Ein Umstieg bringt den Glauben zurück

von Redaktion

Irgendwann ist der Glaube verloren gegangen. 10,7 Sekunden über die 100 Meter sind nun nicht gerade schlecht für einen Nachwuchssprinter, aber ob das reicht für ganz oben? Florian Bauer hat mal überschlagen, „acht- bis zehnmal pro Woche hätte ich trainieren müssen, um mich noch mal zu verbessern.“ Ein riesiger Aufwand für die vage Hoffnung, nach einigen Verletzungen zumindest national die Spitze zu erreichen. Und das ohne finanzielle Unterstützung, neben einem Studium. Bauer stand also vor der Frage, vor der viele junge Sportler stehen: Lohnt sich das wirklich? Oder höre ich lieber auf?

In einem Trainingslager ergab sich dann plötzlich eine interessante Alternative. Dennis Pihale, mit einer Bestzeit von 11,7 der Konkurrenz meist hinterhergelaufen, überzeugte ihn von der Idee, es doch mal im Bob zu versuchen. Schnelle Männer sind in diesem Sport gefragt, eine gute Anschubzeit ist schon ein Teil der Miete. Pihale war über seinen Leichtathletik-Coach Korbinian Mayr mit Karl Angerer in Kontakt gekommen, der sich als Landestrainer um den Bob-Nachwuchs in Bayern kümmert. Und Angerer erkannte bald, dass bei Pihale „die körperlichen Voraussetzungen stimmen“. Antrittsschnell und kräftig, schon mal ganz gut. Dazu ist Pihale ein Motorsport-Freak, fährt selbst recht ambitioniert Motorrad. „Er weiß also, wie sich Geschwindigkeit anfühlt“, so Angerer.

„Sie können es schaffen“, sagt Gaisreiter

Der Bobsport lebt von Quereinsteigern. „Eine spezielle Nachwuchsförderung ist schwierig“, sagt Christoph Gaisreiter, sportlicher Leiter beim BRC Ohlstadt. Sein Vater Stefan ist dort eine Legende, einer der Mitbegründer der großen Ohlstädter Bob-Tradition. Christoph war dann 2005 der bisher Letzte, der für das Bob-Dorf Erfolge feiern durfte, jetzt traut er Pihale und Bauer zu, in seine Fußstapfen zu treten. Vater Stefan jedenfalls erkennt viel Talent: „Sie können es schaffen, den Namen Ohlstadt wieder nach oben zu bringen. Von den beiden versprechen wir uns viel.“

Stefan Gaisreiter hat selbst gute Erfahrungen gemacht mit Leichtathleten. Mit Manfred Schumann saß einst ein Sprinter bei ihm an der Bremse, schon damals, Anfang der siebziger Jahre, begann die Ära der Umsteiger aus der Leichtathletik. „Mit ihm als Anschieber bin ich sofort Deutscher Meister geworden.“

Dennis Pihale, heute 24, sitzt selbst am Steuer, das Rennfieber hat ihn gepackt, seit er im Herbst vor zwei Jahren zum ersten Mal die Eisrinne heruntergerast ist. „Adrenalin pur“, schwärmt er, „Achterbahnfahren ist nichts dagegen.“ Und er erzählt von den physikalischen Kräften, die einen brutal in den Schlitten pressen. „Wenn du aussteigst, bist du schon mal zwei Zentimeter kleiner, so wirst du zusammengestaucht.“ Ein absolut „Verrückter“, sagt Stefan Gaisreiter über Pihale. Und das ist ein großes Kompliment.

„Ein harter Job“, wie Willy Michl sang

Mit Florian Bauer, inzwischen 23, hat er das passende Pendant für den Zweierbob gefunden, im Vierer gehören noch Lukas Frytz und Paul Straub zum Team. „Da stimmt die Chemie“, spürt Christoph Gaisreiter, „das ist ein gewachsenes Team, so etwas findet man selten.“ Und das ist schon mal eine gute Voraussetzung, „man ist ja im Winter ein halbes Jahr zusammen, da ist es von Vorteil, wenn man sich blind versteht.“

Gerade stehen Pihale und Bauer mitten in der Qualifikation für den Europacup, „die Konkurrenz ist zwar stark, aber wir können mithalten“, gibt sich der Pilot zuversichtlich. Und dann geht es los, von November bis Ende März, vom Königssee nach Winterberg, Oberhof und Altenberg, nach Igls, La Plagne und St. Moritz. Immer auf Achse. Das Studium muss im Winter ruhen, Pihale bastelt nach dem Bachelor in Mathematik gerade am Master in Management, Bauer studiert Bauingenieurwesen. Als Partner-Uni des Olympiastützpunkts gewährt ihnen die TU München den Freiraum für Urlaubssemester, wobei „Urlaub“ natürlich das völlig falsche Wort ist.

So ein Trainingstag an der Bobbahn ist exakt das, was Willy Michl mal so schön besungen hat: „Ein harter Job“, ein knallharter sogar. „Es ist ja nicht so, wie man es immer im Fernsehen sieht, dass Helfer alles vorbereiten, den Bob vom Lastwagen auf die Bahn hieven und unten wieder abholen. Nein, das machen wir alles selber“, erklärt Florian Bauer. Und zwischen den Trainingsläufen steht Athletiktraining auf dem Plan, abends wird dann noch am Gerät gebastelt, auch eine Begabung als Mechaniker sollte man mitbringen.

Als Leichtathlet schraubt man höchstens mal die Dornen in die Spikes, ob er da nicht doch ein wenig dem Sprint hinterhertrauert? Nein, das Thema hat Bauer abgehakt, die Wettkämpfe bei schön warmem Sommerwetter vermisst er vielleicht ein bisschen, diese spezielle Atmosphäre in den Stadien, „aber wir machen ja auch noch viel Leichtathletik, hier holen wir uns die Grundlagen für den Winter.“

Die letzte Saison ist nicht schlecht gelaufen, vierter Platz bei der Deutschen, zweimal Zweiter bei den Junioren, im Zweier und Vierer am Königssee bayerischer Meister, dazu Sachsenmeister in Altenberg. „Dort schon so gut zu fahren, ist erstaunlich. Altenberg ist eine schwierige Bahn“, lobt Stefan Gaisreiter den Trainingsfleiß: „Eine gute Startzeit allein reicht da nicht.“

Reich werden kann man im Bob nicht

Der frühere Weltmeister ist glücklich, wieder einen hoffnungsvollen Ohlstädter Bob in den Eiskanälen zu sehen. Karl Angerer hat die Burschen nach Ohlstadt vermittelt, „die haben dort eine super Anschubbahn, der Ort ist von München aus gut erreichbar, und mit den Leuten haben wir uns gut verstanden“, so Pihale, der aus Alling stammt.

Unterstützt werden sie bei offiziellen Maßnahmen vom bayerischen Landesverband, der Zweierbob ist von FES geliehen, dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten in Berlin, den Vierer stellt der Verband. Ein paar Sponsoren helfen, die nicht ganz unerheblichen Unkosten zu tragen, „reich werden aber kann man damit nicht“, stellt Bauer klar. Im Gegenteil. „Erst wenn wir es in den Weltcup schaffen, können wir ein bisschen verdienen.“

Der Weg dorthin ist noch weit, „wir geben aber jetzt richtig Gas“, verspricht Pihale. Christoph Gaisreiter erwartet, dass sie in den nächsten Jahren „die Großen nicht nur ärgern, sondern schon vorne mitfahren“. Dass sie das Zeug dazu haben, haben sie bereits bewiesen, Florian Bauer nennt schon mal ganz mutig die Olympischen Spiele 2022 in Peking als Fernziel.

Fernziel ist Olympia 2022 in Peking

Er ist jedenfalls wieder voll motiviert, es ist „einfach ein unglaubliches Gefühl“, mit gut 110 km/h durch die Kurven zu rasen, die ungeheuren Fliehkräfte zu spüren und schließlich heil unten anzukommen. Gelingt nicht immer. „Stürze gehören dazu“, weiß Karl Angerer, selbst ehemaliger Olympia-Teilnehmer. Meist aber gehen sie glimpflich aus, es hat sich viel verändert seit den Zeiten von Stefan Gaisreiter, die Bahnen sind viel sicherer geworden. „Meist bleibt es bei Verbrennungen oder einer Gehirnerschütterung“, sagt Bauer, „es wird viel getan an den Bahnen“, meint Christoph Gaisreiter, der in seiner Karriere auch schon einige kritische Situationen erlebt hat. Wenn auch nicht so dramatische wie sein Vater, der 1980 einen fürchterlichen Sturz in St. Moritz nur mit viel Glück überlebt hat.

Daran aber verschwenden Pihale und Bauer keine großen Gedanken, wenn sie nun in eine spannende und, wie sie hoffen, auch erfolgreiche Saison starten. „Das geht nun durch bis Ende Februar“, gerade mal eine einzige Woche Pause erwartet Bauer. Der Sport lässt ihn einfach nicht mehr los. Und er ist froh, mit dem Bobfahren etwas gefunden zu haben, das ihn so fasziniert, wo er das, was er sich viele Jahre als Leichtathlet erarbeitet hat, erfolgreich einsetzen kann. Der Traum lebt wieder, der Glaube ist zurück. Olympia wäre die Krönung seiner Sportkarriere, die schon ernsthaft auf der Kippe stand.

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