Rosenheim – Der neunte November ist in der deutschen Geschichte ein bedeutungsschwerer Tag – und doch halb vergessen. Denn wer hat noch sofort parat, dass an einem 9. November die Berliner Mauer fiel und damit das Ende der DDR eingeleitet wurde? Sicher nicht alle, dabei ist 1989 noch gar nicht so ewig her: Viele haben an die Zeit der Achtziger und frühen Neunziger selbst noch bewusste Erinnerungen, haben zumindest über ihre Eltern Anknüpfungspunkte an diese Jahre.
Ganz anders ist es mit dem zweiten Ereignis, das sich mit dem 9. November verbindet: die sogenannte Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Denn für die meisten von uns ist 1938 und die Tatsache, dass die Judenverfolgung ab jenem 9. November endgültig zu einem „Teil des öffentlichen Lebens“ geworden war, weit weg, ewig weit weg. So weit, dass es scheint, als habe das, was damals geschah, mit dem heutigen Leben definitiv nichts mehr zu tun. Für Karl-Heinz Brauner vom Historischen Verein Rosenheim ist dies ein Irrtum. Denn, so sagt er, „für einen historisch Interessierten ist es offensichtlich, dass heutiges rechtsradikales Denken und Argumentieren nicht aus dem luftleeren Raum kommt. Es folgt Mustern und Ideen, die schon damals vorhanden waren“. Heute aber komme noch ein weiteres hinzu: Der perfide Versuch, die Geschichte – unsere Vergangenheit – einfach neu zu erfinden, gewissermaßen auf rechts zu drehen. Karl-Heinz Brauner: „Wir haben es ja vor noch gar nicht so langer Zeit erlebt, als Kräfte vom rechten Rand versuchten, aus Adolf Hitler einen zu machen, der kein Nazi, sondern im Grunde ein aufrechter Sozialist gewesen sei“.
Der Historische Verein, so Brauner, habe deshalb das Datum des 9. Novembers zum Anlass für ein Veranstaltungsangebot genommen. Geladen ist der Historiker und Autor Volker Weiß, der in seinen jüngsten Büchern all diese Punkte aufgreift: Mit welchen alten – man ist versucht zu sagen: bewährten – Mitteln und Strategien die extreme Rechte dabei ist, unsere demokratische Gesellschaft auszuhöhlen, samt ihrer Grundwerte: denen der Toleranz und der Achtung der Menschenwürde. Oder anders formuliert: wie Fairness und Anständigkeit im Umgang miteinander zunehmend zu Werten von gestern werden. „Wer das Buch gelesen hat“, so Karl Heinz Brauner, „oder an dem Lesungsabend teilnehmen wird, wird hinterher sicher nicht mehr sagen können, „Wir haben doch nicht gewusst, wie es anfängt und wohin es führt.“
Gerade weil man das aber wissen kann – wenn man denn will – halte es der Historische Verein Rosenheim für wichtig, so Karl-Heinz Brauner, „dass die ganze Zivilgesellschaft gegen rechtsextreme Tendenzen wachsam wird und wachsam bleibt“. Und genau deshalb ist die Lesung von Volker Weiß keine Veranstaltung des Historischen Vereins allein, sondern steht auf breiter Basis: Beteiligt sind auch die beiden Bildungswerke der evangelischen, wie katholischen Kirche und die Rosenheimer Initiative „Gesicht zeigen“.
Er könne wohl für alle Veranstalter sprechen, so Karl-Heinz Brauner, wenn er sage, dass der Besuch dieser Lesung nicht nur Erkenntnisgewinn verspreche, sondern auch ein Zeichen setze: Dafür, dass es in der Zivilgesellschaft breiten Widerstand gäbe, gegen jeden Versuch, unser demokratisch begründetes Zusammenleben zu einem anderen zu machen.
Die Veranstaltung findet statt im Saal der Musikschule (Hans-Fischer-Saal, vierter Stock) im Künstlerhof am Ludwigsplatz. Beginn ist um 19 Uhr.jt