Neue Lust statt Hühnerbrust

von Redaktion

Heynckes’ Bayern bestehen ihren ersten Härtetest – auch der Trainer-Oldie zeigt Nehmerqualitäten

VON ANDREAS WERNER

Leipzig – Alles lief geordnet ab im Stadionbauch der Leipziger Arena. Schön in Kolonne tuckerten nach dem Abpfiff des Pokalspiels die auch fern von München imposanten Fahrzeuge der VIPs der Ausfahrt entgegen, als urplötzlich ein Betreuer des FC Bayern zu einem Krankenwagen sprintete. Die Sanitäter rückten nach kurzem Wortwechsel mit einer Trage ab, in Richtung Münchner Kabine.

Die Geisterstunde nahte, es war alles möglich: Spieler mit Sauerstoffmaske nach diesem so hart umkämpften Elfmeterkrimi – oder eben, bloß das nicht: Ein Notfall bei Jupp Heynckes? Den 72-jährigen Trainer hatte man schon während der Partie mit Sorge beobachtet. Nasenbluten hatte er, wie bereits vor ein paar Tagen in einer Trainingsstunde. Am Ende schoben die Sanitäter die Trage wieder leer zurück; falscher Alarm, alles in Ordnung. Heynckes ginge es auch gut, beschwichtigte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge: „Er wird bei uns gut gepflegt und freut sich, dass er wieder bei Bayern ist.“ Auch der Coach gab Entwarnung; er habe nur fest ins Taschentuch geschnäuzt. In Kleinigkeiten jedoch konnte man interpretieren, dass ihn die Partie gestresst hatte. Er wechselte mehrfach das Outfit. Als er am Ende an die Öffentlichkeit trat, trug er unterm Sakko wieder ein frisches T-Shirt.

Ihre neue Lust merkte man den Münchnern am Mittwoch im Verlauf des Spiels immer mehr an. Begünstigt durch ein zweifelhaftes Gelb-Rot für Naby Keita fanden die Bayern in die Partie und bestanden diesen ersten Härtetest unter ihrem neuen, alten Coach. „Wir haben gut gespielt“, meinte Javi Martinez, der nach seiner Einwechslung als Stabilisator viel beigetragen hatte. Ihm ginge es gut, sagte er, als er auf seine frisch auskurierte Schulterverletzung angesprochen wurde. 100 Prozent? Er grübelte ein wenig, dann sagte er: „99,5.“ Er dürfte damit das aktuelle Niveau des Teams nicht ganz erwischt haben, nicht nur im Kommastellenbereich ist da Spielraum. Noch stehen mit dem Ligaduell gegen Leipzig und dem Hit in Dortmund am Samstag drauf die nächsten Runden der Top-Versuchsreihe an. Aber wie Heynckes haben die Münchner in Sachsen bereits Nehmerqualitäten gezeigt. Die kommenden Aufgaben gehe man nun „nicht mit Hühnerbrust an“, sagte Rummenigge. Servus, zurück beim FC Bayern, Mia san mia!

Der Pokalfight hatte viele Geschichten, und es ist den Protagonisten beider Lager hoch anzurechnen, dass sie die fragwürdigen Schiedsrichterleistungen in ihren Analysen nicht ins Zentrum rückten. Er sei „absolut nicht einverstanden gewesen“ mit dem gegen ihn verhängten Elfmeter, sagte Jerome Boateng, „es war ein Witz – aber das gehört zum Fußball“. Rummenigge murkste jede Kritik am Unparteiischen Felix Zwayer mit einem Pauschalverbot ab. Er sei „einer der besten Schiedsrichter in Deutschland“, also basta. Nun, ganz so zielsicher lag der Berliner nicht, aber sogar die unterlegenen Leipziger lamentierten nicht.

Das Spiel habe gehalten, was man sich davon versprochen hatte, fand Rummenigge, diese Einschätzung war mehrheitsfähiger als das Urteil über den Schiedsrichter. „Beide Mannschaften haben ein Top-Spiel abgeliefert, nun sind beide total kaputt, es hat viel Kraft und Saft gekostet.“

Bereist am Samstag trifft man sich wieder, dann in München im Rahmen des Bundesligaterminkalenders. „Wir wollen diesen Schub jetzt mitnehmen, das war heute ein schöner Steilpass von uns“, sagte Rummenigge, ehe er gebeten wurde, dem Krankenwagen Platz zu machen. Das Gefährt reihte sich unspektakulär in die Kolonne der Nobelautos ein. Für Blaulicht sorgen derzeit nur die Profis auf dem Platz. Mit neuer Lust statt Hühnerbrust.

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