Das große Thema: Innenpolitik

von Redaktion

Von Günter Klein

München/Frankfurt – Vor zwei Wochen in Augsburg war wieder Protesttag. Mit geplantem Protest und mit spontanem.

In der Kurve, in der die Fans stehen, die immer kommen, hingen Transparente: „Kein weiterer Verrat am Fußball. DFB/DFL endlich Rückgrat zeigen. 50+1 einhalten – Kind stoppen!“ Stellungnahme zur Problematik eines ganz anderen Klubs: Hannover 96, das vor der Übernahme durch seinen Präsidenten, den Geschäftsmann Martin Kind, steht.

Dann, als die Partie gegen Wolfsburg lief, das nächste Aufbegehren. Schiedsrichter Tobias Stieler wandelte eine Gelbe Karte für den Wolfsburger Maximilian Arnold nach Sichtung der Fernsehbilder in einen Platzverweis um, drei Minuten dauerte die Entscheidungsfindung. Sie war zum Vorteil des FC Augsburg – dennoch entrüsteten sich die Fans: „Und ihr macht uns’ren Sport kaputt.“ Ihr – das sind die, die im deutschen Fußball das Sagen haben: der DFB, in dessen Zuständigkeitsbereich das Schiedsrichterwesen fällt, und auch die Deutsche Fußball-Liga, vor 17 Jahren aus dem Fleisch des DFB geschnitten, eine Organisation mit Sitz im Frankfurter Bankenviertel – sie managt den Spielbetrieb der Profiligen und sorgt dafür, dass die Kohle hereinkommt.

Die Fans differenzieren nicht so sehr zwischen Verband und Liga, die in vielen Punkten ja auch inniglich verbunden sind. „Scheiß DFB“ ist der Schlachtruf, man hört ihn in fast jedem Bundesligastadion, nicht nur in Augsburg. Früher war das „Fußball-Mafia DFB“ Stadionfolklore bei U 21-Auswärtsländerspielen – heute ist die kritische Hinterfragung des Verbandsgebarens gesellschaftlicher Konsens.

Dem DFB hängt die noch immer nicht geklärte WM-Affäre 2006 nach, für ein Jahr hat er bereits die Gemeinnützigkeit verloren und 19 Millionen Euro Steuernachzahlung leisten müssen. Mit der Veröffentlichung des Reports der von ihm beauftragten Kanzlei Freshfields glaubt der DFB, sich hinreichend erklärt zu haben. Die Kritiker sehen das anders. Nun sind die Staatsanwaltschaften am Zug.

Dieser große Komplex ist dazugekommen vor zwei Jahren. Schon damals hatte der DFB genügend Problemfelder zu bestellen: Ihm wird vorgehalten, die Kommerzialisierung zu weit vorangetrieben zu haben – mit einem Markenclaim für die Nationalmannschaft („Die Mannschaft“), mit einem monopolistisch agierenden „Fan-Club Nationalmannschaft powered by Coca Cola“ und – zusammen mit der DFL – der Anbiederung an ferne Märkte (China) und ans Fernsehen. In den Fan-Blöcken herrscht ohnehin eine tiefe Unzufriedenheit: über schnell ausgesprochene bundesweite Stadionverbote, über den Abbruch von Gesprächen über Pyrotechnik, die man zu Beginn als hoffnungsvoll interpretiert hatte.

Viele, die unter den Auswüchsen des Fußballs leiden, sind schon viel länger dabei als Reinhard Grindel, seit April 2016 Präsident des DFB. In seiner Jugend war er Uwe-Seeler-Fan, doch eigentlich trat er erst 2006 auf die Bühne des Fußballs. Er war CDU-Bundestagsabgeordneter, in seinem Wahlkreis in Niedersachsen bezog das Team des WM-Teilnehmers Trinidad & Tobago Quartier. Bei einer Podiumsdiskussion im Juni 2017 in Nürnberg wurde Grindel mit dem Satz „Da haben Sie den Fußball entdeckt“ ein wenig angemacht. Er konterte: „Nein, da haben die Verbände mich entdeckt.“ Grindel kämpfte um Anerkennung.

Anfangs beäugten ihn die Profivereine skeptisch, mittlerweile bläst der Gegenwind eher von der Amateurbasis her, die findet, der Boss stehe DFL und Bundesliga zu nahe.

Grindel ist sehr bemüht, für Ausgleich zu sorgen. Von seinem Vorgänger Wolfgang Niersbach hebt ihn ab, dass er wieder mehr die sozialen und gesellschaftlichen Themen in den Vordergrund stellt. Und in der heiklen Frage des Umgangs mit dem WM-Gastgeber Russland agiert Grindel souverän. Vor der Reise zum Confederations Cup – mit Thomas Hitzlsperger als DFB-Botschafter für Vielfalt an seiner Seite – informierte er sich bei Menschenrechtsorganisationen, in Russland sprach er auf dem St. Petersburger Dialog und gewann durch eine Kranzniederlegung in Kazan für die Opfer der Deutschen im Zweiten Weltkrieg Sympathien. Außenpolitisch läuft es gut bei Grindel – wenngleich man sich von ihm im FIFA-Rat („Da wollte ich als Neuer nicht gleich den Lauten machen“) eine klarere Positionierung gegen die diktatorischen Personalentscheidungen des Präsidenten Infantino gewünscht hätte.

Derzeit hat Grindel vor allem innenpolitische Arbeit zu leisten. (Erz-)konservative Grundsätze, den Umgang mit der aktiven Fanszene betreffend, hat er revidiert – vielleicht nicht aus Überzeugung, sondern aus rein pragmatischen Motiven. Auf die Protestwelle, die in den vergangenen Monaten in den Stadien einsetzte, reagierte er mit Dialogangeboten. Erstes Zeichen war ein vorläufiger Verzicht, weitere Kollektivstrafen auszusprechen (wie vorige Saison mit der Sperrung der Dortmunder Südtribüne einmal geschehen). Sogar das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik in ausgewiesenen Bereichen ist nun ein Thema, das der DFB-Präsident nicht mehr tabuisiert.

Beim Bundestag wird darüber aber nicht gesprochen werden. Haupttagesordnungspunkt ist es, sich von den Delegierten die Zustimmung zum Bau einer Akademie in Frankfurt zu holen, ein 150-Millionen-Euro-Projekt. Die Vorbehalte, die die DFB-Spitze wahrnimmt: zu protzig, nur was für die Elite und nichts, was den 25 000 Amateurvereinen dienen könnte.

Eine knappe Woche waren Grindel und seine DFB-Mitstreiter unterwegs, um den Delegierten aus den Landesverbänden die Bedenken zu nehmen. Die Argumentation: Man brauche die Akademie, um eine führende Fußballnation zu bleiben, denn die Nationalmannschaft sorgt für die (Werbe-)Einnahmen – von denen alle abkriegen sollen. Das ist eine recht wolkige Vision, nichts Konkretes. Dennoch wird der Bau auf dem Gelände der Frankfurter Galopprennbahn durchgewunken werden.

„Da wird kein großer Verkehr herrschen, das wird ein kleines kompaktes Zentrum sein“, wirbt Oliver Bierhoff, für den die Akademie eine Art Lebenswerk sein wird. Die vollendeten Tatsachen sind aber bereits geschaffen worden. Vorige Woche wurde mit SAP ein Sponsor präsentiert, zudem das Logo der neuen Einrichtung in Szene gesetzt und mit einem internationalen Spielananalystenkongress eine erste Veranstaltung abgehalten. Nur eben noch im Hotel.

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