Ein Fünkchen Olympia-Hoffnung

von Redaktion

Nach seinen Kreuzbandriss will Felix Neureuther erst prüfen, ober er auf eine OP verzichten kann

von elisabeth schlammerl

München – Knapp zehn Stunden dauert der Direktflug von Denver nach München, da ist viel Zeit zum Nachdenken. Als Felix Neureuther gestern kurz nach 10 Uhr müde aus dem Flugzeug stieg, oder besser: auf Krücken humpelte, hatte er bereits damit begonnen, sein Malheur zu verarbeiten. „Es gibt Schlimmeres im Leben als einen Kreuzbandriss“, sagte der Skirennläufer aus Garmisch-Partenkirchen. „Das kann gerichtet werden, andere Dinge im Leben nicht.“

Er hat seit seinem Sturz beim Riesenslalom-Training in Copper Mountain und der bitteren Diagnose am Samstag fast schon alle möglichen Szenarien für die Zukunft durchgespielt. „Es kann alles passieren“, sagte er. Aber wenn man genau hingehört hat, dann kann eines nicht passieren: Dass Neureuther aufgibt. „Ich denke, dass ich schon oft bewiesen habe, dass ich ein Kämpfer bin.“

Zwar muss man mit 33 Jahren auch in Betracht ziehen, dass nach einem Kreuzband-riss die Karriere vorbei sein könnte. „Es wäre ein bisschen ein bitteres Ende“, sagt er. „Zumindest könnte ich dann sagen, dass ich als Gesamtweltcupführender in Ruhestand gegangen bin.“ Weil zum Zeitpunkt seiner Verletzung erst ein Rennen beendet war, der Slalom von Levi, den Neureuther gewann. Er findet, es sei eher der Zeitpunkt, um zu sagen, „das war es noch nicht nach diesem Jahr oder dem nächsten Jahr, sondern ich fahre noch sechs Jahre weiter“, bis nach den Olympischen Spielen 2022 in Peking.

Im Moment denkt er aber erst einmal an Pyeongchang, denn er hat die Teilnahme an den Winterspielen im Februar und die Chance die erste Olympia-Medaille zu gewinnen noch nicht ganz abgeschrieben. Genährt wird diese Hoffnung durch die Tatsache, dass das Kreuzband im linken Knie zwar komplett gerissen ist, aber wohl weder Knorpel noch Meniskus in Mitleidenschaft gezogen wurde. Außerdem sei das Knie innerhalb von einem Tag auf den anderen „schon viel besser geworden“.

Es seien Träumereien, gibt er zu, „aber träumen darf man. Ich bin 33 Jahre, so viele Chancen habe ich nicht mehr“. Deshalb werde er nicht aufgeben, „solange ich noch nicht im Operationssaal liege“.

Es ist nicht ganz abwegig, mit dieser Verletzung Skirennen zu fahren. Hilde Gerg hatte sich im Dezember 2002 ebenfalls das Kreuzband gerissen, aber wegen der WM in St. Moritz auf eine Operation verzichtet und das Knie konservativ behandelt. Im Weltcup landete sie in jener Saison zwar noch zweimal auf dem Podest, aber sie erreichte nicht mehr das Niveau, das sie bis zu ihrer Verletzung hatte und entschied sich deshalb kurz nach der WM, bei der sie leer ausgegangen war, doch für eine Operation. „Aber ich würde es nur machen“, sagt Felix Neureuther, „wenn ich auch eine Medaille gewinnen kann.“

Direkt vom Flughafen ging es gestern zur Kernspintomografie zu Doktor Müller-Wohlfahrt in die Münchner Innenstadt. Neureuther wird sich in diesen Tagen aber auch in die Innsbrucker Universitätsklinik zu Christian Fink fahren lassen. Der Orthopäde gilt als Kniespezialist und hatte in den vergangenen Jahren schon einige Skirennläufer operiert, darunter den Norweger Aksel Lund Svindal. „Ich werde mir viele, viele Meinungen anhören und dann eine Entscheidung treffen.“

Mit dem Sturz hadert er auch zwei Tage später noch. „Eine Sekunde, und du merkst, dass dein Knie explodiert.“ Auf die neuen, kürzeren und taillierteren Riesenslalom-Skier, mit denen das Kurvenfahren zwar erleichtert wird, aber die Kräfte, die auf den Athleten wirken, höher sind als mit dem alten Material, will er sein Pech nicht unbedingt zurückführen. Weil bis dahin im Training alles so perfekt gelaufen war, „habe ich probiert, meine Grenzen noch weiter auszureizen. Ich denke, das war der Hauptfehler.“

Während Neureuther sich noch an das Fünkchen Hoffnung Pyeongchang klammert, gibt es von den in Übersee gebliebenen Teamkollegen Aufmunterung. „Du bist eine starke Persönlichkeit und gleichzeitig ein Ausnahmetalent“, postete Fritz Dopfer. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass du sehr bald wieder zu deiner gewohnten Stärke zurückfindest – wir alle brauchen DICH!“

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