München – An dieses Essen damals im Frühjahr 2013 erinnert sich Jerome Boateng noch sehr gut. Er hatte weder Geburts- noch Namenstag, hatte nicht geheiratet oder ein Haus gebaut, aber er stand an jenem Abend im Mittelpunkt. Jupp Heynckes hatte eingeladen, und die Mitspieler waren dem Innenverteidiger dankbar, denn sie konnten ordentlich schlemmen, ohne einen Cent dafür zu bezahlen. Wettschulden sind Ehrenschulden, der damalige und heutige Bayern-Coach hatte keine andere Wahl: Weil Boateng beim 3:2 gegen Fortuna Düsseldorf im 130. Anlauf sein erstes Bundesliga-Tor gelungen war, musste Heynckes zahlen. Ein Gaumenschmaus.
Man muss nicht unbedingt Kabinen-Spitzel beim Rekordmeister sein, um zu wissen, dass Carlo Ancelotti mit seinen Spielern derartige Wetten nicht eingegangen ist. Sicher, es gab Kadermitglieder (besonders spanisch und italienisch sprechende), zu denen Heynckes’ Vorgänger ein gutes Verhältnis unterhielt. Der einstige Führungsspieler-Kern um Boateng aber gehörte nicht dazu. Der Weltmeister, unter Heynckes und Guardiola Abwehrboss, hatte sogar einen derart schlechten Draht zum Italiener, dass er sich im Sommer mit einem Wechsel auseinander gesetzt hatte. Spekuliert worden war darüber schon länger – nun bestätigte der 29-Jährige seine Überlegungen öffentlich.
„Ich hatte im Sommer ein Gespräch mit den Verantwortlichen darüber, wie sie mich sehen“, sagte Boateng dem „kicker“ und führte aus: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich mir Gedanken mache.“ Zwar wurde auch der Blick der Klubobersten – allen voran Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge – auf Boatengs sportliche Entwicklung von manchmal leisen, manchmal lauteren Zweifeln begleitet, ein Verkauf war keineswegs ausgeschlossen. Boateng aber vertraute seiner Einschätzung, dass er unter Ancelotti kaum zum Zug komme, weil „er mich aufgrund meiner Verletzungen zu wenig gesehen hat“. Man kann nur darüber spekulieren, wie sich der Fall entwickelt hätte, wäre Ancelotti noch Bayern-Trainer. Bei dessen K.o.-Spiel in Paris saß Boateng auf der Tribüne. Eine eindeutige Botschaft.
Boateng gehört zu den Spielern, denen der Trainerwechsel besonders entgegenkommt. Ein Neuanfang tut auch ihm gut. Zum einen, weil er sich nach langen Ausfällen in der Folge von Schulter- und Oberschenkelverletzungen nach wie vor im Aufbau befindet. Zum anderen, weil sein sportliches Image bei den Bayern und darüber hinaus in den letzten beiden Jahre ein paar unschöne Kratzer bekommen hat.
Bei Heynckes’ Einstand gegen Freiburg durfte Boateng von Beginn an ran, auch das war eine Botschaft. Trotzdem wird Boatengs Weg in der Chefetage weiterhin kritisch beäugt. Verstecken darf er sich nicht hinter dem Alles-wird-wieder-gut beim alten und neuen Coach, dem er „ein Fingerspitzengefühl“ attestiert, das „nicht viele Trainer“ haben. Eine neue Wette als Motivationsspitze wäre vielleicht eine Idee. Noch so ein Gaumenschmaus – alle wären Boateng dankbar. hlr