Rückkehr ohne Scheuklappen

von Redaktion

Ilkay Gündogan deutet in Wembley an, dass er das deutsche Spiel verbessern kann – wäre da nicht sein fragiler Körper

London – Der Ball blieb am Fuß kleben, als hätte er Sehnsucht gehabt und wolle nie wieder weg. Doch der Kontakt endete jäh, wenngleich der Abschied ebenfalls kunstfertig ablief. Fast sanft trennte man sich, mit einem Außenristpass angeschnitten wurde der Ball zurück ins Getümmel geschickt. Dort wurde er weniger pfleglich behandelt. Die wenigsten gingen am Freitagabend in Wembley so stilvoll mit dem Spielgerät um wie der Bundestrainer Joachim Löw bei seiner kurzen Affäre an der Seitenlinie.

Ilkay Gündogan ist eigentlich einer dieser Fußballer, die die Kugel auch umschmeicheln. Doch sein fragiler Körper stört eine anhaltende Liebesbeziehung. Am Freitag in Wembley stand er erst zum 21. Mal für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Platz, das ist für einen 27-Jährigen mit seinen Anlagen verdammt wenig. Die Partie gegen England war der x-te Neuanfang seiner Vita; die WM 2014 verpasste er wegen einer komplizierten Bandscheibenverletzung, die EM vor zwei Jahren, weil ihm die Kniescheibe herausgesprungen war. Für Löw lief er das letzte Mal vor einem Jahr beim 0:0 gegen Italien auf, dann riss sein Kreuzband. Seit September wird er bei Manchester City wieder langsam herangeführt. Ein Jammer, diese Krankenakte.

Gündogan trug beim Abgang aus Wembley seine Kappe tief ins bärtige Gesicht gezogen, als wolle er nichts sehen und nicht gesehen werden. Dabei passt das gar nicht zu diesem umsichtigen Ballverteiler, der auch beim 0:0 gegen die Briten ohne Scheuklappen agiert hatte. Natürlich fehlt ihm noch der Rhythmus, aber er deutete durchaus an, dass er das deutsche Spiel verbessern kann. Die wenigen guten Aktionen am Freitag fanden ihren Anfang meist im Fußgelenk des Ex-Dortmunders. „Man hat seine Qualitäten gesehen“, so Löw.

„Ich weiß, dass ich besser spielen kann und dass noch viel Potenzial nach oben ist“, sagte Gündogan, „ich konnte nicht so aktiv im Spielaufbau sein, wie ich sein wollte.“ Jamie Vardy sei ihm „ziemlich auf den Füßen gestanden“, und noch fehlt ihm die Fitness, um sich dauerhaft eines ekligen Verfolgers zu entledigen. In Manchester kam er bisher nur auf einige Einsätze, keiner länger als 30 Minuten. Am Freitag musste er schon 85 Minuten arbeiten.

Löw will Gündogan sehen, obwohl er ja eigentlich weiß, was er an diesem begnadeten Fußballer hat. Aber Gündogan muss sich eben auch zeigen, denn im zentralen Mittelfeld der deutschen Nationalelf tobt nun einmal der erbitterste Kampf um die WM-Tickets für Russland. Gündogan in Form müsste eigentlich nicht zittern – aber nur, wenn sein Körper mitmacht. Denn dann ist er einer, nach dem sich der Ball sehnt. Einer, den der Ball liebt. Sogar mehr als den Bundestrainer, der – bei allem Respekt – nicht Gündogans Gefühl besitzt.  awe

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