Rosenheim – Seit dem Jahr 2021 sind immer mehr Menschen von häuslicher Gewalt betroffen. Das geht aus den Daten des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. Die Gewalt in Partnerschaften ist – im Hinblick auf die zur Anzeige gebrachten Delikte – erneut um circa zwei Prozent gestiegen. Warum ist das so?
Der Rechtswissenschaftlerin Susanne Nothhafft zufolge, kann das zwei Ursachen haben. Zum einen könne dieser Anstieg bedeuten, dass mehr betroffene Menschen den Mut haben, eine Anzeige bei der Polizei zu machen. „Sozusagen eine Verschiebung vom Dunkelfeld ins Hellfeld“, sagt Nothhafft. Zum anderen könne es bedeuten, dass die Zahl der von Partnerschaftsgewalt betroffenen Menschen zugenommen hat.
Bayern bisher Schlusslicht
bei Frauenhausplätzen
„Wir leben in Zeiten, in denen Hass gegen Frauen in den Echokammern der sozialen Medien geschürt wird und die Gewalt gegen Frauen deshalb auch im analogen Raum zunimmt“, sagt Nothhafft und weist in diesem Zusammenhang auf ein anderes Problem hin. „Die aktuelle Dunkelziffer ist riesig: Zwei Drittel der Frauen, die Gewalt erfahren haben, waren weder bei der Polizei noch bei der Beratungsstelle.“ Diese Zahlen gehen aus einer europäischen Studie von 2014 hervor. Eine neue Dunkelfeldstudie liegt für Deutschland aktuell noch nicht vor.
Die Istanbul-Konvention gilt seit 2018 wie ein deutscher Rechtstext. Sie soll Personen, die von Gewalt betroffen sind, schützen. Dabei weist die Konvention die notwendige Anzahl von Frauenhausplätzen aus, die sich aus der jeweiligen nationalen Geburtenrate ergibt, aus. Nach dieser Vorgabe benötigt Deutschland 2,5 Betten pro 10.000 Einwohnern.
Die Umsetzung der Istanbul-Konvention liegt auch bei den Bundesländern. Das bedeutet, dass sowohl die Finanzierungsmethode als auch die Berechnung von Frauenhausplätzen in jedem Bundesland unterschiedlich sind. „Bayern war bisher bundesweites Schlusslicht im Vorhalten von Frauenhausplätzen“, sagt Nothhafft. Grund hierfür ist die Berechnung. Anders als in der Konvention vorgegeben, berechnet Bayern einen Platz pro 10.000 Einwohnern. Somit wurde der Bedarf an Frauenhausplätzen in Bayern rechnerisch um mehr als die Hälfte reduziert. Obwohl sich die Kommunen um eine Verbesserung von Gewaltschutz wirklich engagieren würden, „sind die Vorgaben der Istanbul Konvention in einigen Bereichen nicht nachhaltig umgesetzt“, betont Nothhafft. Marita Koralewski, Leiterin des Frauenhauses Rosenheim und Traunstein, nimmt seit Inkrafttreten, der Istanbul-Konvention mehr Aufmerksamkeit auf das Thema häusliche Gewalt seitens der Stadt Rosenheim sowie der Bundesregierung wahr. „Seitdem es die Istanbul-Konvention gibt, wird in der Gesellschaft viel mehr über häusliche Gewalt gesprochen“, sagt Koralewski.
„Ausgelöst durch die Istanbul-Konvention entwickelte Bayern das Konzept ‚Bayern gegen Gewalt‘ mit der Umsetzung des Drei-Stufen-Plans. Das Frauenhaus hat durch den Ausbau des Hilfesystems durch eine Fördererhöhung mehr Stunden für die Beratung (zehn Stunden) und Kinderbereich (zehn Stunden) finanziert bekommen. „Auch die Einrichtung des bundesweiten Hilfetelefons trägt zu einer Entlastung der Telefonberatung in den Frauenhäusern bei“, sagt Koralewski.
Die Frauenhausfinanzierung ist in Bayern an den „Bezug von Leistungen nach dem zweiten und zwölften Sozialgesetzbuch“ gekoppelt. Das bedeutet, dass geflüchtete Frauen, die keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland haben, sowie Auszubildende oder Studentinnen, kein Anrecht auf eine staatliche Finanzierung ihres Frauenhausplatzes haben, sagt Rechtswissenschaftlerin Nothhafft. Also müssen diese Personengruppen, wenn sie Sicherheit und Unterstützung brauchen, ihren Frauenhausplatz selbst bezahlen. „Mein Wunsch wäre eine bundeseinheitliche Frauenhausfinanzierung“, sagt Nothhafft.
Marita Koralewski bestätigte die Aussage von Nothhafft. „Ist jedoch eine Frau in großer Gefahr, kann das Frauenhaus in besonderen Situationen für einen kurzen Zeitraum einen Platz anbieten, der über Spendengelder finanziert wird.“
Betroffene müssten zumindest bei Fachberatungsstellen keine Angst haben, dass ihnen die Gewalterfahrung nicht geglaubt wird. „Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Personen, die von Gewalt betroffen sind, bei einer Fachberatungsstelle gut beraten werden“, sagt Nothhafft. Die Glaubwürdigkeit der berichteten Gewalt würde hier grundsätzlich nicht infrage gestellt werden. Auch bei der Polizei hätte sich vor allem in den vergangenen Jahren etwas getan, betont Nothhafft. Das heißt, es gibt für sexualisierte Gewalt wie auch für häusliche Gewalt Sonderdezernate, die auch mit Frauen besetzt werden.
Betroffene können
ohne Angst zur Beratung
Schwieriger sei es jedoch in Verfahren vor Straf- oder Familiengerichten. Hier stehe oft Aussage gegen Aussage. „Da ist dann die hässliche, aber naheliegende Verteidigungsstrategie der Täter, zu sagen, das Opfer lügt“, sagt Nothhafft. Wenn hier keine anwaltliche oder beraterische Begleitung und Unterstützung stattfindet, könne das eine erneute belastende Erfahrung für das Opfer sein.
Sind Betroffene der Partnerschaftsgewalt erst einmal entkommen, fängt eine besondere Zeit der Gefährdung an. Die Fehlannahme sei hier, dass die Gewaltausübung mit der räumlichen Trennung ein Ende hat. Doch tatsächlich ist die Zeit nach der Trennung statistisch gesehen die gefährlichste Zeit für Personen, die von Gewalt betroffen sind, wie Nothhafft erklärt. Von Bedrohungen und Stalking über körperliche sowie sexualisierte Gewalt bis hin zu Femiziden könne alles passieren.