Rosenheim/Altötting – Er ist für seine politischen und sozialkritischen Texte bekannt: der Liedermacher, Poet und Schauspieler Konstantin Wecker. Der heute 78-Jährige wurde in München geboren und lebt auch heute zum Teil noch dort. Am heutigen Freitag wird er mit seiner Tour „Lieder meines Lebens“ in Rosenheim auftreten. Davor sprach er mit dem OVB über seine Kindheit, die Alkoholsucht, die ihn lange beschäftigte, und sein „geliebtes Italien“.
Ihre Tour heißt „Lieder meines Lebens“. Was sind denn die Lieder Ihres Lebens?
Ich habe in den vergangenen 60 Jahren über 600 Lieder geschrieben. Da gibt es ein paar, die ich ungern auslassen würde. Etwa das Lied „An meine Kinder“. Das ist mir unglaublich wichtig. Damit will ich zeigen, dass man Kinder anders angehen soll. Man soll sie nicht dauernd erziehen und an ihnen herumdoktern, sondern von ihnen lernen.
Ihre Liedtexte sind oft politisch. Woher kommen dafür die Ideen?
Ich hatte großes Glück, dass ich in einem antifaschistischen Elternhaus groß geworden bin. Mein Papa war noch dazu erstaunlicherweise ein antiautoritärer Mann. Er hat in der Nazizeit den Kriegsdienst verweigert, war ein bekennender Pazifist und hat wie durch ein Wunder überlebt. Das hat mich wahnsinnig geprägt. Man muss sich vorstellen: Meine ganzen Schulkameraden sind damals zu Hause von ihren Vätern verprügelt worden. Das waren alles Nazis. Es war für mich ein Wunder, dass es bei mir anders war. Auch die Mama kam aus einem antifaschistischen Elternhaus. Das hat natürlich auch mein Schreiben geprägt. Am liebsten würde ich nur Liebeslieder und -gedichte schreiben. Aber dann packt mich zwischendurch immer wieder die Wut. Die hat mich in den vergangenen 60 Jahren sehr oft gepackt.
Wie haben sich Ihre politischen Einstellungen im Laufe der Jahre verändert?
Eigentlich sind die Einstellungen gleich geblieben. Natürlich leide ich sehr unter dem jetzigen politischen Chaos, in dem wir leben. Trump ist ein reiner Faschist und bei uns wird die AfD stark, in Österreich Herbert Kickl und in meinem geliebten Italien herrscht eine faschistische Regierungspräsidentin, Giorgia Meloni.
Welche Themen liegen Ihnen sonst noch am Herzen?
Vor allem die herrschaftsfreie Gesellschaft. Man muss eines von mir wissen: Meine Lieder waren immer klüger als ich. Auch zu jungen Leuten sage ich oft: Ihr dürft nicht euer Ego und euren Verstand schreiben lassen. Tief in euch wohnt etwas, das weiser, liebevoller und gerechter ist, als alles andere. Aus dieser Tiefe meines Selbst war meine Poesie geschaffen.
Sie sprachen vorher von Ihrem „geliebten Italien“ – welche Verbindung haben Sie zu dem Land?
Ich habe als Knabe schon italienisch gesungen, obwohl ich kein Wort verstanden habe. Durch die Musik und die italienische Oper hatte ich einen starken Bezug zu Italien. Vor 40 Jahren bin ich dann in die Toskana gereist, habe mir dort ein Studio gebaut und konnte ein Landgut kaufen. Dort bin ich immer noch sehr gerne.
Seit wann machen Sie Musik und wie kamen Sie dazu?
Eigentlich kam ich zur Musik durch meinen Papa. Er hat eine wunderschöne Tenorstimme gehabt und ich hatte als junger Knabe einen schönen Sopran. Wir haben viel zusammen gesungen. Beim Konzert in Rosenheim werde ich eine kleine Aufnahme von unserem gemeinsamen Duett einspielen. Mit vier Jahren habe ich mit dem Klavierspielen begonnen. Meine Mama hat mich zudem mit der Poesie vertraut gemacht – sie liebte Gedichte über alles. Mit zwölf Jahren habe ich meine ersten Gedichte geschrieben.
Wie würden Sie Ihren Musikstil beschreiben?
Ich bin von der klassischen Musik geprägt. Franz Schubert und Giuseppe Verdi sind meine musikalischen Ziehväter. Von ihnen habe ich am meisten gelernt. Das ist ein völlig anderer musikalischer Hintergrund als bei den meisten Kollegen. Die kamen eher vom Blues oder American Folk.
Im September haben Sie ein Buch veröffentlicht. Worum geht es darin?
Es ist unter anderem eine Offenlegung meiner Süchte. Ich bin seit vier Jahren bekennender, trockener Alkoholiker. Aber auch über die Poesie und meine Spiritualität habe ich geschrieben. In dem Buch geht es darum, wie ich lerne, zu dem zu werden, der ich in meinen Gedichten schon immer war. Als junger Mann war ich ein unsäglicher, doofer und eitler Macho. Meine Lieder waren aber damals schon beseelt von einer feministischen Machtkritik. Nach dem Konzert kamen oft Mädchen zu mir, die meinten, sie könnten nicht glauben, dass ich diese Lieder geschrieben habe. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis aus dem Macho ein bekennender Feminist geworden ist. Ich bekämpfe sehr stark das Patriarchat, denn es waren immer Mannsbilder, die uns in dieses Elend hineingeritten haben. Ich glaube, dass eine weltweite feministische Revolution kommen wird. Ganz bestimmt.
Sie haben gerade schon das Thema Alkoholsucht angesprochen. Was war der entscheidende Wendepunkt auf dem Weg zur Abstinenz?
Ich habe mal für einen Monat einen Entzug gemacht und dachte, danach könnte ich normal weitertrinken. Dann habe ich einen unglaublich hässlichen Rückfall gehabt. Da wusste ich, ich bin Alkoholiker. Ich habe sehr viele Drogen in meinem Leben ausprobiert, aber da ist es leichter, sich einzugestehen, dass man süchtig ist. Alkohol ist legal, so normalisiert. Deshalb ist es schwer, sich eine Abhängigkeit einzugestehen. Jetzt, als trockener Alkoholiker, fällt mir auf, wie viele Menschen dauernd saufen. Am liebsten würde ich ihnen sagen: Ich habe es erkannt, du bist schwerer Alkoholiker.
Welche Rolle hat Musik in dieser schweren Zeit für Sie gespielt?
Eigentlich war es keine Stütze, denn ich habe meine Gedichte immer nüchtern geschrieben. Vier- bis sechsmal im Jahr hat es mich gepackt und ich war ein paar Tage nicht ansprechbar, weil ich nur geschrieben habe. Auch meine Konzerte habe ich meistens nüchtern gemacht. Dafür habe ich danach umso mehr getrunken.
Bei Ihren Konzerten nehmen Sie öfter andere Personen mit auf die Bühne. Ist das auch in Rosenheim geplant?
Das stimmt, ich habe oft junge Künstlerinnen und Künstler meines Labels dabei. Meist sind sie 30 oder 40 Jahre jünger als ich. Die fördere ich sehr gerne. In erster Linie müssen sie Künstler sein, die singen, weil sie ein Lied haben. Nicht, weil sie damit berühmt oder reich werden wollen. Für Rosenheim ist das aber nicht geplant.
Magadalena Aberle