Rosenheim – 50 spannende Geschichten über die Stadt Rosenheim enthält das neue Buch „Rosenheimer Geheimnisse“, das Autor Stefan Regniet in Zusammenarbeit mit den OVB-Heimatzeitungen herausgegeben hat. Fünf dieser Geheimnisse stellen wir in loser Folge in den OVB-Heimatzeitungen vor. In der dritten Folge geht es um ein besonderes Kirchenfester in St. Nikolaus, das an das Schicksal der Familie Block erinnert.
Maria Wolfarth ist seit vielen Jahren Stadtführerin in Rosenheim und bietet die Führung „Auf den Spuren jüdischen Lebens in Rosenheim“ an. Sie weiß: Auch in Rosenheim war die Verfolgung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen im Nationalsozialismus eine schreckliche und nicht zu verleugnende Tatsache. Für sie versinnbildlicht dies ein junges Rosenheimer Mädchen, durch deren Tagebücher die Erinnerung an die Zeit der Pogrome und der systematischen Vernichtung jüdischer Bürger heute noch wach bleibt: Elisabeth Block (1923-1942). Heute befindet sich in der Kirche St. Nikolaus an der Südseite ein Fenster, das wunderschön gearbeitet ist und an die Verfolgte erinnert – eine eingelassene Rose und ein Gebet von Papst Johannes XXIII. (1881-1958). Darunter befindet sich der Psalm 13, gelblich leuchtend, matt und kaum durchscheinend, zu beiden Seiten von bunten Mustern eingefasst. Der Psalm verleiht den Klagen Davids über den verzweifelten Wunsch nach Gottes Hilfe Ausdruck. Das wenige Licht, das durch das Fenster hindurchfällt, macht den Südteil der Kirche zu einem besonders andächtigen Ort. Erinnerung ist, was das Fenster hervorrufen soll, und das erreicht es auch unwillkürlich beim Betrachter, selbst wenn er die Geschichte dahinter noch nicht kennt.
Das Fenster, welches 2006 durch Karl Hartmann aus Wiesbaden zur Neugestaltung der Kirche entworfen wurde, erinnert an die nationalsozialistische Verfolgung und wurde Elisabeth Block gewidmet. Sie verleiht der dunklen Zeit, dem Holocaust, in dieser Stadt ein Gesicht, das noch näher und greifbarer an einen heranrückt, wenn sie einfach nur „Lisi“ genannt wird.
„Sie ist nicht die bayerische Anne Frank. Elisabeth Blocks Tagebücher sind nicht politisch geprägt, aber sie dokumentieren ein Leben, das bis etwa 1938 wie das eines normalen Mädchens verlief. Sie ging in Rosenheim zur Schule und war eine der Besten in ihrer Klasse“, weiß Maria Wolfarth über die traurige Geschichte.
Der Historische Verein Rosenheim veröffentlichte 1993 zusammen mit dem Haus der Bayerischen Geschichte mit „Erinnerungszeichen – Die Tagebücher der Elisabeth Block“ nebst der eigentlichen Tagebücher auch eine Aufarbeitung derselben. Lisi – so wird Elisabeth auch von ihrer Cousine Margarete Hinrichsen im Vorwort genannt – beginnt ihre Aufzeichnungen im Jahr 1933, im Alter von zehn Jahren. Aus ihren Tagebüchern geht nur selten direkt hervor, dass ihre Familie jüdischen Glaubens ist. Es sind die Aufzeichnungen eines jungen Mädchens, das seine Gedanken über den Alltag zu Papier bringt. Sie wohnt mit ihrer Familie in Niedernburg, etwa acht Kilometer nordöstlich von Rosenheim, wo ihre Eltern eine Gärtnerei betreiben. Im Jahr 1937 besucht sie die Haustöchterschule in Rosenheim, die spätere Mädchen-Realschule. Am 15. November 1938, nach den Novemberpogromen, wird jüdischen Kindern der Schulbesuch untersagt, und auch
Lisi muss fortan daheimbleiben.
„Etwas später dürfen Juden auch keine Immobilien mehr besitzen, ihr Haus mussten sie verkaufen, dürfen aber weiter im 1. Stock des Anwesens leben. Die Familie versucht, 1941 nach Argentinien auszuwandern und erhält dafür auch die Genehmigung. Doch der argentinische Konsul verweigert ihnen kurz darauf das Visum. Ab Oktober 1941 dürfen Juden Deutschland nicht mehr verlassen“, erzählt Maria Wolfarth die tragische Geschichte weiter. Dass die Familie ihrem grausamen Schicksal um ein Haar hätte entkommen können, geht ihr sichtlich nahe. 1940 wird Lisis Vater zur Zwangsarbeit im Gleisbau verpflichtet. Immer mehr wird sie mit Deportationen Bekannter und Verwandter konfrontiert. 1941 geschieht die für sie bislang größte Einschränkung – mit dem Judenstern und dem Verbot, sich frei zu bewegen. Sie schreibt: „Man kann sich denken, dass die Stimmung ziemlich schlecht ist ob solch einer Gehässigkeit und Boshaftigkeit, denn weiter ist es doch nichts, als die pure Boshaftigkeit]“
Am 8. März 1942 enden Lisis Tagebücher. Sie wird ins Durchgangslager München-Milbertshofen abtransportiert. Dort verliert sich die Spur – vermutlich sind sie und ihre Familie im Lager Belzec oder Sobibor in Polen umgekommen. „Die Tagebücher hinterlassen uns einen Eindruck der Grausamkeit des Dritten Reichs“, so Maria Wolfarth immer noch im Licht des von Karl-Martin Hartmann 2006 gestalteten Kirchenfensters, „und noch mehr überlassen sie uns die Aufgabe, so etwas für alle Zukunft zu verhindern. Hier in der Kirche hat dies einen würdigen Platz der Erinnerungskultur gefunden.“
Das Buch „Rosenheimer Geheimnisse“ von Stefan Regniet ist in den Geschäftsstellen der OVB-Heimatzeitungen erhältlich.