Gegen Leistungsdruck und Ausgrenzung

von Redaktion

Es ist nicht zu übersehen, dass auch schon Fünfjährige viel von dem annehmen, was sie im Fernsehen sehen. Momo hat gerade ein Tor geschossen, nun steht er breitbeinig auf dem Platz, hat die Fäuste geballt und stößt sie fest nach unten. Ist ja okay, findet Ekki, solange sie nicht auch das nachahmen, was ihnen die Kameras sonst so alles zeigen, Blutgrätschen, versteckte Fouls, in Großaufnahme und Zeitlupe. „Da lernen sie, dass man im Fußball Ellbogen braucht, genau das aber wollen wir hier nicht.“

Ekkehard Kissel, den alle nur Ekki nennen, will den Kids Anderes vermitteln, Spaß am Fußball, Helfen statt Treten, Miteinander statt Gegeneinander, er spricht von einer „Community“, von einer Gemeinschaft, die weit über den Fußball hinaus wirken soll. Kommende Superstars ausbilden können andere, es gibt ja viel zu viele Vereine, die schon bei den Kleinsten Leistung in den Vordergrund rücken, Erfolg. Ein Denken, das Ekki und seinen Mitstreitern fremd ist: „Bei uns soll jeder mitspielen, egal, wie gut er ist.“

Trifft einer den Ball nicht, auch egal

Deshalb hat er damals „Westend United“ gegründet, einen etwas anderen Fußballverein. Man spielt in keiner Liga, sucht einfach Spaß, bei Freundschaftsspielen gegen ähnlich strukturierte Teams geht es nicht vordergründig ums Gewinnen, da wird nicht unterschieden zwischen Guten und weniger Guten, da darf auch der mitkicken, der gerade mal irgendwie den Ball trifft. Und trifft er ihn mal nicht, auch egal. Da gibt es sie nicht, die ehrgeizigen Eltern, die den Trainer beschimpfen, weil er den Sieg gefährdet, da wird auf dem Platz nicht gemeckert und geschimpft. „Ich sage den Besseren, dann sollen sie halt den Kleineren helfen, dass sie besser werden.“ Und das, sagt Ekki, funktioniert auch.

So sei eine tolle Gemeinschaft gewachsen im Münchner Westend, „wenn die Kinder in die Schule kommen, kennen sie sich schon, auch die Älteren, die sie dann beschützen und ihnen helfen.“ Und auch die Eltern, die sich bei den Trainingstagen an der Kazmairwiese und im Winter in den engen Schulturnhallen treffen, „genießen es, da ist eine richtig schöne Atmosphäre entstanden“, es trifft sich inzwischen das halbe Viertel, sagt Kissel.

Ekkehard Kissel ist einer der Väter, die ihre Kinder nicht in Vereine schicken wollten, in denen Leistungsdruck herrscht und Ausgrenzung, deshalb hat er vor sechs Jahren mit seinem Kumpel Stephan Bernreiter angefangen, Kindern im Westend eine echte Alternative zu bieten. Fußball ohne brüllende Trainer, schimpfende Eltern, weinende Kinder. Und ohne den Drill. Spielen steht im Vordergrund, spielen, so gut sie es können, mit Freude, mit Leidenschaft, die Trainer, neben Ekki sind das Alex, Chrissi, Stefano, Steffo und Tobi, bei den Mädchen Bianca, Lea, Luisa, Nicole und Stefanie, vermitteln aber auch die Grundlagen der Technik, zeigen Tricks und erste taktische Kniffe, „möglichst langfristig“, so Ekki, sollen die Kids Spaß am Fußball haben.

Westend United liegt damit im Trend, immer mehr kommt man zur Einsicht, dass zu früher Druck der Entwicklung schadet. Der Verband hat, gegen viele Widerstände, die Tabellen abgeschafft bei den F-Junioren, die Idee einer Fairplay-Liga aufgegriffen, in der die Kinder, wie in seligen Zeiten des Straßenfußballs, ohne Schiedsrichter kicken, er hat die Eltern vom Spielfeldrand verbannt und Trainer angewiesen, nur bei Streitigkeiten einzugreifen, er hat im Raum München Funiño installiert, diese wunderbare Spielform, die keine Ersatzbank kennt, jedem Einzelnen, dem „Superstar“ wie dem Mitläufer, gleich viele Spielminuten und damit seinen ganz persönlichen Erfolg gönnt. Man hat dem Kinderfußball den Spaß zurückgegeben, den ihm überehrgeizige Trainer und verblendete Eltern, die ihren Fünfjährigen als nächsten Lahm oder Schweinsteiger sahen, zu nehmen drohten.

Aus 20 Kindern sind nun 120 geworden

Eine Entwicklung, die genau in die Richtung geht, die Kissel und Bernreiter damals angestoßen haben. Und seitdem konsequent durchziehen. Erst sollte es eine Schul-AG werden, dafür aber hätte ein Lehrer abgestellt werden müssen, also hat man es, anfangs mit 20 Kindern, außerhalb der Schule versucht. Erst im Bavaria-Park, im Winter in einer Halle, die dank Kissels Beharrlichkeit bei der Stadt angemietet werden konnte. Dann wurde, vor allem aus Versicherungsgründen ein Verein gegründet, inzwischen sind aus den 20 mehr als 120 Kinder geworden. Und Kissel ist so lange bei der Stadt vorstellig geworden, bis er einen eigenen Platz und zumindest knapp ausreichende Hallenzeiten bekommen konnte.

Vor drei Jahren, so Kissel, sei dann das Thema schon mal aufgekommen: „Spielen wir mit in einer Liga?“ Die Kinder der Anfangszeit waren älter geworden, „es sind richtig gute Fußballer dabei“, die sich gern mit anderen messen würden, aber eben auch Kinder, die zwar Spaß haben, nicht aber das Können, die feine Technik, das Durchsetzungsvermögen. „Schon in einer Kinderliga geht es um den eigenen Vorteil“, da werden dann eben die Ellbogen eingesetzt, hier aber sollen Kinder lernen, dass man auch anders durchs Leben kommt, mit Respekt auch vor einem, der vielleicht manches nicht so gut kann. Bei Westend United wird keiner aussortiert, Ekki verweist auf erschreckende Zahlen, „viel zu viele Jugendliche kehren dem Fußball den Rücken“, dabei könnte sie jeder Verein später gut gebrauchen, wenn nicht als Spieler, dann als Trainer, Betreuer oder in einer anderen Funktion.

Kissel erzählt von Kindern, die „bei jedem anderen Verein weggeschickt worden wären, wir haben uns Zeit für sie genommen“. So habe man in einem Fall größere Sehprobleme festgestellt, die daraufhin behandelt wurden: „Heute ist er ein Klasse-Fußballer.“ Helfen lässt man sich von der „Gesellschaft für Systemische Therapie und Beratung“ (GST), die auch als Sponsor fungiert. „In enger Zusammenarbeit werden unsere Themen Motivation, Selbstwert und Teamgedanken mit der Gesellschaft diskutiert oder auch mal deren Seminarräume für Special-Events mit den Kids genutzt.“

„GST“ prangt auch in Leuchtfarben auf dem Trikot, das jedes Kind bei Westend United bekommt. Um in der Fußballstadt München neutral zu bleiben, hat man als Farbe grün gewählt, nur die Mädchen tragen blau. Stolz laufen nun die Kids mit ihren Trikots durchs Viertel, an Trainingstagen sieht man nun nicht mehr, wie anfangs, den zum Teil doch recht unterschiedlichen sozialen Status, aus dem die Kinder stammten: „Da kamen die einen in nagelneuer Bayernmontur, andere im zerschlissenen Shirt und Bergstiefeln.“ Nun sind sie alle gleich, sie sind „Westend United“, wie sie im obligatorischen Kreis am Ende des Trainings lautstark kundtun.

Die Mitgliederzahl wächst ständig, weil Ekki „einfach nicht nein sagen kann“, der Jahresbeitrag beträgt 40 Euro, damit komme man gut über die Runden, zumal man ein Netzwerk an Unterstützern aufgebaut hat, aus Freunden, Eltern, Geschäftspartnern. Mit den Einnahmen werden Platzmieten bezahlt und der Beitrag an den Landes-Sportverband. Die Trainer arbeiten alle ehrenamtlich und wenn mal ein Überschuss in der Kasse bleibt, gibt es mal Jacken, Sportbeutel oder Schlüsselanhänger, in die Name und Rückennummer eingraviert sind.

An diesem Freitag sind wieder einige Neue gekommen in die eigentlich viel zu kleine Halle an der Bergmannstraße. Für jeden findet Ekki ein freundliches Wort zur Begrüßung, schafft so eine Wohlfühlatmosphäre, die Stunde verläuft ruhig, ohne dass er viel mahnen oder schimpfen müsste. Mit Feuereifer sind die Kids bei der Sache, mühen sich bei den nicht ganz einfachen technischen Übungen, beim anschließenden Spiel kämpfen sie verbissen, noch bildet sich meist ein Pulk um den Ball und wenn der dann, etwas überraschend, doch mal im Tor landet, ist der Stolz groß. Wie bei Momo, dem „Mini-Ronaldo“.

Es gibt auch andere Wege nach oben

Immer wieder gibt es Kinder, die sich als echte Talente entpuppen. Manche zieht es dann doch in einen Verein, der in den Verbandsligen mitspielt, Ekki legt ihnen keine Steine in den Weg, „das zeigt, dass wir nicht alles verkehrt gemacht haben“. Fragt man ihn aber, ob er seinen besten Kickern zum Wechsel rät, spürt man schon, dass er sich einfach nicht so richtig anfreunden kann mit den Ambitionen vieler Klubs, mit dem Druck, der dort oft herrscht. Und manchmal die Freude nimmt. „Wenn Eltern unbedingt wollen, dann kann man mit ihnen reden, vielleicht auch andere Wege aufzeigen.“ Er denkt dabei etwa an die Münchner Fußball-Schule, die einen anderen Ansatz hat, auch Vereine wie die SpVgg Unterhaching bieten Alternativen zum zu frühen Leistungsdruck. Auf jeden Fall, fordert Kissel, „sollte man sich die Trainer genau anschauen“.

Fußball ist einfach ein zu schönes Hobby für Kissel, er findet es einfach schade, dass viel zu viele viel zu früh aufgeben: „In der E-Jugend hat man noch eine große Masse, in der A-Jugend dann Spielermangel.“ Das, meint er, müsse nicht sein. Wenn man von Anfang an den Spaß, das Miteinander, nicht den Erfolg in den Vordergrund rückt. Und den Kids andere Werte vermittelt als das, was ihnen im Fernsehen gezeigt wird. In Zeitlupe und Nahaufnahme.

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