Rosenheim – „Es ist so widerwärtig. Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen will.“ Zu Beginn der Verhandlung am gestrigen Mittwoch am Amtsgericht Rosenheim findet der Beschuldigte (26) deutliche Worte für das Verhalten von Rosenheims Stadtrat Stefan Bauer (parteilos). Im Verhandlungssaal haben sich an diesem Tag zahlreiche Zuhörer eingefunden – jeder Platz ist besetzt. Das mag auch daran liegen, dass es um ein politisches Thema geht. Vor Gericht steht ein junger Mann, der mit mehreren Personen am 29. Januar 2025 lautstark gegen die Vereidigung von Bauer im Rosenheimer Rathaus protestierte. Er muss sich vor Gericht verantworten, weil Oberbürgermeister Andreas März (CSU) Strafantrag gegen die Protestierenden gestellt hatte. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch.
Auch Stefan Bauer bei
der Verhandlung vor Ort
Die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Mann vor, die Stadtratssitzung durch „lautstarke Parolen“ so gestört zu haben, dass eine Fortsetzung nicht mehr möglich gewesen sei. Trotz mehrmaliger Aufforderung, die Parolen zu unterlassen oder den Saal zu verlassen, hätten die Beschuldigten nicht darauf reagiert. Schließlich kam es zum Abführen durch die Polizei. Bevor die Verhandlung beginnen konnte, forderte Richter Daniel Musin alle Zuhörer, die auch am 29. Januar in der Sitzung vor Ort waren, auf, den Saal zu verlassen. Denn sie könnten im Laufe der Verhandlung noch als Zeugen in Betracht gezogen werden. Daher musste auch Stefan Bauer, der ebenfalls zur Verhandlung gekommen war, zunächst den Saal verlassen, bis die Beweisaufnahme abgeschlossen war.
Zu Beginn der Verhandlung verliest der Beschuldigte eine vierseitige Stellungnahme. Darin bezeichnet er Bauer als „Galionsfigur der Rechtsextremen in Rosenheim“, kritisiert die Rosenheimer CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig für „ausländerfeindliche Äußerungen“ – und stellt dar, dass hinter der Protestaktion ein politisches Statement stand. Auch OB März wird nicht außen vor gelassen. „Der Oberbürgermeister hat sich gegen die gestellt, die die Verfassung verteidigen, auf die er geschworen hat“, sagt der junge Mann vor Gericht. Er schließt mit den Worten: „Wir sind erst frei, wenn alle frei sind. Deshalb kämpft weiter“, und schließlich der Ausruf, der auch bei der Stadtratssitzung zu hören war: „Wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus hier im Land.“
Im Laufe der Verhandlung wird dann noch einmal durch verschiedene Zeugenaussagen von Polizisten und der Schriftführerin im Stadtrat dargelegt, wie sich der Vorfall im Januar abgespielt hat. Daraus wird deutlich: Die Protestierenden wurden mehrmals zur Ruhe oder zum Verlassen des Saales aufgefordert. Allerdings sei es sehr laut gewesen, weshalb man nicht einschätzen könne, welche Aufforderungen wann bis zu den Demonstranten durchgedrungen seien. Schließlich ergriff die Schriftführerin das Mikrofon und machte eine Durchsage mit denselben Aufforderungen. OB März sprach die Protestierenden den Zeugenaussagen zufolge nur mit einem „Geht halt raus oder seid wenigstens still“ an. Und genau das ist der Punkt, an den die Verteidigerin Rosa Mayer-Eschenbach in ihrem Plädoyer anknüpfte. Ihr zufolge hätte nämlich OB März von seinem Hausrecht – welches er laut Artikel 53 der Gemeindeordnung innehat – Gebrauch machen müssen. Er persönlich hätte die Protestierenden klar und deutlich zum Gehen auffordern und die Durchsage durch das Mikrofon machen müssen. „Es mag sein, dass sich der Sachverhalt so bestätigt hat. In rechtlicher Hinsicht können wir hier aber gar nicht zu einer Verurteilung kommen“, sagt sie und fordert einen Freispruch für ihren Mandanten.
Richter Musin schließt sich in seinem Urteil dieser Argumentation nicht an. „Der Sachverhalt war für mich relativ klar“, sagt er. „Auch wenn es sehr laut war, habe ich keine Bedenken, dass Ihnen klar war, dass Sie aufgefordert worden sind, das Haus zu verlassen.“ Er sehe auch die Gemeindeordnung gewahrt, da es in seinen Augen auch der Wille des OB war, dass die Demonstrierenden den Saal verlassen sollen. Daher verurteilt er den jungen Mann zu 20 Tagessätzen à 70 Euro und bleibt damit unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von 30 Tagessätzen à 70 Euro. Der Richter lobt in seinem Urteil aber auch das politische Engagement des Beschuldigten und dass dies bei jungen Menschen sehr wünschenswert sei. Auch die Staatsanwältin ging in ihrem Plädoyer lobend auf das politische Engagement ein. Dennoch: Der junge Mann und seine Verteidigerin sind unzufrieden mit dem Urteil. „Aus meiner Sicht ist das ein falsches Urteil“, sagt Mayer-Eschenbach nach der Verhandlung. Und auch unter den Zuhörern ist die Stimmung schlecht. „Ich halte das Urteil für eine Katastrophe“, sagt Andreas Salomon. Der 76-Jährige hatte ebenfalls im Januar bei der Vereidigung demonstriert. Auch gegen ihn ist noch ein Verfahren anhängig. Ein Verhandlungstermin wurde ihm noch nicht mitgeteilt.
Kritik an Schuldspruch:
„Absolut daneben“
Für Salomon wäre ein Freispruch das einzig mögliche Ergebnis dieser Verhandlung gewesen. „Nach den politischen Darlegungen des Angeklagten wurde deutlich, dass er sich für den Erhalt der Demokratie einsetzt“, sagt Salomon. „Und ich finde es begrüßenswert, wenn gerade junge Leute sich so mutig hinstellen und deutlich sagen, dass das so nicht geht.“ Für ihn ist klar: „Ein Faschist hat im Rosenheimer Stadtrat nichts zu suchen.“ Dass OB März in diesem Fall mit dem Hausverbot und dem Strafantrag „die harte Keule geschwungen“ hat, dürfe man nicht akzeptieren. Schließlich habe es keine Anzeichen von Gewalt gegeben und die Demonstranten seien letztlich friedlich aus dem Raum geführt worden. „Ich halte das ganze Urteil für absolut daneben“, macht Salomon deutlich.