München – Vor ein paar Tagen hat Mandy Berg etwas getan, was ihr eigentlich sehr widerstrebt. Sie ist in eine McDonald’s-Filiale spaziert, hat ein Menü bestellt und es dann auch ziemlich schnell verputzt. „Das war endlich mal wieder was richtig Fettiges“, sagt sie und lacht.
Berg, 20, lacht oft an diesem Nachmittag. Sie sitzt an einem Bartisch in Steko’s Münchner Kampfsportzentrum in der Drygalskiallee. Die meisten Besucher, die die Halle betreten, winken ihr zu, manche gratulieren ihr noch. Berg, das Mädchen aus München, bedankt sich dann artig. Sie wirkt entspannt, auch ein wenig stolz. Hinter ihr liegen die schwersten Monate ihrer Karriere. Doch die Geschichte, die sie nun vorträgt, erzählt von einem erstaunlichen Comeback, das niemand vorhergesehen hat – außer ihr selbst.
Vor einem Jahr hat die Boxerin Mandy Berg angefangen, ihre Rückkehr in den Ring vorzubereiten. Sie entwarf einen anspruchsvollen Plan, der kein fettiges McDonald’s-Menü vorsah, wohl aber drei große Wettkämpfe: Die Welt- und Europameisterschaften der Amateur-Kickboxer wie auch die Deutschen Boxmeisterschaften. „Ich wollte zurück“, sagt Mandy Berg. „Ich wollte zeigen, dass ich noch da bin.“
Diese Botschaft ist in der Szene angekommen. Im Kickboxen eroberte sie erst den EM-, dann den WM-Titel. In Cottbus erwies sie sich vor zwei Wochen als beste deutsche Boxerin ihrer Gewichtsklasse (bis 54 Kilogramm). Und zwischen diesen Großevents bestritt sie noch ihren ersten Profikampf als Kickboxerin, den sie auch gewann. Berg ist in diesem Jahr noch ungeschlagen, weshalb sie nun sagt: „Ich habe noch große Ziele.“
Vor 15 Monaten waren ihr diese Ziele noch egal. Ihre Familie erschütterte ein Trauerfall, den sie nicht im Boxring verarbeiten konnte. Mehrere Monate setzte Mandy Berg aus. „Heute ziehe ich daraus meinen Willen, meine Motivation.“ Mehr möchte sie dazu nicht sagen.
Mandy Berg machte den Sport zu ihrer Ausdrucksform. Im November 2016 nahm sie das Training wieder auf. „Es war für mich eine Überwindung, wieder jeden Tag in die Halle zu gehen“, sagt sie. „Ich war langsamer, hatte keine Kondition, war schnell müde und kaputt.“ Trainingspartner, die sie früher dominierte, hatten aufgeholt, sie vielleicht sogar überholt. Ihren neuen Willen stärkte das jedoch nur. Zehn Kilo nahm sie ab. Um die 54 Kilo, die ihre Klasse vorsieht, zu unterbieten, quälte Berg sich. „An manchen Tagen habe ich gar nichts gegessen“, sagt sie und lacht wieder. Sie weiß, dass sich ihr Ehrgeiz ausgezahlt hat.
Pavlica Steko bewundert diese Eigenschaft. Sie fiel dem früheren Kickbox-Weltmeister bereits auf, als Berg vor zehn Jahren in seine Trainingsgruppe einstieg. „Mandy war schon immer sehr talentiert“, sagt er, „aber auch sehr ehrgeizig. Sie war fast jeden Tag da. Das ist untypisch.“
Ihr großer Tatendrang führte dazu, dass Berg neben dem Kickboxen auch in das klassische Boxen einstieg. In dieser Disziplin durfte sie mit 14 Jahren ihre erste EM bestreiten. Die Kadertrainer hatte ihre feine Technik überzeugt. Berg sei schon immer „technisch versiert“ gewesen, erklärt Pavlica Steko, ihr Trainer. Die Boxerin selbst gibt an: „Meine Stärke ist mein Auge.“ Aktionen voraussehen, ausweichen, kontern – diese Fähigkeiten definieren ihren Kampfstil. „Ich bin nicht die K.o.-Schlägerin.“
Weil ihr hoher Box-IQ die Kontrahentinnen in beiden Disziplinen oft überfordert, setzt sie ihre Doppelkarriere bis heute fort – obwohl sich die besten Athletinnen nur auf eine Kampfart konzentrieren. „Wenn die anderen eine Pause machen, ist Mandy schon wieder im Wettkampfstress“, sagt Steko. „Das ist sehr, sehr anstrengend.“
Der permanente Druck spornt Mandy Berg jedoch an. Sie will als Boxerin und Kickboxerin in den Profibereich vordringen – und in beiden Sparten Weltmeisterin werden. „Ich kenne niemanden, der beides macht“, sagt sie. „Das motiviert mich, weil es das noch nicht gab.“ Ihr Trainer gibt sich ein wenig vorsichtiger. Die Olympischen Spiele 2020, wo nur Amateure antreten, nennt er als Fernziel. Aber auch Steko glaubt: „Das ist gerade erst der Beginn.“
Die Herausforderungen werden jedoch nicht kleiner. Mandy Berg hat in diesem Sommer ihre Lehre als Bankkauffrau abgeschlossen, nun tritt sie eine Vollzeitstelle an. An der Schwelle zum Profisport ist die verfügbare Zeit stets ein großer Gegner. Sie will das tägliche Training aber nicht kürzen, sondern nur nach hinten verlegen. Auf Freizeit habe sie eh schon immer verzichtet. Ein hoher Preis, den ihr das Boxen bisher stets zurückgezahlt hat. „Wenn du im Ring stehst und deine Hand hochgeht“, sagt sie, „dann ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Dann weißt du: Der Schweiß, das Training, die Hungerei – das alles hat sich gelohnt.“