Wiedervereint nach fast drei Jahrzehnten

von Redaktion

Im August 1996 nahm Familie Wimmer aus Rosenheim den gestrandeten Australier Jordan Poutney bei sich auf. Jahrzehnte später finden sie über einen OVB-Artikel wieder zueinander. Wie die Tochter der Gastfamilie den Besuch „from down under“ damals erlebte – und warum sie jederzeit wieder jemanden aufnehmen würde.

Rosenheim/Melbourne – Die Rosenheimerin Andrea Wimmer ist im August 1996 gerade erst von ihrer Australienreise heimgekehrt. Wenige Tage später steht bei ihrer Familie der Australier Jordan Poutney vor der Tür. Er ist allerdings kein Bekannter, er hat sich verirrt. Andrea Wimmer und ihre Mutter nehmen ihn ohne zu zögern auf. Die kurze Zeit bei der oberbayerischen Familie prägt Poutney heute noch, wie er dem OVB im Juli erzählte.

Kontaktdaten gehen auf
dem Heimweg verloren

Damals, im Sommer 1996, tauschte Poutney mit den Wimmers zwar Kontaktdaten aus, die er allerdings verlor. Im Juli dieses Jahres wandte er sich deshalb an das OVB. „Ich möchte die Familie unbedingt wiederfinden und mich für die Hilfe bedanken“, schrieb er in seiner Nachricht. Jahrelang habe er bereits versucht, die Familie über Google Earth und Facebook ausfindig zu machen. Ohne Erfolg. Im OVB wurde schließlich die ganze Geschichte in einem Artikel veröffentlicht. Und der erreichte auch Andrea Wimmer.

„Meine Nichte hat mich auf den Artikel aufmerksam gemacht“, erzählt Wimmer. Mittlerweile sind sie und Poutney über Whatsapp in Kontakt. Auch ein Treffen sei in naher Zukunft geplant. Kurz nach dem Rosenheimer Herbstfest flog außerdem ein Bekannter von Wimmer nach Australien. „Ihm habe ich ein Lebkuchenherz mit Grüßen aus Rosenheim sowie einen alten Bierkrug vom Hofbräuhaus in München mitgegeben“, erzählt Wimmer.

Die Rosenheimerin erinnert sich noch gut an den ungewöhnlichen Besucher, dem ihre Mutter damals die Tür öffnete. Sie selbst habe damals auf ihrer Australienreise viele nette Leute kennengelernt. „Manche haben mich sogar aufgenommen“, erinnert sich die heute 52-Jährige. Das habe sie anschließend auch ihrer Mutter erzählt. Sehr zu Poutneys Glück, denn Wimmer meint, ihre Mutter sei Fremden gegenüber sonst eher skeptisch gewesen. „Es war ganz untypisch, dass sie einem Unbekannten die Tür öffnet“, betont die Rosenheimerin. Ihre Mutter bat Poutney dennoch herein. „Als ich kurz darauf heimgekommen bin, saß er schon auf der Eckbank und hatte was zu trinken bekommen“, erzählt Wimmer.

Was genau mit Poutney passiert war, dass er sich verirrt hatte, sei ihr zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst gewesen. „Weil mir in Australien auch immer geholfen wurde, war sofort klar, dass Jordan bei uns schlafen kann“, sagt Wimmer. Später am Abend seien die beiden, die etwa im selben Alter sind, in Rosenheim unterwegs gewesen. Poutney verbrachte noch etwas Zeit mit der Familie, danach verloren sie sich aber aus den Augen.

Im Gespräch mit dem OVB im Juli betonte Jordan Poutney immer wieder, dass diese Begegnung sein Leben auch heute noch beeinflusst. Er versuche, die Großzügigkeit, Freundlichkeit und Offenheit der Familie Wimmer an seine drei Kinder weiterzugeben.

Auch Andrea Wimmer ist inzwischen bewusst, wie sehr dieses Erlebnis den derweil 51-jährigen Australier geprägt hat. „Das hat er wahrscheinlich nie wieder erlebt“, sagt die Rosenheimerin.

Demente Mutter
erinnerte sich an Poutney

Grundsätzlich würde Wimmer auch heute noch jemanden aufnehmen, der sie um Hilfe bittet. „Wobei es natürlich immer auf die Person ankommt“, betont die Rosenheimerin. Vergangenes Jahr habe ein junger Mann auf einer Wiese gegenüber von ihrem Zuhause gezeltet. Erst sei sie ein bisschen skeptisch gewesen. Doch sie kam mit ihm ins Gespräch. „Er war aus der Schweiz und mit dem Fahrrad unterwegs“, erzählt Wimmer. Da es draußen sehr kalt war, brachte sie ihm einen Tee. Ins Haus bitten konnte sie ihn aber nicht, und sie erklärt auch wieso: „Zu diesem Zeitpunkt war ich bis auf meinen Hund alleine im Haus.“ Sie hätte sich in diesem Fall nicht wohlgefühlt, einen Fremden hereinzulassen.

„Ich war früher aber selbst viel auf Reisen“, erzählt Wimmer. Und nicht nur in Australien, sondern auch anderswo sei sie froh gewesen, wenn sie einen Ansprechpartner gefunden oder ein Getränk oder einen guten Tipp bekommen habe. „Und zur Not vielleicht sogar ein Bett für die Nacht.“ Durch das Reisen habe sie auch gelernt, fremden Menschen ein wenig offener zu begegnen.

Wimmers Mutter, die Poutney damals ins Haus bat, ist vor zwei Jahren verstorben. „Zum Schluss war sie auch dement“, erzählt ihre Tochter. Doch bevor sie starb, schien sie sich plötzlich wieder an die Situation mit Jordan Poutney zu erinnern. „Sie fragte, was mit dem Australier wohl noch passiert ist“, sagt Wimmer.

Andrea Wimmer und Jordan Poutney sind sich sicher, dass sie sich noch einmal über den Weg laufen werden. „Ich bin zuversichtlich, dass Andrea und ihre Familie weiterhin Teil meiner Familiengeschichte sein werden“, schreibt Poutney in einer Mail ans OVB. Der Kontakt über Whatsapp sei für sie beide sehr unterhaltsam, sie erzählen voneinander und teilen Fotos.

Und auch Andrea Wimmer sagt: „Jordan muss unbedingt nach Rosenheim kommen. Er würde nämlich selbst gerne einmal auf das Herbstfest gehen.“ Und wenn das nicht klappt, müsse sie eben selbst in den Flieger nach Melbourne steigen.

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