Bastian Schweinsteiger war der Liebling der Deutschen in diesem Sommer 2014. Der Held, der sich blutig durch das WM-Finale von Rio gekämpft hatte. Der Weltmeister, der in Brasilien auch gut freund geworden war mit den Spielern aus rivalisierenden Klubs, vor allem mit denen aus Dortmund. Schweini war einer für alle Fußballfans geworden.
Bis ein paar Tage nach dem Finale und der Rückkehr in die Heimat eine Feier in einem Münchner Musikclub stattfand, Schweinsteiger plötzlich auf der Bühne stand und ins Mikrofon sang: „BVB – Hurensöhne.“ Dummerweise filmte einer der Freunde mit, die Aufnahmen gelangten ins Internet. Für einige war Schweinsteiger nun eben wieder der arrogante Bayern-Spieler.
Die Geschichte holte ihn ein, als er bereits weitergezogen war in den Urlaub nach Kroatien. Dort reagierte er – mit einem Video auf seiner Facebookseite. Freundlicher Gesichtsausdruck, weißes Hemd, im Hintergrund eine eingeschaltete Stehlampe. Dazu die Botschaft: War alles nicht so gemeint, keinesfalls habe er die Dortmund-Fans verärgern oder jemanden beleidigen wollen. „Euer Basti.“ Skandal beendet, Ehre wiederhergestellt.
Oder Franck Ribery, vor ein paar Wochen erst. War sauer, dass ihn im Champions-League-Spiel gegen Anderlecht sein damaliger Trainer Carlo Ancelotti auswechselte. Ribery zog sein Trikot aus und feuerte es auf die Bank. Die Deutungen folgten: Krach zwischen Spieler und Coach, das sicher, womöglich die Mannschaft in Auflösung befindlich. Die Fans gingen mit Sorgen zu Bett.
Und bekamen zum Aufwachen eine Botschaft. Bereits um 6.06 Uhr hatte Ribery (oder sein Management) eine Stellungnahme auf Facebook veröffentlicht. Seinen Trikotwurf stellte er in den Kontext seiner FC-Bayern-Leidenschaft, die er mit einem Foto illustrierte: Er hat in seinem Haus einen Mia-san-mia-Raum. Aufregung, lass nach!
Schließlich die Sache mit Daniel Baier: Bundesligaspieler, seit Jahren die Führungsfigur beim FC Augsburg. Unbescholten ging er durch seine Karriere, harte Aktionen sah man von ihm fast nie, er läuft viel, ist ein guter Techniker.
Doch im Heimspiel gegen Leipzig geht es mit ihm durch. Ihn nerven die Kommentierungen des gegnerischen Trainers Ralph Hasenhüttl aus der Coaching-Zone. Er lässt sich dazu hinreißen, ihm seine Geringschätzung mitzuteilen. Mit einer Proll-Geste, der Runterhol-Bewegung. Er spuckt auch noch demonstrativ aus.
Den TV-Kameras entging das nicht. Nach dem Spiel führte Sky Baier die Szene vor, bat ihn um Bewertung. Er war hilflos („In einem Spiel gibt es Emotionen, nach dem Schlusspfiff sind sie vergessen. Ich habe so eine Geste gemacht, was soll ich dazu sagen?“), aber wirkte heiter. Seine Mannschaft hatte ja gut gespielt und gewonnen.
Fehlverhalten für eine Sekunde – und schon ist die Krise da
Dass das Sportliche in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ankommen würde gegen den von ihm verursachten Tabubruch, wurde ihm erst mit Verzögerung bewusst. Am nächsten Vormittag startete Daniel Baier eine Imagerettungs-Kampagne in eigener Sache – über seinen Instagram-Kanal, aus dem dann die klassischen Medien zitieren würden: „Ich habe in der letzten Nacht kein Auge zugetan, mir auch die Zusammenfassungen unseres Spiels angesehen und mir viele Gedanken gemacht.“ Es folgt: das Eingeständnis, dass die Geste „sinnlos“ war. Allerdings schreibt Baier von einem „Missverständnis“ – und das war es natürlich nicht. Sondern eine Beleidigung.
Der Streit zwischen Baier und Hasenhüttl sorgte im Netz für belustigte Reaktionen, und allein schon, weil der Gegner einer von Red Bull war, schlugen sich auch etliche User auf die Seite des Augsburger Spielers. Doch es gab auch enttäuschte Stimmen: Daniel Baier hätte klarer bekennen sollen, dass sein Verhalten einfach Mist war.
Was diese Fälle verbindet: Alle Akteure haben eine Krise ausgelöst und versuchen, sie über die Sozialen Medien, die ihnen zur Verfügung stehen, zu beenden – oder zumindest zu managen.
Wie funktioniert diese Art von Krisenmanagement? Wie reagieren die Fans darauf? Dazu gibt es mittlerweile auch eine sportwissenschaftliche Untersuchung. Dr. Verena Burk, an der Uni Tübingen Akademische Oberrätin in Sportökonomik, Sportmanagement und Sportpublizistik, hat „Zur Rolle Sozialer Medien in der Krisenkommunikation“ geforscht und die Ergebnisse kürzlich auf dem Sportwissenschaftlichen Hochschultag an der TU München präsentiert.
„Krisen“, sagt sie, „sind ein zentrales Kommunikationsthema in unserer Gesellschaft.“ Und: „In Zeiten hoher Medienpräsenz von Organisationen und Einzelpersonen hängt es häufig von der kommunikativen Leistung ab, ob eine Krise den Niedergang bedeutet oder zur Steigerung der Reputation beitragen kann.“ Das gilt auch für den Sport.
Wie man in Krisen kommuniziert, dazu gibt es bereits eine große Theorie des Wissenschaftlers Timothy Coombs, einem texanischen Professor. Er benennt drei Typen von Krisen, sie reichen von der Opferkrise mit schwacher Verantwortung und geringem Reputationsschaden bis zur vermeidbaren Krise, bei der der Baum so richtig brennt. Und es gibt zehn Strategien, wie man kommuniziert: Leugnen, sich als Sündenbock darstellen, den Ankläger angreifen, den Vorsatz bestreiten, sich rechtfertigen, schmeicheln, Anteilnahme zeigen, barmherzig sein, bedauern. Oder die ultimative Stufe: die Entschuldigung.
Verena Burk hat sich aus dem Sport zwei hochprominente Krisenfälle mit globaler Wirkung herausgepickt. Der erste: Luis Suarez. Der uruguayische Stürmer, heute beim FC Barcelona, biss bei der WM 2014 seinen italienischen Gegenspieler Giorgio Chiellini in die Schulter, es war bereits das dritte Vergehen dieser Art, das er sich in seiner Karriere leistete. Man nennt Suarez den „Beißer“. Zweiter Fall: Tennisstern Maria Sharapowa, 2016 positiv getestet auf die seit kurzem verbotene Substanz Meldonium, ein für Herzkranke gedachtes Mittel. Der Doping-Einschlag in eine bis dahin makellose Vita einer perfekt vermarkteten Athletin.
Beide, Suarez und Sharapowa, gingen unterschiedlich mit ihren Krisen um.
Suarez machte nach seinem Biss erst einmal gar nichts – sieht man davon ab, dass er unmittelbar nach dem Spiel gegen Italien in einem Radioninterview bestritt, Chiellini gebissen zu haben. Das war am 24. Juni 2014. Schweigen auch, als am 26. die FIFA ihn sperrte. Am 28. dann endlich eine Facebook-Nachricht: „Hallo an alle, ich schreibe diese Nachricht, um mich für die dargebrachte Unterstützung und Zuwendung zu bedanken, die ich erfahre. Sowohl ich als auch meine Familie bedanken uns sehr dafür. Vielen Dank, dass Ihr an meiner Seite seid, und ich wünsche mir, dass wir heute alle meine Kollegen unterstützen, die in der Auswahl gegen Kolumbien spielen.“ Die Strategie, so Verena Burk: eine der Abschwächung, ein Schmeicheln. Über den Biss-Vorfall verliert Suarez konkret kein Wort.
Trotzdem: Die Äußerung schlägt ein. 41 684 Kommentare werden zum Suarez-Post verfasst. Das Team der Universität Tübingen hat 250 per Zufallsstichprobe ermittelte ausgewertet.
Ergebnis: 55 Prozent der Kommentare zeigen eine positive Einstellung zu Suarez, 30 Prozent eine negative. Diskutiert wird über den Biss (von einem Drittel), nur jeder Siebte beurteilt, wie Suarez mit der Krise umgeht. Erstaunlich: Nur für 3,5 Prozent ist es ein Thema, dass es nicht die erste Beißerei war.
Sharapova reagiert schnell und kommt gut davon
Am 30. Juni, als Uruguay bei der WM ausgeschieden ist, wird Luis Suarez ausführlicher. Sein neuer Facebook-Post ist überschrieben mit: „Meine Entschuldigung an Giorgio Chiellini.“ Weiter heißt es: „Ich bedauere, was passiert ist. Ich versichere der Öffentlichkeit, dass es einen solchen Zwischenfall nie mehr geben wird.“ Die Einstufung des Krisenmanagements durch Verena Burk: Suarez baue sein Image neu auf.
Nur noch 16 298 Leute reagieren. Das Meinungsbild hat sich geändert: 47,4 Prozent sehen Suarez positiv, fast 30 Prozent negativ, über 10 Prozent ambivalent. Auch die Krisenkommunikation überzeugt nicht (52 Prozent positiv, 37,9 Prozent negativ, 6,9 Prozent ambivalent). Aber nicht einmal ein Viertel der User, die sich mit Suarez’ Krisenbewältigung auseinander setzen, sehen in ihm den Auslöser. Und 94,8 Prozent halten ihm die Präzedenzfälle nicht vor.
Maria Sharapowa ging die Krisenkommunikation mit größerer Sorgfalt an. Ihren positiven Dopingtest publizierte sie selbst. Sie gab eine Pressekonferenz, die sie auf ihrer Facebook-Seite übertrug. Die erste Strategie, so Analystin Verena Burk: „Übernahme der vollen Verantwortung sowie Abschwächung und Ausflucht“. Wirkt: Nur 11 Prozent derer, die sich kommentierend äußern, sehen die Verantwortung bei der Tennisspielerin.
Drei Monate später steht die Sperre fest: zwei Jahre. Und noch einmal vier Monate darauf bestätigt der Sportgerichtshof CAS das Urteil. Scharapovas Tonfall ändert sich – nun attackiert sie die Verbände, die sie nicht über die Änderung der Dopingregularien informiert hätten, und die Medien. Ihre Fans umschmeichelt sie („Hello SharaFamily“), und viele der Kommentierungen auf Scharapovas Facebook-Seite lauten einfach nur „Maria, we love you“, wie Verena Burk mit einem Lachen feststellt. Wurde die Tennisheldin zu Beginn der Krise noch von 90 Prozent positiv gesehen, sinkt die Zustimmung zwar, bleibt aber mit fast 74 Prozent immer noch hoch. Ihr Umgang mit der Krise wird bei 89,1 Prozent positiv bewertet. Verantwortlich für die Krise ist sie am Ende nur noch für 2,7 Prozent. „Zeitnahe Entschuldigung und Verantwortungsübernahme“, so Forscherin Dr. Burk, „führt zu positiven Reaktionen der User“.
Wichtig für die Wahrnehmung ist freilich auch, wie es im richtigen Leben weitergeht. Suarez hat nicht mehr gebissen, Scharapova ist in den Tenniszirkus zurückgekehrt, Schweinsteiger war bei seinem Abschied aus dem DFB-Team 2016 Deutschlands Liebling, und Daniel Baier gab zur Bestätigung seiner virtuellen Entschuldigung noch eine Pressekonferenz, in der er nett lächelte. Beim nächsten Spiel war er gesperrt – doch wurde von den Fans explizit namentlich gefeiert.
Und Ribery? Wurde den ungeliebten Ancelotti los, über den seit dem Rauswurf Spieler und Funktionäre herziehen. Doch der gefeuerte Coach bewahrte Haltung, er twitterte: „Es war eine Ehre, Teil der Geschichte der Bayern zu sein. Danke an den Klub, die Spieler und die grandiosen Fans.“ Richtig reagiert.