Es werde Licht!

von Redaktion

Von Günter Klein

Der legendäre Fußballfunktionär Jean Löring lebt nicht mehr, doch der Nachwelt hat er zwei große Geschichten hinterlassen: die einer Kurzschlussreaktion und die einer Reaktion auf einen Kurzschluss.

Die Kurzschlussreaktion: Löring, dessen Leben eng verbunden war mit dem Klub Fortuna Köln, wurde zum einzigen Vereinspräsidenten im professionellen Fußball, der seinen Trainer nicht nach, sondern mitten in einem Spiel feuerte. Das war im Dezember 1999, als es zur Halbzeit des Zweitligamatches 0:2 gegen Waldhof Mannheim stand. „Raus hier“ sagte Löring in der Kabine zu Trainer Toni Schumacher, dem ehemaligen Nationaltorwart.

Souveräner war der Unternehmer Löring, ein gelernter Elektriker, 1986 gewesen. Da ereignete sich Folgendes: Im Südstadion ging bei 3:0-Führung gegen Darmstadt bei einem Abendspiel das Flutlicht aus. Es stand zu befürchten, dass bei einem Abbruch die Punkte an den Gegner fallen würden, also schritt Löring zur Tat. Auch in seriösen Publikationen kann man nachlesen, er habe mit bloßen Händen die Enden zweier Starkstromkabel zusammengehalten, damit es wieder leuchtet.

„Das“, sagt Manfred Beling, „halte ich für eine Mär, man kann nicht zwei Kabel einfach so zusammenhalten wie Tarzan die Lianen“. Beling ist Diplom-Ingenieur, seit 22 Jahren mit seiner Unternehmen FSB in Wiesbaden spezialisiert auf den Bau von Flutlichtanlagen. Gerade erst hat er auf dem neuen Campus des FC Bayern dafür gesorgt, dass tageslichtunabhängig trainiert werden kann, und zu seinen Projekten zählt auch die Ausstattung der alten Masten im Kölner Südstadion mit neuer Flutlichttechnik. Lörings Einsatz würde er relativieren: „Es kann sein, dass er einen Schalter, der rausgesprungen war, hineingedrückt und gehalten hat.“

Heute jedenfalls könne es solch einen Fall im Profisport nicht mehr geben. „Stellen Sie sich vor“, sagt Beling, „bei einem Abendspiel laufen zwei Spieler aufeinander zu, es gibt einen Stromausfall, es wird dunkel, die knallen gegeneinander, weil sie nichts mehr sehen – was für juristische und versicherungstechnische Folgen das hätte! Aber der DFB hat das alles geregelt.“ Der Deutsche Fußball-Bund und die anderen großen Verbände wie UEFA und FIFA. Teile jeder Flutlichtanlage müssen über ein Notstromaggregat abgesichert werden, das Licht könnte niemals komplett erlöschen, auch nicht bei einem großflächigen Stromausfall – die Vorschriften zu den Wartungsintervallen sind streng.

In Deutschland gab es den Flutlichtpokal

Ohne künstliches Licht kein Sport, das ist schon seit Jahrzehnten so. Weil der große Publikumssport nicht nur an den Wochenenden und tagsüber stattfindet, sondern auch Termine hat unter der Woche, und da geht nur der Abend, wenn die Leute nicht mehr arbeiten müssen. Im Jahr 1876 gab es das erste Flutlichtspiel überhaupt (in Sheffield/England), deutsche Premiere war 1956 in Essen, damals eine Hauptstadt des Fußballs. In den Jahren 1957 und 58 war die Begeisterung für die Innovation und das völlig neue Fußball-Erleben so groß, dass neben dem DFB-Pokal der Flutlichtpokal ausgetragen wurde, die Sieger hießen Eintracht Frankfurt und Kickers Offenbach.

Sportliches Treiben, das bestrahlt wird, ist magisch. Auch heute noch sagen Fußballer, dass sie sich auf Partien der Champions League besonders freuen: Dass die Lampen eingeschaltet werden, signalisiert ihnen: Jetzt kommen besondere Stunden. Die Bundesliga hält ihr Freitagabend-Match in Ehren und hat am Samstag – Beginn 18.30 Uhr – einen weiteren Termin dazugenommen, für den sie den Lichtschalter betätigen muss. Selbst Länderspiele an Samstagen werden um 20.30 Uhr oder später angepfiffen – auch, aber nicht nur, weil da im Fernsehen Prime Time ist.

Die Zuschauer nehmen die Botschaft auf: Die Nacht schafft Feierlichkeit, ein Flutlichtmast, dessen Lampen die Dunkelheit durchreißen, weist den Weg zur Zuflucht. Die Masten des Stadions gehören zur Silhouette einer Stadt wie ihre Kirchtürme und Hochhäuser.

Wobei: Manche Städte haben keine Masten mehr. „In der 2. und 3. Liga“, sagt Ingenieur Beling, „da finden Sie noch überwiegend die offenen Stadien mit Mastenarchitektur“. Fast gar nicht mehr aber in der ersten Liga, „denn zur WM 2006 wurden moderne Arenen erbaut“. Und bei denen kommt das Licht nicht mehr aus vier Ecken, was immer zum charakteristischen Schattenwurf der Spielerfiguren auf dem Rasen gesorgt hatte, sondern von überallher. Unter den Dächern montiert: Lichter, Lichter, Lichter.

Paradebeispiel: Münchner Allianz Arena. Das Spielfeld wird aus 296 Flutlichtern beleuchtet, angebracht in 45 Metern Höhe. Und das Stadion strahlt auch nach außen hin: 1056 der 2784 Luftkissen, die die markante Außenhaut bilden, werden von je 285 LEDs, dem neuesten Schrei der Technik, beleuchtet. Fast ein halbes Jahr dauerte die letzte Umrüstung 2014/15. Auf der ganzen Welt hat man ein Bild der Arena im FC-Bayern-Rot.

Dagegen waren alte Flutlichtmasten armselige Funzeln. In den vergangenen Jahren hat die Lichtqualität in den Fußball-Stadien deutlich zugenommen, was auch an den gestiegenen Ansprüchen der Fernsehanstalten liegt. Flachbildschirme lösten die Röhre ab, HD war die nächste Stufe einer besseren Bildauflösung.

Die FIFA legte für die WM 2006 (die erste Flachbildschirm-WM) fest: Die Stadien müssten mit 1200 Lux aufwarten, zur WM 2010 (da gab es vereinzelt schon HD) wurden 2400 Lux gefordert. Lux bezeichnet den Lichtstrom pro Quadratmeter. Zudem muss die Ausleuchtung gleichmäßig sein – auch dafür gibt es Maßeinheiten.

Die FIFA hat inzwischen auf 2000 Lux reduziert (was daran liegt, dass einer ihrer Top-Sponsoren aus der Branche stammt und momentan nicht mehr als 2000 bieten kann), die UEFA verlangt in der Europa League 1400, in der Champions League 1500 Lux. Die aktuellen Werte der Deutschen Fußball-Liga sind 1400 (1. Bundesliga), 1200 (2. Liga), die 3. Liga muss noch 800 Lux liefern.

Skispringer muss sehen, wo er landet

Natürlich muss ein exaktes Beleuchtungskonzept für jede Arena erstellt werden, schließlich soll von den Scheinwerfern niemand geblendet werden. Dabei geht es auch um die Zuschauer vor Ort. Die Spieler selbst, so Manfred Beling, würden ja nur selten direkt ins Licht schauen. Ihr Blickfeld reiche nicht höher als vier, fünf Meter über die Grundfläche.

Fußball ist nicht der einzige Abnehmer von Flutlichtanlagen. Auch andere Sportarten haben den Reiz der nächtlichen Darbietung erkannt. Im alpinen Skizirkus ist seit 1997 der Nachtslalom von Schladming das Stimmungs-Highlight einer jeden Saison, noch vor der Abfahrt auf der Kitzbüheler-Streif. Über 40 000 Zuschauer stehen am grell erleuchteten Hang. Mit Flachau setzt ein weiterer österreichischer Skiort auf Flutlichtrennen, und in Skandinavien, wo die Tage kürzer sind, ist es ohnehin üblich, die Rennstrecken mit Kunstlicht zu erhellen. Ein Vorteil: Die Sichtverhältnisse sind für alle Fahrer gleich, tagsüber sind sie dem Spiel von Wolken und Sonne ausgesetzt, die Bedingungen können also wechselhaft sein.

Sogar die Skispringer haben die Nacht erobert. Die Vierschanzentournee, beginnt und endet seit 2004/05 mit einem Flutlichtspringen (Oberstdorf, Bischofshofen). RTL, das damals die Rechte hatte, wollte es so; die spätere Sendezeit sollte die Quoten erhöhen.

Für die Springer kein Problem, nicht bei Tageslicht von der Schanze zu gehen. Manfred Beling hat die Beleuchtungsanlage der großen Schanze in Willingen gebaut, er sagt: „Man muss darauf achten, dass die Springer von hinten gut beleuchtet werden, denn sie wollen sehen, wo sie dann aufkommen.“ Heute kann eine Sprunganlage ohne Flutlicht gar nicht mehr rentabel betrieben werden; in Oberstdorf ist sogar an Sommertagen bis um 23 Uhr Trainingsbetrieb.

Im traditionsbewussten Tennis haben die US Open 1978 als erstes Grand-Slam-Turnier mit den Daylight-Gesetzen gebrochen. Altstar Jimmy Connors schaffte es 1992, in seinen 40. Geburtstag hineinzuspielen – Schlagabtausch um Mitternacht.

2008 wagte sich auch der Motorsport auf künstlich beleuchtete Strecken. In Katar war Flutlicht-Premiere für die Motorradfahrer, in Singapur für die Formel 1. Auch Malaysia und Bahrain haben diese Option. Alle Befürchtungen (Irritation der Fahrer durch den eigenen Schatten, möglicher Stromausfall) erwiesen sich bislang als unbegründet. Flutlichtrennen sind auch in der Formel 1 etabliert, weil sie erlauben, die Startzeiten den relevanten Fernsehmärkten in Europa anzupassen.

Weltmarktführer im starken Stadionflutlicht ist Philips, das auch in der Entwicklung der LED-Technologie einen Vorsprung hat. Firmen wie die von Diplom-Ingenieur Beling stellen die Anlagen dann auf.

Mit den großen Stadionprojekten, sagt er, werde aber nicht der Hauptumsatz erzielt. Da zeigt man, was man kann, „aber geht plus minus null raus“. Das Kerngeschäft sind all die kleineren Anlagen, damit Trainingsplätze auch dann nutzbar sind, wenn die Nacht früh hereinbricht. Wie jetzt. Es ist Hochsaison.

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