München – Im Frühjahr war Sven Ulreich noch in Abschiedsstimmung. Fast zwei Jahre als Dauerreservist des FC Bayern hatten den Torwart zermürbt, doch das Pech des Manuel Neuer war sein Glück. Mittlerweile ist Ulreich (29) geradezu etabliert. Und obwohl Neuer im Frühjahr zurückkehren wird, kann sich sein Vertreter nun sogar eine Vertragsverlängerung vorstellen.
-Herr Ulreich, seit September sind Sie zertifizierter Sportmanager. Muss Hasan Salihamidzic schon um seinen Job zittern?
Nein, ich habe ja vor, noch eine Weile Fußball zu spielen (lacht). Aber im Ernst: Ich bin froh, dass ich das gemacht habe, weil es ein wichtiger Schritt für meine Zukunft ist. Um etwas in der Tasche zu haben, was ich vielleicht irgendwann brauchen kann.
-Eine Zukunft, die auf jeden Fall im Profifußball liegen wird?
Momentan mache ich mir da noch keine Gedanken. Ich habe das gemacht, weil es mich interessiert hat. Ob es danach im Fußball oder Sport weitergeht, weiß ich nicht. Ich habe ja hoffentlich noch ein paar Jahre als aktiver Fußballer vor mir. Zum Ende hin mache ich mir dann meine Gedanken.
-Der Sportdirektor sucht momentan einen Stürmer. Er soll hochqualifiziert sein, sich aber klaglos hinter einem Spieler einreihen, der das Prädikat „unersetzlich“ hat. Kommt Ihnen das Jobprofil bekannt vor?
Klar. Es ist nicht ganz einfach, Leute zu finden, die jeden Tag im Training Gas geben und sich aufopfern fürs Team.
-Sie kennen die inneren Kämpfe, das Abwägen: Hier die wenigen Spiele, dort das Arbeiten bei einem Top-Klub, das schöne Gehalt, die Titelaussichten.
Natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht, bevor ich herkam. Auch währenddessen. Aber im Großen und Ganzen war es für mich der richtige Schritt, weil es hier superviel Spaß macht. Gerade von solchen Weltklassespielern, die man tagtäglich im Training trifft, kann man enorm lernen. Mit einem Welttorhüter vor sich kann man noch einiges mitnehmen, sei es für die Karriere direkt oder für später. Ich habe in den Jahren hier sehr viel gelernt. Natürlich ist es keine einfache Entscheidung. Aber ich habe den Schritt bis jetzt noch nicht bereut.
-Sind Sie durch die ständige Arbeit mit Manuel Neuer heute ein besserer Torwart als vor zweieinhalb Jahren?
Letztlich müssen das immer andere beurteilen, aber ich habe natürlich dazugelernt. Ich konnte mir von Manu einiges dadurch abschauen, dass ich tagtäglich seine Übungen mache. Ich denke, dass ich auf dem einen oder anderen Gebiet ein besserer Torwart geworden bin.
-Was haben Sie konkret gelernt?
Die Übungen zur Explosivität zum Beispiel übernimmst du automatisch in dein Torwartspiel, auch weil Toni Tapalovic, unser Torwarttrainer, es so fordert. Und natürlich auch das Fußballerische. Die Ruhe, die Manu am Ball hat. Da kann man sich einiges abschauen. Natürlich kann man es nie kopieren, und Manu ist auf einem Niveau, an das niemand anders heranreicht. Aber man kann versuchen zu wachsen und besser zu werden.
-In Leipzig haben Sie neulich den entscheidenden Elfmeter pariert, gegen Celtic Glasgow sogar ein Tor vorbereitet. Das hat Neuer noch nie geschafft. Reden Sie über so etwas?
Ich habe zu Manu ein sehr gutes Verhältnis. Er hat mir hier immer geholfen, wenn ich eine Frage hatte. Deswegen redet man natürlich darüber. Aber es ist nicht so, dass man fragt: „Wie hast Du das gemacht?“ Eher „Glückwunsch“. So war es umgekehrt auch schon, wenn Manu herausragende Spiele gemacht hat.
-Wie schwierig wird es sein, ab Januar, Februar wieder auf der Bank zu sitzen?
Wenn man regelmäßig spielt, die Spielpraxis hat und auch das Feeling, in einem vollen Stadion einzulaufen, ist es natürlich schwer, wieder auf die Bank zu gehen. Aber ich wusste ja, dass das kommen wird. Ich freue mich einfach, dass ich momentan die Chance bekomme. Das ist eine schöne Sache, und ich versuche, das zu genießen, so gut es geht.
-Bei vielen Vereinen gibt es eine Regelung, dass der zweite Torwart in Champions League oder Pokal zum Einsatz kommt. Haben Sie mit Jupp Heynckes darüber mal gesprochen?
Nein. Jetzt steht erst mal im Vordergrund, dass ich gute Spiele mache und wir eine gute Vorrunde spielen. Und natürlich, dass der Manu wieder fit wird. Und dann werden wir schauen, was in naher Zukunft ist. Aber ich denke schon, dass Manu dann wieder viel spielen will, weil es zur WM hingeht. Ich weiß nicht, ob er da so gerne auf Spiele verzichten würde.
-Wenn ein Feldspieler nach längerer Pause eine Chance bekommt, fließt die fehlende Spielpraxis in die Bewertungen mit ein. Ein Torwart hat es nicht so gut.
Das ist nicht einfach, wenn man lange Zeit nicht spielt. Ich habe das auch gemerkt. Wenn man nur für ein Spiel reinkommt, geht es noch. Aber über längere Distanzen braucht man wieder das ganze Feeling, die Abläufe. Das hat man einfach im Training nicht, weil man auf viel kleineren Feldern trainiert.
-Die komplexen Spielsituationen können nicht simuliert werden?
Man macht ja selten ein Spiel Elf gegen Elf. Deswegen ist es nicht einfach. Und dann kommen halt so Fehler vor, wie bei mir zum Beispiel gegen Wolfsburg. Man schätzt den Ball ein bisschen falsch ein und weiß selber nicht genau, warum man das jetzt so gemacht hat. Aber das gehört zum Torhüterleben dazu.
-Ein Bayern-Torhüter wird zudem nicht so oft gefordert.
Als Feldspieler hast du den Vorteil, dass du voll im Spiel drin bist. Hier bei Bayern kommt oft wenig aufs Tor. Und dann hast du so eine Situation, siehst nicht gut aus und wirst gleich hinterfragt. Natürlich wird dann auch gleich verglichen mit Manu. Ob er den gehalten hätte.
-Ein undankbarer Vergleich.
Klar hält er den einen oder anderen Ball, den ich nicht halte. Aber vielleicht halte ich auch den einen oder anderen, den er vielleicht nicht gehalten hat. Im Großen und Ganzen muss man in diese Spiele einfach wieder reinwachsen und sich die Sicherheit zurückholen. Ich freue mich, dass das nach einem schlechteren Spiel gegen Wolfsburg ganz gut gelungen ist.
-Jupp Heynckes hat sich damals, als über Sie gesprochen wurde, klar vor Sie gestellt, die Torwartposition aber auch schnell nicht mehr thematisiert.
Der Trainer hat mir gesagt: „Es war eine Situation gegen Wolfsburg, die nicht gut war.“ Sonst hat er ja kein schlechtes Spiel von mir gesehen. Für die Medien war das ein gefundenes Fressen. Wenn ich den Fehler nicht gemacht hätte, hätte man vielleicht etwas anderes gesucht.
-Geht Ihnen der Rollentausch manchmal zu schnell: Erst der Fehlgriff, dann plötzlich der Retter gegen Leipzig?
Fußball ist so schnelllebig, das sind wir ja gewohnt. An einem Tag bist du der Depp, am anderen kannst du der Held sein. Das ist ja auch auch reizvoll Aber es ist wichtig, dass man auf die Meinung vom Trainerteam Wert legt, auf Experten, die mir jeden Tag zur Seite stehen. Ich glaube, das ist das Wichtigste: Dass man weiß, man hat ein gutes Spiel gemacht, ohne in der Bewertung zu übertreiben. Da muss man die Kirche im Dorf lassen.
-Zuletzt machten Meldungen die Runde, dass Manuel Neuer womöglich noch etwas länger ausfällt. Denken Sie dann sofort daran, dass das Ihre Situation beeinflusst?
Ich habe das natürlich auch gelesen, aber ich sehe den Manu auch täglich. Und oft wird in den Medien etwas anders interpretiert als es bei uns in der medizinischen Abteilung gesehen wird. Es ist einfach wichtig, dass Manu fit wird. Solange er noch nicht spielen kann, versuche ich mein Bestes. Wie lange das sein wird, hängt davon ab, wie weit Manu ist. Die Hauptsache ist, dass alles wieder heil wird. Solange werde ich versuchen, ihn so gut es geht zu vertreten.
-Ihre persönliche Zukunft ist noch nicht geklärt, der Vertrag läuft im Sommer aus . . .
Es gibt noch keine Tendenz. Ich werde schauen, wie die Spiele noch laufen. Dann wird es irgendwann Gespräche geben, aber momentan will ich mich komplett auf die Spiele konzentrieren.
-Haben die vergangenen Monate mit vielen Einsätzen einen Einfluss auf die Entscheidung?
Natürlich wird es schwer fallen, wieder auf der Bank zu sitzen. Aber ich weiß auch, was ich an dem Verein habe. Die vergangenen Monate werden einen gewissen Einfluss haben, aber wichtig ist, dass man sich wohlfühlt und für seine Zukunft schaut, was am besten ist. Und bisher fühle ich mich hier wohl.
-Ihr Marktwert dürfte nach den letzten Spielen gestiegen sein. Das freut den Berater . . .
Es ist immer gut, wenn ich zeigen kann, was ich drauf habe. Und auch, wenn ich den Verein überzeugen und Interesse wecken kann. Ich bin aber keiner, der jeden Tag mit dem Berater telefoniert und fragt, ob es einen neuen Anruf gab. Ich konzentriere mich darauf, dass ich die Spiele gut mache. Alles andere kommt dann von alleine auf einen zu – sei es Vertragsverlängerung oder Wechsel.
-Mit 29 Jahren nähert man sich als Profi dem vielzitierten „letzten großen Vertrag“. Wägen Sie deshalb besonders stark ab?
Auf jeden Fall, deshalb mache ich mir auch keinen Stress. Ich werde im Sommer 30, bin in einem sehr guten Torwart-Alter. Ich habe gute Möglichkeiten – sei es hier oder woanders. Das muss ich abwarten.
-Der Fokus liegt auf der Bundesliga?
Ich fühle mich in Deutschland wohl, ich bin hier aufgewachsen, und die Bundesliga ist eine Top-Liga mit vielen interessanten Klubs. Ich bin aber auch da offen für alles – nur China würde mir nicht passen.
Das Interview führte Marc Beyer