Sie können auch anders

von Redaktion

Erstmals enttäuschen Heynckes’ Bayern, machen aber mildernde Umstände geltend – Robben fehlt

von marc beyer

München – Wahrscheinlich begann das ganze Drama schon damit, dass alles so undramatisch aussah. Thiago lag einfach nur flach auf dem Rasen, die Beine ausgestreckt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und rührte sich nicht. Sekundenlang. Der Spanier sah aus wie ein Urlauber am Strand. Doch nach allem, was man jetzt weiß, war ihm vermutlich schon in diesem Moment das Ausmaß der Verletzung klar. Und als Arturo Vidal wenig später die Zeigefinger umeinander kreisen ließ, war ohnehin nicht mehr zu übersehen, dass die Lage ernst war.

Etwas später hat auch Arjen Robben die international übliche Geste für eine Auswechslung benutzt, womit das Champions League-Spiel in Anderlecht endgültig zum Desaster wurde. Der 2:1-Sieg konnte daran nichts mehr ändern. Der Niederländer, der vom serbischen RSC-Verteidiger Uros Spajic brachial gefällt worden war, zog sich einen kleinen Muskelfaserriss zu und wird einige Wochen fehlen. In der Summe, ahnt Jupp Heynckes, spitzt sich die Lage damit zu: „Die Decke wird immer dünner.“

Vor allem der Ankurbler Thiago wird den Bayern schmerzlich fehlen. Die erste Ahnung des Trainers („Eine Muskelverletzung, wahrscheinlich schlimmer“) klang schon nicht gut, doch die Prognose des Sportdirektors war noch erheblich düsterer. „Er fällt wahrscheinlich mehrere Monate aus“, berichtete Hasan Salihamidzic. Nach einer Untersuchung bei Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt war Tags darauf klar: Teilriss eines Muskels im Oberschenkel. Thiago wird eine ganze Menge Spiele verpassen.

Nach Wochen voller Höhenflüge ist die Reise nach Belgien, die im Vorfeld eine reine Pflichtaufgabe zu sein schien, arg ernüchternd verlaufen. Daran änderte auch der neunte Sieg im neunten Spiel unter Heynckes’ Regie nichts. Innerhalb weniger Minuten (die Ausfälle ereigneten sich unmittelbar vor und nach der Pause) mussten die Bayern erfahren, wie schnell sich auch bei einem reibungslos funktionierenden Ensemble die Vorzeichen ändern können. Dass man nun unter gewissen Umständen (Kantersieg) sogar Paris St. Germain vom Gruppenplatz eins verdrängen könnte, war Salihamidzic deshalb keinen Gedanken wert: „Ich habe gerade andere Probleme.“

Es erschien auch reichlich vermessen, nach einer Leistung wie dieser den Vergleich mit den Hochkarätern von der Seine zu wagen. Einzig Mats Hummels ließ sich zu einer Kampfansage hinreißen („Es geht darum, Erster zu werden“). Der Rest hielt sich bedeckt, hatte anders als der Abwehrchef, der erst spät eingewechselt worden war, aber auch triftige Gründe, den Ball flach zu halten. „Jeder muss sich an die eigene Nase fassen“, empfahl Jerome Boateng als Quintessenz eines Spiels, von dem Karl-Heinz Rummenigge auf dem Bankett wohlwollend sagte, es werde „leider nicht in die Annalen des Weltfußballs eingehen“. Ein paar mildernde Umstände ließ er aber gelten.

Selbst Heynckes’ sagenhaft siegreiche Super-Bayern sind im Stande, einen krass unterdurchschnittlichen Auftritt hinzulegen. Diese Erkenntnis ist bemerkenswert, aber in Anbetracht der Umstände auch naheliegend. Dass die – halb freiwillig, halb erzwungen – personell stark veränderte Mannschaft in einer Partie von überschaubarem Wert nicht ans Limit gehen würde, ärgerte den Trainer, doch vollkommen überrascht klang seine Analyse nicht: „Wir sind zu unbekümmert ins Spiel gegangen und haben gedacht, dass wir das locker runterspielen.“

Der Einzige, der einem Debakel im Wege stand, war Sven Ulreich. Dem RSC-Stürmer Lukasz Teodorczyk dürfte er noch im Traum erschienen sein, so unüberwindbar war der Schlussmann für ihn. „Jedes Spiel hält er ein, zwei und heute sogar ein paar Bälle mehr“, lobte Hummels.

Morgen in Mönchengladbach wäre es ihm lieb, wenn er und seine Nebenleute nur ein, zwei Mal die Hilfe ihres Hintermanns in Anspruch nehmen müssten. „Da müssen wir ganz anders auftreten, sonst wird es schwer“, weiß Boateng. Direkt von Brüssel aus machten sich die Bayern gestern auf den Weg an den Niederrhein, um sich in Ruhe vorzubereiten. Ruhe ist gerade wieder sehr wichtig.

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