Rosenheim – Mit Beginn der Vorweihnachtszeit rückt traditionell die Frage in den Mittelpunkt, womit Kindern zum Weihnachtsfest Freude bereitet werden kann. Seit Jahrhunderten zählen hölzerne Tierfiguren zu den beliebtesten Geschenken unter dem Weihnachtsbaum. Eine besondere Form ihrer Herstellung stellt das sogenannte Reifendrehen dar – eine kunsthandwerkliche Technik, die ihren Ursprung im Erzgebirge hat und dort bis heute als Ausdruck regionaler Identität und handwerklicher Meisterschaft gilt. Im Holztechnischen Museum sind in der Abteilung „Drechseln“ mehrere Objekte zum Thema Reifendrehen ausgestellt. Sie veranschaulichen den Herstellungsprozess und zeigen, wie aus einem einzigen gedrechselten Holzreifen eine Vielzahl von Tierfiguren entstehen kann. Das Reifendrehen entwickelte sich aus dem älteren Figurendrehen, einer handwerklichen Methode der Holzverarbeitung. Während sich in anderen Regionen, etwa in Thüringen, lediglich einfache Ansätze dieser Technik finden, erreichte sie im Erzgebirge ein hohes Maß an Perfektion und künstlerischer Ausprägung. Das Grundprinzip besteht darin, dass aus einem Stück frischen Fichtenholzes auf einer Drehbank ein ringförmiger Körper – der sogenannte Reifen – gefertigt wird. Dessen Querschnitt wird so gestaltet, dass er die Umrisse eines Tieres zeigt. Nach Abschluss des Drehvorgangs wird der Holzreifen in zahlreiche dünne Scheiben zerteilt, ähnlich wie ein runder Kuchen in Stücke geschnitten wird. Diese Scheiben bilden die Rohlinge für die späteren Tierfiguren.
Die grob geformten Stücke werden anschließend in warmem Wasser erweicht, um sie besser weiterbearbeiten zu können. Mit wenigen gezielten Schnitten werden die Rohlinge sodann zu klar erkennbaren Tiergestalten geschnitzt. Hörner, Schwänze und andere feine Details werden angeleimt, bevor die Figuren abschließend bemalt werden. Trotz der zunächst einfach erscheinenden Technik erfordert das Reifendrehen ein außerordentliches handwerkliches Geschick und ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen. Der Reifendreher muss in der Lage sein, in der Negativform des Holzreifens bereits die spätere Positivform des Tieres zu erkennen.
Charakteristisch für diese Technik ist ihre hohe Effizienz: In nur einem Arbeitsschritt können Hunderte von Figuren entstehen – ein bemerkenswerter Fortschritt in der traditionellen Spielzeugproduktion. Dennoch bleibt jedes Stück ein handgefertigtes Unikat mit individuellem Charakter. Nur erfahrene Meister, die über ein feines Formgefühl und jahrelange Erfahrung verfügen, sind in der Lage, die komplexe Umsetzungsleistung zu erbringen, die das Reifendrehen erfordert.
Mit zunehmender Industrialisierung, steigenden Qualitätsanforderungen und der Verbreitung automatisierter Fertigungsmethoden wurde das Reifendrehen im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend verdrängt und zählt heute zu den selten gewordenen Handwerkstechniken der Holzkunst. Seine kulturelle Bedeutung liegt nicht nur in der kunsthandwerklichen Virtuosität, sondern auch in der Bewahrung einer über Generationen weitergegebenen Tradition.