Die Rückkehr des Rekordspringers

von Redaktion

Mit Top-Trainingswerten im Gepäck steigt Gregor Schlierenzauer in Titisee-Neustadt in den Weltcup-Zirkus ein

von lars becker

Titisee-Neustadt – Gregor Schlierenzauer ist wieder da. Vor ein paar Tagen hat der Österreicher einen Dokumentarfilm vorgestellt. „Weitergehen“ heißt der Streifen, der einen intimen Blick hinter die Kulissen eines der erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten wirft. Eigentlich müsste das Werk besser „Weiterfliegen“ heißen, denn der 27- Jährige startet an diesem Wochenende beim Weltcup in Titisee-Neustadt sein Comeback. Wieder einmal, denn nach einer beispiellosen Erfolgsserie war der Austria-Adler zuletzt Stammgast bei Psychologen und Ärzten statt auf dem Siegerpodest.

„Ich freue mich irrsinnig, dass für mich jetzt die Olympiasaison startet“, sagt Gregor Schlierenzauer vor dem Highlight im Schwarzwald. Die Wortwahl und das glückliche Gesicht in dem auf seinem Facebook-Account ausgespielten Video sagen alles über den Seelenzustand des Ausnahmefliegers. Die Wandlung ist nach einer inzwischen fast zweijährigen Leidenszeit durchaus bemerkenswert. Ausgebrannt von der Jagd nach immer neuen Erfolgen hatte Schlierenzauer im Januar 2016 mitten in der Saison die Notbremse gezogen. Statt Skispringen wollte er sich all jene Träume erfüllen, die bei seinem phänomenalen Aufstieg in die Flieger-Weltelite auf der Strecke geblieben waren.

Beim Heliskiing mit seinem Vater in Kanada stürzte er jedoch und riss sich das Kreuzband im Knie. Schlierenzauer geriet endgültig in die Krise, suchte Hilfe bei einem Psychologen und machte selbst eine Ausbildung zum Mentaltrainer. Vor allem aber suchte und fand er sich selbst wieder. „Ich habe früher diverse Hollywood-Stars nicht verstanden, warum sie manchmal so ausflippen. Damit habe ich mich in letzter Zeit viel befasst, weil ich viele schöne Dokumentationen darüber gesehen habe, wie beispielsweise von Whitney Houston oder erst kürzlich von Lady Gaga“, sagt Schlierenzauer.

Wie bei einigen Weltstars kam auch beim Austria-Adler der Erfolg (zu) schnell – und wurde nie richtig verarbeitet, wie er inzwischen verstanden hat. Im zarten Alter von 16 Jahren feierte Schlierenzauer am 3. Dezember 2006 seinen ersten Weltcup-Einzelsieg in Lillehammer. Acht Jahre später, am 6. Dezember 2014, an gleicher Stelle seinen 53. und bis dato letzten. Damit ist Schlierenzauer zumindest bei den Männern ewiger Rekordhalter. Dazu kommen je zwei Vierschanzentournee- und Gesamtweltcup-Siege, Olympia-Gold im Team 2010 und insgesamt zehn Weltmeistertitel im Skispringen und Skifliegen. Alles in nicht einmal einem Jahrzehnt.

„Wenn man mit 16 Jahren in den Weltcup startet, dann zehn Jahre Vollgas gibt, bleibt wenig Zeit, einmal andere Erfahrungen zu sammeln, die andere Jugendliche in dieser Zeit machen“, meint Schlierenzauer. „Irgendwann holt einen das Ganze dann ein.“ Er hat erkannt, dass es schöne Dinge auch abseits des Skispringens gibt. Zum Beispiel, sich nicht immer vom Druck der Öffentlichkeit steuern zu lassen. Einfach auch mal „Blödsinn“ zu machen und etwa „Erfahrungen mit Mädels zu sammeln“.

Der neue Gregor Schlierenzauer ist entspannter und hat wieder richtig Spaß am Skispringen. So hat er sich trotz eines neuerlichen Verletzungs-Rückschlags vor dieser Saison – einem Innenbandanriss im Knie – pünktlich zum Weltcup in Deutschland zurück ins starke Österreicher-Team um Doppel-Weltmeister Stefan Kraft gekämpft.

Trainer Heinz Kuttin will das gestrauchelte Wunderkind Schlierenzauer behutsam wieder an die Weltspitze heranführen, glaubt aber an dessen Potenzial: „Seine Trainingswerte sind jedenfalls so gut wie zu seinen besten Zeiten. Dazu hat er wieder Spaß am Skispringen und weiß so genau wie nie zuvor, was er will. Wer einmal Seriensieger war, kann auch wieder gewinnen.“

Trotz aller Erfolge hat Gregor Schlierenzauer noch große Ziele: In diesem Winter könnte er endlich olympisches Einzel-Gold gewinnen, die letzte noch fehlende große Medaille in seiner reichen Sammlung. Dazu lockt die Heim-Weltmeisterschaft 2019 im österreichischen Seefeld (Tirol) – und ein österreichischer Uralt-Rekord: Mit Weltcup-Sieg Nummer 54 könnte Schlierenzauer mit dem legendären Alpin-Star Hermann Maier gleichziehen.

Doch über all dem steht für den Ausnahmespringer eines: beim „Weitergehen“ möglichst viel Spaß haben und das Leben genießen.

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