Rosenheim – Es ist ein Problem, dessen man nur „sehr schwer Herr“ wird. Das machte Oberbürgermeister Andreas März in der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz deutlich. Diskutiert wurde – mal wieder – darüber, wie Saatkrähen aus den Siedlungsgebieten vertrieben werden könnten. Die SPD schlug vor, an einem Versuchsprojekt teilzunehmen, das unter anderem in Ansbach-Bäumenheim, Erding und Straubing läuft.
Eingesetzt werden dort beispielsweise reflektierende Flatterbänder und Greifvogelattrappen. Die Wirksamkeit dieser Methoden wird durch Wildkameras dokumentiert und wissenschaftlich evaluiert. Falls diese Maßnahmen nicht greifen sollten, sieht der Versuch in einem letzten Schritt auch den Abschuss einzelner Tiere vor. „Durch eine Teilnahme an dem Projekt können wir eine lösungsorientierte Strategie entwickeln“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Abuzar Erdogan. Jedoch sprachen sich die Mitglieder des Ausschusses mit deutlicher Mehrheit gegen den Vorschlag aus. Wie man das Krähenproblem dennoch in den Griff bekommen könnte, zeigt ein Blick nach Fürstenfeldbruck. Dort hat sich Krähen-Experte Uwe Temper etwas einfallen lassen.
Sie werden von vielen Menschen als Krähenflüsterer bezeichnet.
Soweit würde ich nicht gehen. Aber ich beschäftige mich schon sehr lange intensiv mit der Biologie der Vögel. Im Landkreis Fürstenfeldbruck kartiere ich die Vögel für das Landesamt für Umwelt seit über zehn Jahren.
Würden Sie sagen, dass wir in Bayern ein Krähenproblem haben?
Das ist Ansichtssache. Wenn die Vögel innerhalb von Siedlungsgebieten brüten, ist das natürlich mit einer erheblichen Lautstärke und auch mit Schmutz verbunden. Das sorgt oft für Beschwerden aus der Bevölkerung.
In Rosenheim wird schon seit vielen Jahren über die Krähenproblematik diskutiert. Lösungen zur Vergrämung gibt es bisher jedoch keine.
Dabei gibt es durchaus positive Erfahrungen. Beispielsweise im Landkreis Fürstenfeldbruck. Dort sorgen Krähen schon seit vielen Jahren für Probleme. Wir hatten hier zum Beispiel eine Kolonie, die sich rund um den Friedhof niedergelassen hat. Es gab Beschwerden von Anwohnern, aber auch von Friedhofsbesuchern. Nicht nur wegen des Lärms, sondern auch wegen der Kotspritzer auf den Grabsteinen.
Kein unbekanntes Problem.
Über die Jahre haben sich die Krähen immer weiter ausgebreitet. Fast überall gab es Probleme, weil sie sich hauptsächlich in Siedlungsgebieten niedergelassen haben.
Genau wie in Rosenheim.
Das ist nicht weiter verwunderlich. Schuld daran ist übrigens der Mensch. Wir haben die Krähen von den Außenbereichen in die Siedlungen vertrieben. Dort wurden sie vergiftet, gestört und erschossen. Krähen sind sehr intelligente Tiere. Irgendwann haben sie realisiert, dass es viel sicherer ist, wenn sie in Siedlungsgebieten brüten.
Also hat es nichts mit der Tatsache zu tun, dass es für die Vögel mehr Futter in den Siedlungsgebieten gibt?
Nein, nicht wirklich. Futter holen sich hiesige Saatkrähen nach wie vor von außerhalb, beispielsweise von Feldern.
Aber man sieht auch in der Stadt immer wieder Krähen, die im Müll wühlen.
Das sind aber in der Regel keine Saat-, sondern Rabenkrähen. Die werden von der Normalbevölkerung aber nicht unterschieden. Und dabei geht das ganz einfach.
Sicher?
Die beiden Arten haben zwar die gleiche Größe und die gleiche Farbe, der Schnabelbereich bei den erwachsenen Saatkrähen ist aber grundsätzlich hell. Sie haben dort im Gegensatz zu Jungvögeln dieser Art auch keine Federn mehr. Dieser Unterschied lässt sich auch sehr gut ohne Fernglas erkennen.
Die Rabenkrähen machen kaum Probleme, auch weil sie – im Gegensatz zu den Saatkrähen – Einzelbrüter sind. Zudem machen sie weder ausgeprägten Lärm noch Dreck.
Im Gegensatz zu den Saatkrähen.
Korrekt.
Wie haben Sie das Problem im Landkreis Fürstenfeldbruck also gelöst?
Hier wurden vor der Brutsaison bis zu einem behördlich festgelegten Stichtag bestehende und neu zugebaute Nester entfernt sowie durch einen Falkner die Krähen vertrieben. Wenn sie schon gebrütet haben, ist es zu spät.
Einen Falknereinsatz gab es auch in Rosenheim. Problem: Die Krähen haben sich einfach ein paar Meter weiter niedergelassen.
Genau das ist im Prinzip auch hier passiert, mit einem unerwünschten Pingpong-Effekt. Die Vögel sind aus einem Ort verschwunden, im Nachbarort wieder aufgetaucht, dann nach dortiger Vertreibung im Folgejahr erneut im Ursprungsort. Aus diesem Grund ist die Idee entstanden, die Vergrämungen in den betroffenen Kommunen zur gleichen Zeit, das heißt zeitlich koordiniert, durchzuführen. Dadurch wird verhindert, dass die Krähen aus einem Ort vertrieben werden und sich an einem anderen niederlassen. Ich habe diesen Vorschlag vor einigen Jahren bei der dafür zuständigen Höheren Naturschutzbehörde an der Regierung von Oberbayern eingebracht und bin damit auf positive Resonanz gestoßen. Nach Befürwortung auch durch die betroffenen Kommunen wird das jetzt so bezeichnete interkommunale Saatkrähen-Management seither im jährlichen Turnus beantragt, genehmigt und durchgeführt. Die Dokumentation der praktischen Durchführung erfolgt dabei durch ornithologische Begleituntersuchungen als zusätzliche behördliche Auflage.
Wie wurde es angenommen?
Es war ein voller Erfolg. Wir haben im gesamten Landkreis derzeit etwa 1.200 Brutpaare an Saatkrähen. Aber nur noch zehn Nester in sensiblen Siedlungsgebieten.
Wo brüten die Vögel jetzt?
Im Außenbereich, also dort, wo sie kaum jemanden stören. Am Ende des Tages ist es den Saatkrähen komplett egal, wo sie brüten. Sie wollen einfach nur ihre Ruhe haben. Eine Kommune muss also – vor der entsprechenden Vergrämungsaktion – dafür sorgen, dass es Alternativen gibt. Es braucht geeignete Gehölze. Nur dann gibt die Regierung von Oberbayern als höhere Naturschutzbehörde dem Vorhaben auch grünes Licht. Es müssen Bezirke als sogenannte Tabuzonen ausgewiesen werden, in denen die Krähen in Ruhe brüten können. Davon gibt es im Umfeld von Rosenheim wahrscheinlich auch einige, zum Beispiel in Auwaldbereichen.
Gibt es auch Nachteile?
Die Vergrämungsaktionen sind kostenintensiv, dessen muss man sich bewusst sein. Kritik an den Maßnahmen gibt es insbesondere vonseiten der Landwirtschaft. Saatkrähen sind auf den Feldern unterwegs und reißen beispielsweise junge Maispflanzen heraus, wodurch unter Umständen beträchtliche Schäden entstehen können. Die Landwirte befürchten ganz allgemein, dass durch die Vergrämungen das Problem nur verlagert wird und sie die Saatkrähen nach der Vertreibung aus den Siedlungsgebieten am Hals haben. Dies entspricht allerdings nicht der Realität.
Wieso?
Weil die Nahrungshabitate einheimischer Saatkrähen immer schon in den Außenbereichen lagen, spielt es also keine Rolle, wo die Tiere brüten. Übrigens sollte im Zusammenhang mit den landwirtschaftlichen Schäden auch der Nutzeffekt der Vögel nicht übersehen werden, der sich durch die Vertilgung nicht unerheblicher Mengen diverser Acker- und Forstschädlinge im Jahresgang ergibt. Anna Heise