München – Der Flieger in Richtung Lake Placid hob gestern ohne Annika Drazek ab, aber ob die 22-Jährige darüber froh oder traurig sein sollte, weiß sie nicht mal selber so genau. Rene Spies hat entschieden – die Athleten müssen das so hinnehmen. Der Bob-Bundestrainer wollte seiner besten Anschieberin die Reisestrapazen zum Start in die Olympia-Saison ersparen und lässt sie daher beim Auftakt in Lake Placid sowie danach in Park City und Whistler nicht antreten. Der einfache Grund: „In Pyeongchang benötigen wir sie in Bestform.“
Drazek holte sich das nötige Olympia-Feeling gestern dann halt nicht im Flieger, sondern in Düsseldorf. Vielleicht war es ein Trostpflaster dafür, dass sie nicht in Übersee dabei sein kann: Der BSD entsandte die ehemalige Top-Sprinterin als einzige Vertreterin zur Präsentation der Olympia-Outfits. Annika Drazek machte dort eine gute Figur, na klar. Und sie dürfte in diesen Momenten auf der Bühne des DOSB auch gemerkt haben, dass es durchaus sinnvoll ist, diesem Großereignis alles unterzuordnen.
Der Plan sieht vor, dass Drazek daheim in Gladbeck trainiert, während ihre Pilotin Mariama Jamanka ohne sie in die Saison startet. Spies weiß, dass seine Entscheidung „nicht bei allen Beteiligten gut ankommt“, zumal bei Drazeks Rückkehr zum Heim-Weltcup in Winterberg (8. bis 10. Dezember) eine regelrechte Anschieberinnen-Rotation in Gang gesetzt werden dürfte. Die Bundespolizistin ist die mit Abstand Schnellste. Um das olympische Debakel von Sotschi vergessen zu lassen, ruhen die Hoffnungen vor allem auf ihr. Anja Schneiderheinze schob sie 2016 zu WM-Gold, mit Jamanka wurde sie im Frühjahr am Königssee Vierte. Der Druck, der auf ihr lastet, sei für sie „pure Motivation“, sagt sie: „Man muss nur schauen, dass er einen nicht zerfrisst. Easy going.“
Wie weit man es mit „easy going“ schaffen kann, hat Drazek in den vergangenen drei Wintern bewiesen. Kaum war sie da, galt sie als Sternchen der Branche, jede Pilotin hätte sie gerne auf ihrem Schlitten gehabt. Sie sagt zwar, dass „die Konkurrenz langsam aufholt und auch immer schneller wird“. Sie sagt aber auch: „Ich kann noch besser werden.“ Weil sie im Sommer aufgrund eines Muskelfaserrisses und einer Grippe kürzer treten musste, hat sie nun genug Zeit bekommen. Spies erinnert sich gut an die vergangene Saison, als Drazek – nach dem Rücktritt von Schneiderheinze zunächst ohne feste Pilotin – zum Auftakt ebenfalls aussetzte, dann aber in Topform in den Weltcup-Zirkus einstieg.
Die Gladbeckerin nimmt es, wie es kommt. Am liebsten würde sie in Pyeongchang mit Jamanka starten („wir sind ein Team“), sollte sie aber am Ende auf den Schlitten von Stephanie Schneider oder Anna Köhler gesetzt werden, „ist das auch okay“. Anders als bei den Männern macht der Bundestrainer bei den Frauen von seiner Entscheidungshoheit Gebrauch und tauscht Teams auch kurzfristig durch. Drazek sagt: „Ich muss flexibel sein, ich kenne es ja nicht anders.“
Man hält beim BSD große Stücke auf die sympathische Athletin. So große, dass man ihr schon bei ihrem Wechsel von der Tartanbahn in den Eiskanal gesagt hat, dass sie am besten selbst Pilotin werden solle. Im Sommer hat Drazek es versucht, neun „echt krasse Fahrten“ hat sie im Monobob hinter sich gebracht. Es hat Spaß gemacht, das schon, aber: „Es ist auch eine Wahnsinns-Verantwortung.“
Die nächsten Tests an den Lenkseilen sind freilich erst für nach den Spielen geplant. Drazek sagt: „Ich werde es versuchen, aber ich kann nichts versprechen.“ Klappt es nicht, bleibt sie Anschieberin. Klappt es doch, dürfte sie Weltcups in Übersee in Zukunft nicht mehr verpassen.