Rosenheim – Etwa 8700 Kilometer Luftlinie trennen Rosenheim und die koreanische Hauptstadt Seoul. Nach mindestens zwölf Stunden im Flugzeug erreicht man eine andere Welt – kulturell, technologisch und politisch. Heidi Storandt aus Rosenheim zog im Februar 2020 in die Metropole, um für ein großes Schulprojekt des Auswärtigen Amtes zu arbeiten. Zuständig war sie nicht nur für Korea, sondern für die ganze Region Ost- und Zentralasiens. Doch schon zuvor hatte sie ihrer Heimat – vorerst – den Rücken gekehrt.
Heidi Storandt war
nie lange an einem Ort
„Seit dem Abi war ich unterwegs“, sagt Storandt. Die Rosenheimerin machte 2004 ihren Abschluss und ging – wie viele, die die Möglichkeit haben – auf eine Weltreise im Zuge des Programms „Work-and-Travel“. Chile, Australien, Neuseeland und Südostasien – das Around-the-World-Ticket brachte sie einmal um den Erdball. Die Ausbildung zur Tourismuskauffrau absolvierte sie in Innsbruck, bevor sie für ein Praktikum ein Jahr nach Peru zog.
In Peru unterrichtete sie außerdem Deutsch an einer Uni und entdeckte dabei ihr Interesse für die Pädagogik. Wieder zurück in Deutschland studierte sie von 2008 bis 2012 Lehramt für Englisch, Geografie und später auch Deutsch als Fremdsprache in Augsburg. Im Anschluss absolvierte sie das Referendariat in Würzburg und Kaufbeuren. Die nächsten drei Jahre unterrichtete sie an Fachakademien, Berufsschulen und arbeitete mit Flüchtlingen sowie im Bereich der Integrationsarbeit. Denn entgegen dem aktuell vorherrschenden Lehrermangel habe Heidi Storandt keine Chance auf eine Verbeamtung als Lehrerin an einem Gymnasium gehabt. Mit ihrer Fächerkombination habe es seinerzeit ein Überangebot an Lehrkräften gegeben.
Schnell wieder vom Auslandsfieber gepackt, bewarb sie sich an einer deutschen Schule im brasilianischen São Paulo, wo sie zwei Jahre unterrichtete. Durch die Schule hat sie zahlreiche Kontakte geknüpft, unter anderem auch zum Goethe-Institut. So erfuhr sie vom Projekt „Schulen: Partner der Zukunft“ und bewarb sich für die nächste freie Stelle in Seoul.
Nach einem zehntägigen Zwischenstopp in Rosenheim ging es am 1. Februar 2020 nach Südkorea – zum Ausbruch der Corona-Pandemie. „Der Alltag im Lockdown war im Vergleich zu Deutschland recht locker. Es war nie komplett alles geschlossen“, erinnert sich Storandt. Dafür seien die Einreisebestimmungen, die Quarantänemaßnahmen im Fall einer (möglichen) Infektion und die Kontrollen sehr streng gewesen: 14 Tage staatliche Quarantäneanstalt bei Einreise oder Infektion, Überwachung der Einhaltung durch Kontrolleure und Tracking der Anrufe und Kreditkartendaten. „Logistisch war dies jedoch kein Problem, da Lieferdienste in Korea exzellent funktionieren.“
In ihrer Freizeit hat sich Heidi Storandt dem Lauf- und Fahrradsport verschrieben. Deswegen suchte sie auch in Seoul Anschluss an eine Gruppe. Dabei lernte sie nicht nur Menschen aus aller Welt kennen. „Der Sport hat mich an Orte gebracht, wo ich sonst nicht hingekommen wäre.“ Außerdem gebe es außerhalb von Seoul eine gut ausgebaute Fahrrad-Infrastruktur. So konnte sie das Land von Nord nach Süd auf zwei Rädern erkunden. Als alleinreisende Frau im ostasiatischen Raum habe sie nie Probleme gehabt. „Die beiden Inselstaaten Japan und Taiwan habe ich mir auf mehreren Reisen alleine erradelt.“
Außerdem unternahm sie zwei Reisen in die Mongolei für die Abnahme von Deutschprüfungen und Lehrerfortbildungen. Dabei sei ihr aufgefallen, dass die mongolischen Schüler besonders motiviert waren. „Besonders im Fach Deutsch hatten sie exzellente Kenntnisse und möchten gerne nach Deutschland kommen, um im Rahmen der Fachkräfteeinwanderung dort zu arbeiten“, sagt Storandt.
Besonders genossen habe sie auch die Zusammenarbeit mit Kollegen in China. „Ich habe zahlreiche Reisen dorthin unternommen und trotz der Bewachung nie das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden.“ Die Chinesen seien extrem aufgeschlossen.
Kultur geprägt von
traditionellen Werten
Mit Einheimischen in Kontakt zu treten, sei in Südkorea jedoch schwierig: „Explizite Ausgrenzung habe ich nicht erlebt.“ Trotzdem sei das Verhältnis zu Einheimischen distanzierter gewesen. Denn die koreanische Kultur sei geprägt von konservativen Strukturen und Hierarchien, extremer Höflichkeit und Respekt. Das zeige sich darin, dass die Menschen den Blick anderen gegenüber senken oder sich verbeugen, statt Hände zu schütteln. Durch ihre Arbeit habe sie die Systeme gut kennengelernt: Sie seien geprägt von strengen Regeln, die koreanischen Schülerinnen und Schüler seien äußerst diszipliniert.
Gleichzeitig erlebe das Land auch seit Jahren einen Aufschwung. „Der Korea-Hype ist überall spürbar.“ Eine Vermarktungsstrategie? K-Pop, K-Drama, K-Beauty – all das habe dazu geführt, dass immer mehr Touristen Korea besuchen, berichtet Storandt. Wurde in einer Straße oder einem Café für eines der beliebten K-Dramen, einer Art koreanischer Telenovela, gedreht, pilgern seitdem Fans dorthin, machen Fotos und posten diese in den sozialen Medien. „Generell wird sehr viel gepostet“, sagt Heidi Storandt. Auf gutes Aussehen lege man in Korea auch viel Wert: So sehe man sehr viele junge Menschen, die sich nach dem Vorbild ihrer gecasteten K-Pop-Bands wie „BTS“ oder „Six Bomb“ operieren lassen.
Da ihre Stelle auf maximal sechs Jahre befristet war, entschied die Rosenheimerin, dass es ein guter Zeitpunkt war, um heimzukehren. „Aktuell werden Gymnasiallehrer mit meiner Fächerkombi wieder gesucht.“ In Kirchheim bei München arbeitet sie seit Schuljahresbeginn als Gymnasiallehrerin. „Es ist cool, wieder hier zu sein. Ich genieße die bayerische Herzlichkeit, es ist einfacher, mit Menschen in Kontakt zu kommen.“ Auch wenn sie in Korea nie alleine war. Denn was sie vermisse, sei die internationale Gemeinschaft, von der sie ein Teil war.
Einen Kulturschock nach so langer Zeit im Ausland habe Heidi Storandt nach ihrer Rückkehr nicht erfahren, sagt sie auf Nachfrage. Denn sie habe deutsche Zeitungen gelesen und auch Podcasts gehört. Der Bezug zur Heimat war immer da. „Ich war zwar im Ausland, aber ich habe ja trotzdem gewissermaßen für Deutschland gearbeitet.“