Versorgungslücke nach Klinik-Kahlschlag?

von Redaktion

So steht es nach den Vogtareuth-Schließungen um die Herzversorgung in der Region

Vogtareuth/Rosenheim/ München – Es kam aus heiterem Himmel. Ein stechender Schmerz, der sich schließlich anfühlte „wie eine Explosion in meiner Brust“. So beschreibt Dieter Fuchs das Gefühl, welches ihn am 10. September 2007 beinahe das Leben gekostet hätte. Überlebt hat er nur aufgrund der schnellen Hilfe. Der heute 71-Jährige hat seine Geschichte dem OVB erzählt, weil es den Ort, an dem ihm das Leben gerettet wurde, künftig so nicht mehr geben wird.

„Zunächst plante man, mich mit dem Helikopter ins Herzzentrum nach München zu bringen, verwarf diese Möglichkeit aber, weil ich diesen Transport wahrscheinlich nicht überlebt hätte“, erzählt Fuchs. Schließlich brachte man ihn in die Herzchirurgie an der Schön-Klinik Vogtareuth. Diese wird zum Ende des Jahres eingestellt. Genauso wie weitere Fachzentren. Seitdem machen sich Sorgen in der Bevölkerung breit: Ist nun die herzmedizinische Versorgung in der Region in Gefahr?

Ex-Herzchirurgie-Chef:
„Er wäre mausetot“

Einer, der sich schon vor einigen Jahren intensiv mit diesen Sorgen beschäftigt hat, ist Professor Dr. Albert Schütz. Er ist der Herzchirurg, der Fuchs damals das Leben rettete. Und auch er sagt: „Er hätte einen Transport nach München bei ausgedehnten Einrissen der Hauptschlagader mit Herzbeuteltamponade nicht überlebt. Er wäre mausetot.“ Schütz war damals auch derjenige, der die Herzchirurgie in Vogtareuth aufgebaut hat. „Es war eine wunderbare Zeit“, sagt er heute im OVB-Gespräch. „Ich konnte mich verwirklichen.“ Im Schnitt behandelte Schütz mit seinem Team über 700 Patienten pro Jahr in Vogtareuth – auch dank der „exzellenten Zusammenarbeit“ mit der Kardiologie des Rosenheimer Romed-Klinikums.

„Ich bin dem Unternehmen Schön-Klinik wirklich dankbar, dass es mich so unterstützt hat“, betont er heute. Die Klinik sei qualitativ hervorragend aufgestellt gewesen. „Wir waren damals dafür verantwortlich, dass keiner hier im Landkreis infolge solcher Notfälle stirbt“, ergänzt er.

Dabei musste die Schön-Gruppe damals massiv dafür kämpfen, dass die Herzchirurgie in den bayerischen Krankenhausplan aufgenommen wird. Letztlich landete das Thema sogar vor dem Münchner Verwaltungsgericht. Denn das bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, wie es damals hieß, lehnte den Antrag auf Aufnahme ab. Die Begründung: „Eine herzchirurgische Abteilung sei nicht bedarfsnotwendig […], da der Bedarf der Bevölkerung an stationärer herzchirurgischer Versorgung im relevanten Einzugsgebiet des Freistaates Bayern gedeckt sei; eine Versorgungslücke sei nicht gegeben.“ So zitiert das Verwaltungsgericht das Ministerium. Zudem merkte das Ministerium an, dass die Fallzahlen zu niedrig seien. Als Grundlage dafür nennt es Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie und des Deutschen Herzzentrums in Oberbayern, wonach mindestens 800 Fälle pro Jahr nötig seien, um ausreichende Qualität zu gewährleisten. Im Laufe des Verfahrens wurde dann der Medizinische Dienst der Bayerischen Krankenkassen beauftragt, die Lage zu beurteilen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass im Behandlungsjahr 2007 von 309 Patienten in der Herzchirurgie 72 Personen Notfallpatienten waren. „Für 59 dieser Patienten wäre der Transport in ein zugelassenes Krankenhaus mit einem deutlich höheren Risiko verbunden gewesen“, heißt es in den Unterlagen. „Der Bedarf für eine Herzchirurgie im Raum Südostbayern wurde […] festgestellt […]“, lautete es im Urteil aus dem Jahr 2009. „Das ist ein Urteil im Sinne unserer Patienten“, sagte Dr. Jens Deerberg-Wittram, damals Geschäftsführer bei den Schön-Kliniken, über das Urteil, wie ein OVB-Bericht von damals belegt. „Die Herzchirurgie im Behandlungszentrum Vogtareuth schließt eine wichtige Versorgungslücke für die Region.“

Welche Notfälle
Kardiologen versorgen

So viel also zum Stand aus dem Jahr 2009. Seitdem hat sich in der Medizin – und in der Kliniklandschaft – einiges getan. „Es gibt bestimmte Krankheiten, die heutzutage auch von den Kardiologen direkt behandelt werden können. Zum Beispiel der akute Herzinfarkt“, erklärt Professor Dr. Jan Gummert, Herzchirurg, Vorstandsmitglied in der Deutschen Herzstiftung und Direktor des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalen in Bad Oyenhausen. „Der akute Herzinfarkt wird mit einem Kathetereingriff in der Regel sehr gut beherrscht, sodass dann nur selten noch Herzchirurgen direkt etwas machen müssen. Falls der Patient kreislaufinstabil wird, hätte auch der Kardiologe heutzutage Geräte, um diesen Patienten zu stabilisieren.“ Im Fall der Fälle könnten solche Patienten also auch in eine herzchirurgische Klinik verlegt werden.

Hinzu kommt, dass die Zahl der herzchirurgischen Eingriffe in Vogtareuth über die vergangenen Jahre massiv gesunken ist. In den Gerichtsunterlagen ist noch von 480 Operationen von Juli 2006 bis Dezember 2007 die Rede. Dr. Schütz spricht sogar von circa 700 Eingriffen pro Jahr in der Hochphase des Zentrums bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden 2020. Im Jahr 2025 wurden, Angaben der Schön-Klinik-Gruppe zufolge, 279 Patienten herzchirurgisch in Vogtareuth versorgt.

„Diese klassischen Notfälle, wie zum Beispiel ein Herzinfarkt, werden in der kardiologischen Klinik gut behandelt, und dann kann ein Patient auch weiterverlegt werden. Man muss akzeptieren, dass es Restrisiken gibt“, sagt Dr. Gummert. „Aber auf der anderen Seite kann man auch immer das Gegenargument bringen: Wenn nur 200 Fälle im Jahr operiert werden, dann ist die Notfallversorgung vielleicht auch nicht so gut, weil das gesamte Team nur sehr selten mit solchen Notfällen konfrontiert ist.“

Deutsches Herzzentrum
München steht bereit

Für die Versorgung herzchirurgischer Notfälle aus der Region wird künftig unter anderem das Deutsche Herzzentrum München zuständig sein. Der Transport dorthin soll bestenfalls mit dem Hubschrauber erfolgen. „Es geht nicht darum, dass eine herzchirurgische Klinik vor Ort ist. Es geht vor allem darum, dass die Diagnose rechtzeitig gestellt wird“, macht Dr. Gummert im OVB-Interview zum Thema Aortenrisse deutlich. „Viele Patienten wohnen in einer ländlichen Gegend. Von dort aus muss meist der Transport mit dem Hubschrauber erfolgen. Wenn man 20 Minuten länger oder kürzer fliegt, ist das nicht so dramatisch. Schwieriger ist es natürlich mit dem Auto.“ Dr. Schütz betont allerdings: „Es gibt Fälle, die können praktisch nicht transportiert werden. Und die sterben, wenn sie nicht innerhalb kürzester Zeit operiert werden.“ Doch wie sieht es mit den Kapazitäten im Deutschen Herzzentrum in München aus? Auf OVB-Nachfrage erklärt man dort: „Das Deutsche Herzzentrum München verfügt über Kapazitäten, um Notfälle – darunter auch Aortendissektionen – aus dem Umland aufzunehmen und zu versorgen.“ Bereits in den vergangenen Tagen seien dort mehrere Patienten aus dem Klinikum Vogtareuth übernommen und erfolgreich chirurgisch behandelt worden.

Steigende Kapazitäten
in der Landeshauptstadt

Zudem plane man am Herzzentrum in München, die Kapazitäten weiter auszubauen. „Diese Entwicklung steht in einem größeren Zusammenhang der Versorgungsplanung und ist nicht ausschließlich auf die Schließung des Standortes Vogtareuth zurückzuführen“, erklärt man dort auf Nachfrage. Mit einer Zunahme an Fällen mit derselben Diagnose wie Dieter Fuchs, also einer Aortendissektion, rechnet man im Deutschen Herzzentrum München nach der Schließung in Vogtareuth nicht. Bisher wurden dort 40 bis 50 solcher Fälle pro Jahr behandelt.

„Die Bevölkerung in Stadt und Landkreis Rosenheim muss sich keine Sorgen um eine Versorgungslücke im Bereich der Herzchirurgie machen“, heißt es vonseiten des Klinikums. „Die herzchirurgische Versorgung wird weiterhin durch die beiden universitären Herzzentren in München sowie das Städtische Klinikum München sichergestellt. Eine qualitativ hochwertige und schnelle Behandlung bleibt somit gewährleistet.“

Artikel 5 von 11