sein“, sagt die Referentin, während sie die bevorstehende Gruppenübung erklärt. Es ist schließlich ein Workshop und kein Vortrag.
Als Übungsthema schlägt Engl die Parole „Die Migranten bekommen einfach alles, ohne etwas dafür zu tun“ vor. Die eine Gruppe soll diese Aussage aus der Perspektive des Gegenübers analysieren, die andere aus der Perspektive derjenigen, die sie in den Raum werfen. Die Methodik ist die klassische Mediation nach der Konfliktpartei-Analyse: denken, fühlen, wünschen. Und das immer völlig wertfrei.
„Jeder soll gleich
behandelt werden“
Vier Gruppen versammeln sich an den vorbereiteten Flipcharts und sammeln fleißig Gedanken, Gefühle und Wünsche. Die Ergebnisse werden kurz in der Runde vorgetragen. Da kommen Fragen auf wie: „Woher kommt der Neid?“ oder Aussagen wie: „Sie brauchen das Handy, um in Kontakt zu bleiben, mit ihrem Umfeld und vor allem mit den Behörden.“ Auf einem der Flipchart-Blätter steht groß bei Wünschen: „Jeder sollte gleich behandelt werden.“
Eine Reaktionsmöglichkeit, die in der Gruppe als sehr hilfreich ankam, war die Strategie einer Teilnehmerin, zu Aussagen, denen sie nicht zustimmt, ein verwundertes „Oh la la“ als Zeichen des Widerspruchs zu setzen. Und, so sagt Sofie Engl abschließend, eine Aussage könne auch eine Not sein, denn „wer am lautesten schreit, hat oft die größte Not.“