Der Nikolaus stapft in dunkler Nacht durch den Schnee auf die Hütte zu. Fotos privat
Rosenheim – Es ist wohl 30 Jahre her, als mich Anfang Dezember ein Anruf unserer Hüttennachbarin erreichte mit der Bitte, für ihr Enkelkind auf der Skihütte als Nikolaus zu erscheinen. Ohne langes Überlegen sagte ich ihr zu, denn, erstens war es für mich eine Ehre und zweitens kamen doch in diesem Augenblick spontan allerschönste Erinnerungen an meine eigene Kindheit auf.
Heute noch bin ich meinen Eltern sehr dankbar dafür, dass sie mir die Geschichte, die heutige aufgeklärte rationale Gesellschaft sagt Lüge dazu, vom Nikolaus und seinem Krampus erzählt haben. Mir wäre sehr viel an Aufregung und Vorfreude auf sein Kommen, aber ebenso große Erleichterung über sein Gehen entgangen. Wie enttäuscht wäre ich gewesen, wenn er nicht gekommen wäre.
Nikolaus unter Zeitdruck
Damals drängte für meinen Nikolausauftritt die Zeit. Vom Auftragseingang an den himmlischen Boten bis zu seinem Erscheinen waren es nur noch wenige Tage. Zum Glück hatte ich aus alten Kirchenbeständen einmal ein entsprechendes abgelegtes Gewand bekommen. Stab, Mitra, das dicke Buch und der unbedingt notwendige weiße Bart fehlten noch.
Stab, Buch und Bart konnten schnell besorgt werden, wenn auch hierbei ein Strafzettel von damals 30 Mark wegen Falschparkens heraussprang. Die große goldene Mitra erforderte bis zum Schluss noch einige Bastelarbeit. Sie wurde aber noch rechtzeitig fertig.
Ebenso bekam auch die auftraggebende Oma ihre Aufgabe zugeteilt. Sie musste für den gabenbringenden Himmelsmann neben den Geschenken für die kleine Sabrina auch Geschenke für die anwesenden Erwachsenen besorgen, denn ein guter Nikolaus kommt doch nicht mit leeren Händen. Auch nicht zu den Erwachsenen.
Der 5. Dezember brachte allerdings Sturm und heftigen Schneefall. Doch wenn ein Nikolaus sein Kommen zusagt, dann steht er auch zu seinem Wort. Als Zugeständnis an die Neuzeit fuhr ich vollbepackt mit Rucksack, Hirtenstab und „Requisitentasche“ mit der neuen Kabinenbahn bergwärts um dann auf Schiern zur Hütte auf 1400 Meter Höhe zu gelangen.
Der Abend kam und die Aufregung stieg nicht nur bei mir, sondern noch mehr bei der Oma. Sie konnte es in ihrer Ungeduld fast nicht mehr erwarten. Doch der Himmel kennt bekanntlich keine Eile. Am ruhigsten war wahrscheinlich Sabrina, denn sie wusste noch nicht, dass der Nikolaus an diesem Abend zu ihr kommt und sie dachte bei diesem miserablen Wetter bestimmt nicht daran, dass er überhaupt kommen könnte.
Nach der letzten Generalprobe in der eigenen Hütte ging es los – leider nicht so, wie ich es mir ausgemalt hatte. Der Sturm und das Schneegestöber machten es unmöglich, in vollem Bischofsornat durch den nächtlichen Schnee zur Nachbarhütte zu gehen. Ich hatte mir das so schön und stimmungsvoll vorgestellt. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als alles in den Rucksack zu packen, durch den knietiefen Schnee zu waten und mich dann im Stall beim Nachbarn umzuziehen. Auch andere Schuhe hatte ich dabei, denn ich wusste noch aus eigener Erfahrung, wie genau ich damals den Nikolaus trotz meiner Aufregung von oben bis unten angeschaut hatte und ich ihn an den Schuhen als unseren Nachbarn erkannte.
Endlich war es soweit. Meine kleine Glocke kündigte mich an. Ich stapfte noch einige Meter durch den frisch gefallenen Schnee. Durch die beschlagenen Scheiben der kleinen Fenster der Stube sah ich, wie gespannt schon Sabrina, ihre Eltern, die Großeltern, eine Nachbarin und auch die Frau des Nikolaus auf den Besuch warteten.
Würdevoll trat ich ein und musste zunächst natürlich aufpassen, in der niedrigen Tür nicht die Mitra zu verlieren. Dann stand ich in voller Größe in der kleinen Hütte. Und vor mir Sabrina, aufgeregt mit roten Backen.
Brav hielt sie meinen Stab, um dann unter kräftiger Mithilfe der Mutter ein Gedicht aufzusagen. Ein wenig leid tat sie mir schon. Aber Würde muss sein, und so teilte ihr, wie seit vielen Generationen üblich, der heilige Nikolaus den Grund seines Kommens mit, um ihr dann die guten und weniger guten Taten aus dem großen goldenen Buch vorzulesen. Woher hat der Nikolaus wohl all die Informationen? Trotz aller Unsicherheit fiel der Blick des Kindes aber immer wieder auf den mitgebrachten Sack. Vielleicht ist da doch etwas für mich drin? Wie zur Erlösung und dem Stillen ihrer Ungeduld bedachte ich sie dann mit kleinen Geschenken.
Auch die Großen
müssen ein Lied singen
Auch die Großen mussten, bevor sie aus dem mitgebrachten Gabensack ihren Teil erhielten, auf Bitten dem Nikolaus ein Lied singen. Ein Entrinnen gab‘s nicht. Über die Qualität des Vortrags aber schweigt der heilige Mann aus Höflichkeit.
Nachdem sich der Nikolaus verabschiedet und alle guten Wünsche für die bevorstehende Zeit ausgesprochen hatte, musste er wieder in die stürmische Winternacht hinaus. Einige Stamperl Obstler, zusammen mit dem Opa vor der Hütte getrunken, ließen die Kälte besser ertragen.
Bei herzhaft duftendem, frisch gebackenem Leberkäs aus dem holzbefeuerten Hüttenofen versammelten sich dann die Erwachsenen zu froher Runde an diesem, auch für den Nikolaus sehr schönen und ihn so sehr an seine eigene Kindheit erinnernden Vorabend des Nikolaustages. Ich hab’s sehr gerne gemacht.