Rosenheim – Christian von Aster liebt Rosenheim. Zumindest könnte man davon so langsam den Eindruck gewinnen. Er war bei der Eröffnung der Titanic-Ausstellung, hat bereits im Dezember 2024 im Lokschuppen eine Lesung gegeben. Jetzt kommt er wieder – mit neuen Geschichten im Gepäck. Warum stillsitzen für ihn keine Option ist und er fast täglich neue Ideen hat, verrät er im OVB-Exklusivinterview.
Sie sind Mitglied der parakryptozoologischen Gesellschaft.
Korrekt. Wir beschäftigen uns mit Kreaturen, die derart ausgestorben sind, dass sie womöglich niemals existiert haben.
Das hört sich etwas wirr an.
Womöglich sind Beispiele hilfreich. Wir forschen beispielsweise zur finnischen Flachwanstschabe, dem stelzbeinigen Stummelschwanzsteinbeißer, der vietnamesische Vampirfledermausforelle oder zum gemeinen Rüsselwurf.
Veralbern Sie mich?
Mitnichten. Die parakryptozoologische Gesellschaft gibt es seit nunmehr über 60 Jahren. Erst kürzlich haben wir uns wieder zum 66. Kongress getroffen, in dessen Rahmen mehr als ein Dutzend Vorträge über Tiere gehalten wurden, die nicht existieren. Vor einem Publikum von 140 Menschen sowie einigen studierten Biologen. Ich persönlich finde es bemerkenswert, dass Menschen sich zehn Stunden lang Vorträge über Dinge anhören, die es nicht gibt.
Wie rutscht man in so etwas rein?
Vor allem, indem man Gleichgesinnte mit einem ähnlich großen Interesse an Wissenschaft und Unsinn findet.
Wie wichtig sind Veranstaltungen wie diese in der heutigen Zeit?
Außerordentlich wichtig. Weil sie meines Erachtens etwas Heilsames, wenn nicht gar Poetisches, haben. Während die Beschäftigung mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Gegenwart einem lediglich die eigene Ohnmacht vor Augen führt, verzweifeln lässt und der Laune nicht zuträglich ist.
Wie schaffen Sie es, ernst genommen zu werden?
Indem ich – und es gelingt mir nicht immer – Humor mit ernsthaften Dingen vermische. Die Menschen mit Humor erreicht habend, kann ich sie hernach mit den unangenehmen Themen konfrontieren. Mein Lieblingsbuchhändler nannte mich diesbezüglich mal einen literarischen Bonbononkel.
Sie sind am Samstag, 13. Dezember, im Rosenheimer Lokschuppen und lesen aus ihrer Weihnachtsgeschichten-Sammlung „Ruprechts großer Rutentest“. Wird es ernst, oder kann auch gelacht werden?
Im besten Fall beides. Wobei ich fairerweise vorausschicken muss, dass ich fortgeschrittene Konsumkritik äußern, oberflächlich weihnachtliche Besinnlichkeit verhöhnen und aufgesetzter Nächstenliebe mit fragwürdigem Humor entgegentreten werde.
Wie kommt das bei den Zuhörern an?
In Leipzig veranstalte ich derlei Lesungen seit nunmehr 15 Jahren – und die sind in der Regel ausverkauft. Was freilich auch an meiner animalischen Ausstrahlung liegen kann (lacht). Die vorgetragenen Texte sind überwiegend eine derart unausgewogene Mischung aus Poesie, Satire und Irrsinn, dass ich seit 15 Jahren ein Geheimtipp bin und vermutlich auch als ein solcher sterben werde. Aber es gibt tatsächlich schlechtere Positionen.
Hätte es nicht auch Vorteile, bekannt zu sein?
Es wäre mit Sicherheit lukrativer, aber nicht einfacher. Wenn die Leute jemanden kennen, haben sie vor allem Erwartungen. Ich hingegen kann meine Ideen umsetzen, ohne dass mir ein Management oder die Verkaufszahlen im Nacken sitzen. Ich muss auch nicht jedes Wochenende auf der Bühne stehen. Dadurch kann ich mich und meine kreative Arbeit jedes Mal neu erfinden.
Woher kommen Ihre ganzen Ideen?
Das kann ich nicht wirklich sagen, ich habe aber das Gefühl, dass sie zu mir kommen, weil sie von mir umgesetzt werden wollen. Wobei ich manchmal leider Schwierigkeiten habe, schlechte Ideen von guten zu unterscheiden.
Der Gewinn steht bei Ihnen also nicht im Vordergrund?
Bei Kunst oder Literatur sollte er das meines Erachtens generell nicht tun. Wobei ich etwa davon lebe, dass Leute, die meine Arbeit wertschätzen, mich im Internet unterstützen. Eine eigenwillige Form von Erfolg jenseits der Bestsellerlisten: Menschen, die mir jeden Monat Geld dafür geben, dass ich mache, was ich liebe.
Auf welche Ihrer Ideen sind Sie besonders stolz?
Die Parakryptozoologie und zwei meiner Romane: „Bromley: (K)ein Agentenroman“ und „Die wahrhaft unglaublichen Abenteuer des jüdischen Meisterdetektivs Shylock Holmes & seines Assistenten Dr. Wa‘Tsun“. Wobei letzterer sogar mit dem Blauen Karfunkel der Deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft ausgezeichnet wurde.
Zurück zu Ihrer Lesung in Rosenheim: Wer sollte sich Tickets kaufen?
Menschen, die gute Geschichten mögen, für Weihnachten nur bedingt viel übrig und Freude an der Sprache haben. Davon ab mache ich mir keine Gedanken über eine mögliche Zielgruppe. Was vielleicht auch erklärt, weshalb ich an dem Abend musikalisch von einer Ukulele begleitet werde.
Sie waren bei der Eröffnung der Titanic-Ausstellung und haben auch eine Rede gehalten. Wie hat Ihnen die Ausstellung gefallen?
Die Ausstellung ist grandios. Und das sage ich nicht nur, weil ich dort gesprochen habe (lacht). Sie ist außerordentlich gut kuratiert und ein verdienter Knaller, würde ich sagen.
Wenn Sie eine Ausstellung machen könnten: Um welches Thema würde es gehen?
Vermutlich die Parakryptozoologie, weil sie einerseits intellektuell anspruchsvoll und andererseits vollkommen unsinnig ist. Was eine immense Bandbreite an Möglichkeiten bieten würde.
Ein absolutes No-Go
an Weihnachten?
Zwang, falsche Verpflichtungen und unaufrichtige Menschen. Ich bin kein Fan von saisonal simulierter Nächstenliebe. Auch weil das Tun von Dingen, die man nicht wirklich zu tun gewillt ist, sich immer irgendwo niederschlägt.
Und wie sieht Ihr perfektes Weihnachtsfest aus?
von Aster: Es ist eines mit den richtigen Leuten, im Zweifelsfall der eigenen Wahlfamilie.Anna Heise