Erfolgreicher Protest gegen das AKW Marienberg

von Redaktion

Buchvorstellung Rosenheimer Geheimnisse Erinnerung an Elisabeth Stechl

Rosenheim – 50 spannende Geschichte über die Stadt Rosenheim enthält das neue Buch „Rosenheimer Geheimnisse“, das Autor Stefan Regniet in Zusammenarbeit mit den OVB-Heimatzeitungen herausgegeben hat. Fünf dieser Geheimnisse stellen wir in loser Folge in den OVB-Heimatzeitungen vor. In dieser Folge geht es um das Aufbegehren der Bürger gegen das geplante Atomkraftwerk Marienberg im Jahr 1978.

Ein kleiner Gedenkstein im Boden direkt beim Rosenheimer Eisstadion: Hell, abgeschrägt und verwittert steckt er dort in der Erde mit der Inschrift, die seine Bedeutung und Tragweite nur erahnen lässt. Er weist auf eine Zeit hin, die alteingesessene Rosenheimer vielleicht noch in Erinnerung halten, die viele aber vielleicht auch verdrängt haben. Auf dem Stein steht geschrieben: Sie kämpfte gewaltlos für eine friedliche und atomstrahlenfreie Welt. 1978 tauchte erstmals Marienberg, nur wenige Kilometer nördlich von Rosenheim, in einem Standortsicherungsplan des bayerischen Landtags als möglicher Ort für ein Atomkraftwerk oder ein konventionelles Kraftwerk auf. Schon seit 1971 hatte es immer wieder Diskussionen um Marienberg als Standort für die Nutzung von Kernenergie gegeben – aber eben noch nie konkrete Pläne. Das änderte sich nun. Und das rief Protest hervor. Jede Menge Protest, mit dem sich Dagmar Deisenberger, Stadtführerin und leidenschaftliche Bürgerin Rosenheims, eingehend befasst hat: „Es wurden Unterschriften gesammelt und unzählige Zeitungsartikel berichteten über Marienberg, die möglichen Folgen und eben das Aufbegehren der Bürger in der Region.“

In der Stadt, dem Landkreis, der gesamten Region und besonders auch in Österreich gab es massiven Widerstand gegen Marienberg. Doch eine Bürgerin tat sich besonders hervor im Sammeln von Unterschriften sowie der Organisation von Protesten. Elisabeth Stechl (1929-2004). Sie ist es auch, der eben jener Gedenkstein am Eisstadion gewidmet ist, denn sie trug maßgeblich dazu bei, dass die Pläne letztlich im Jahr 1998 verworfen wurden.

Elisabeth Stechl (sie war unter anderem 1971 an der Gründung des Rosenheimer Forums beteiligt) hatte sich über viele Jahre hinweg über die Gefahren der Atomenergie informiert und sich stark vernetzt. Sie ging sogar so weit, dass sie eine Aktie der Isar-Amper-Werke erwarb, in deren Verantwortung die Planung lag, um bei Aktionärsversammlungen anwesend sein zu können und das Rederecht zu erhalten. Elisabeth Stechl war für diese Termine immer sehr gut vorbereitet und stellte unbequeme Fragen. Ihr Nachlass, darunter zahlreiche hervorragend formulierte Briefe an die Verantwortlichen, an Lokalpolitiker und auch an den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog (1934-2017), füllt ganze Aktenordner, die im Stadtarchiv Rosenheim eingesehen werden können. Die gelernte Bankkauffrau hatte sich so sehr in Themen rund um die Atomkraft eingearbeitet, dass sie auch für Experten eine anerkannte Gesprächspartnerin war. Dazu zählten schwierige technische, naturwissenschaftliche und wirtschaftliche Probleme der Atomtechnik. Mit der Genauigkeit, Geradlinigkeit, Energie und Beharrlichkeit, für die sie bekannt war, trug sie schließlich einen großen Anteil daran, dass der Freistaat den Standort aufgab. Elisabeth Stechl erhielt viele Auszeichnungen für ihr Engagement, unter anderem die Bayerische Naturschutz-Medaille im Jahr 2000 und das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten 1999. Sie hatte sich vor der Verleihung beim damaligen Staatsoberhaupt Bayerns, Edmund Stoiber, erkundigt, ob er denn wisse, wie sehr sie sich gegen das Vorhaben der Staatsregierung eingesetzt habe. Stoiber entgegnete, dass die Vielfalt der Meinungen und Überzeugungen zum Wesenskern unseres demokratischen Staates gehöre. „Ein Atomkraftwerk wäre für die Region verheerend gewesen“, sagt Dagmar Deisenberger. Sie führt aus: „Abgesehen vom ausbleibenden Tourismus wäre auch die meteorologische Lage nicht die beste.“ Rosenheim liege in einem vom Gletscher geformten Becken, „wir haben hier sehr oft Inversionswetterlage, welche die Luftzirkulation stark einschränkt: Hier unten sitzt man in der Suppe und steigt man auf einen der nahen Berge, herrscht strahlender Sonnenschein – das wäre durch den Wasserdampf aus den Kühltürmen noch verschlimmert worden.“ Tatsächlich war dies eines der Argumente der Atomkraft-Gegner. Außerdem wären die Folgen für den Inn nicht absehbar gewesen. „Elisabeth Stechl ist für mich gewissermaßen ein Vorbild. Sie legte stets hohe Professionalität an den Tag. Ihr ging es nie um persönlichen Ruhm, sondern immer um die Sache – ums Wohl der Gesellschaft. Da kann man nur den Hut ziehen“, erzählt die erklärte Stechl-Anhängerin. Heute ist die Bürgerschaft Rosenheims nicht zuletzt dank Elisabeth Stechl erleichtert, dass die Stadt nicht zum AKW-Standort wurde. Und der Gedenkstein am Eisstadion, der postum am 28. Februar 2009, ihrem 80. Geburtstag, gesetzt wurde, erinnert an eine starke Frau, die sich für diese Zukunft eingesetzt und maßgeblich zum Erfolg beigetragen hat.

Das Buch „Rosenheimer Geheimnisse“ von Stefan Rigniet ist in den Geschäftsstellen der OVB-Heimatzeitungen erhältlich.

So geht’s zum Gedenkstein

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