„Wir geben den Jungs Handwerkszeug“

von Redaktion

Athletikcoach Dietrich über das Training mit dem DFB-Team, Alltagspäckchen und Schlafanalysen bei Fußballprofis

München – Niklas Dietrich und Yann-Benjamin Kugel, die Athletiktrainer der deutschen Fußball-Nationalelf, haben das Buch „Fit wie die Mannschaft“ geschrieben. Im Interview erläutert Dietrich, an wen sich das Duo wendet.

-Herr Dietrich, das Buch entstand, weil Sie oft im Freundeskreis gefragt wurden: „Wie kann ich fitter werden?“ An wen richtet sich Ihr Buch? Ist ihr Bekanntenkreis sehr sportlich – oder plagen die Menschen auch Alltagssorgen wie überflüssige Pfunde?

(lächelt) Ich denke, jeder trägt sein Päckchen. Durch den Beruf, den Alltag sind die meisten in Bewegungsmuster gezwängt. Der Mensch ist eigentlich nicht für eintönige Büroarbeit gemacht. Wir haben das Buch sehr basisorientiert gehalten. Das ist überhaupt ein Credo: Jeder, auch der ambitionierte Sportler, sollte jede Übung erst einmal sorgfältig und gründlich absolvieren und seinen Trainingsplan nicht überfrachten. Das Buch ist auch nicht für die Freunde, die gefragt haben. Im Blick hatten wir die unterklassigen Fußballmannschaften, deren Trainer ihre Programme verbessern wollen, ohne dabei große Hilfsmittel zu haben. Das Buch ist einfach für jeden, der seinen Alltag erleichtern möchte.

-130 Übungen sind gelistet. Der Breitensportler hat anders als der Profi nicht den ganzen Tag Zeit.

Wir haben auf den Fußballer geschaut, der zwei Mal die Woche trainiert und darüber hinaus noch etwas tun möchte. Stabilisation oder Beweglichkeit lassen sich ins Training integrieren oder rundherum installieren. Man kann da viel machen. Es gibt auch das Kapitel „at home“: Was kann ich zuhause machen, wenn ich mal ein paar Minuten Zeit habe? Oft reichen Kleinigkeiten für eine bessere Adaption des Trainings aus.

-Ihr Buch wirbt mit dem Slogan „so schnell wie Mesut Özil, so wendig wie Toni Kroos, so kraftvoll wie Mats Hummels“ . . . so leicht wird es nicht, oder?

(lacht) Nein, Sie sprechen da herausragende Talente von Nationalspielern an, die täglich an ihren Qualitäten feilen und jahrelangen Aufwand betrieben haben, um dort zu sein, wo sie jetzt stehen. Aber es geht darum, sich so fit wie die Weltmeister zu fühlen. Jeder muss sich auf seinem Niveau und seiner Zielsetzung wohlfühlen. Man kann das gar nicht oft genug wiederholen: Weniger ist oft mehr, und Qualität geht vor Quantität. Man muss immer sehen, dass man sein klug dosiertes Pensum sorgfältig absolviert. Dann erreicht man seine Ziele. Wir haben uns beim Kapitel „Trainingssteuerung“ viel Mühe gegeben. Die Symbiose Belastung und Entlastung ist elementar. Das Erholen wird oft vergessen. Gezielt ist das wie ein zusätzliches Training.

-Ihre persönliche Lieblingsübung ist „One Leg RDL“ – warum, und wie oft machen Sie diese Übung?

Mindestens drei Mal die Woche. Klassische Sätze wie drei oder vier Mal, acht Wiederholungen. Die Übung verbessert die Kraft und Stabilität in der Hüfte. Die Hüftbeugung und -streckung spielt eine wichtige Rolle, gerade im Fußball: Die Absenkung des Körperschwerpunkts, wieder abdrücken, abbremsen, das sind Komponenten des Spiels. Mit dieser Übung fördert man die Explosivität in dem Bereich. Rotation ist auch dabei, sie ist einfach ein effektiver Mix.

-Jeder kennt den inneren Schweinehund. Was hat der Experte als Tipp, um ihn zu überlisten?

Im Kapitel „Beweglichkeitstraining“ gibt es Übungen, die nicht anstrengend sind und die Lust auf mehr fördern. Es geht darum, sich nicht gleich überwinden zu müssen, eine Stunde laufen zu gehen oder hart im Kraftraum zu schwitzen. Man sollte sich drei oder vier Übungen raussuchen, die dauern dann zehn Minuten. Die Motivation kommt über die Verbesserung. Ich merke oft den Effekt, dass sich derjenige schnell sagt: „Ich hänge noch fünf Minuten dran.“

-Wie sind die DFB-Stars so: Echte Profis oder Muffel? Man weiß ja, am liebsten sind sie am Ball . . .

Wenn sie nicht am liebsten mit dem Ball unterwegs wären, wäre das ja auch schlimm – dann wären sie vielleicht Leichtathleten, aber nicht so außergewöhnliche Fußballer. Aber dank der hervorragenden Ausbildung, die die heutige Spielergeneration genossen hat, ist das Bewusstsein für die athletische Komponente heute fest verankert.

-Welche Übung ist bei den Stars am beliebtesten – und bei welcher werden genervt Augen verdreht?

Bei uns Trainern am beliebtesten sind die Minibänder, die man ja oft beim Warmmachen im Fernsehen sieht. Sie sind einfach eine große Hilfe, um alle Muskeln zu aktivieren. Die Jungs mögen das vielleicht am wenigsten. Aber sie machen ohne Murren mit, sie wissen ja: Das gehört dazu, das schützt vor Verletzungen, das gehört zum Handwerk.

-Felix Magath und die berüchtigten „Medizinballmeisterschaften“ einst – ist es endgültig Geschichte, die Spieler zu schinden?

Ich mag den Medizinball als ein Trainingstool von vielen bis heute, das bei der richtigen Intensität gute Effekte erzielt. Letztlich ist es immer eine Philosophiefrage. Der Ansatz bei uns ist, den Fußball durch Athletiktraining einfach nur zu unterfüttern und zu optimieren. Der athletische Bereich steht dabei nie absolut im Vordergrund. Das Zentrum muss und soll immer der Fußball sein. Wir geben den Jungs Handwerkszeug mit, es geht dabei auch darum, ein wenig Eigenverantwortung zu vermitteln.

-Wie unabhängig arbeiten Sie von Bundestrainer Joachim Löw? Schaut er Ihnen ständig über die Schulter oder sagt er: Sie sind die Spezialisten!

Wir sind in den Stab voll integriert. Löw vertraut uns und lässt uns allen Freiraum. Aber als der hervorragende Trainer, der er ist, interessiert er sich natürlich dafür, was wir machen. In unserem Team werden alle Inhalte durchgesprochen. Kommunikation ist wichtig, und hier liegen auch Löws große Qualitäten.

-In Ihrem Buch gibt es auch Schlaftipps, die für die Regeneration wichtig sind. Das Bett sollte, heißt es, idealerweise mit dem Kopf nach Norden ausgerichtet sein – die Schlafzimmer der Stars werden aber nicht überprüft, oder?

(lacht) Nein, das ist auch ein sehr spezieller Punkt, den Sie herausgegriffen haben, der ins Esoterische geht. Aber wir fragen die Jungs schon jeden Tag nach ihrem Schlafverhalten. Wenn es da Auffälligkeiten gibt, versuchen wir, Tipps zu geben. Auch hier geht es um Handwerkszeug. Schlaf ist einfach wichtig als die Regenerationsfrage des Körpers schlechthin. Im Buch steht auch, idealerweise sollte man das Handy eine Stunde vor dem Einschlafen ausschalten, aber da prangern wir nichts an. Ich sehe an mir selbst, dass manches vor allem dogmatisch nicht möglich ist. Wir versuchen, die Jungs für Kleinigkeiten zu sensibilisieren, die auf hohem Niveau den Ausschlag geben können. Die eine Stunde länger Schlaf kann Gold wert sein. Wir stoßen da aber auf offene Ohren.

-Ernährung ist wie Regeneration ein wichtiger Unterpunkt. Bayerns Robert Lewandowski isst das Dessert vor dem Hauptgang – ist das sinnvoll?

Es gibt in dem Bereich viele Ansätze, und wir haben unsere Ernährungsberater als Spezialisten. Obst sollte nicht zu lange im Magen liegen, das würde ich als Dessert empfehle. Generell zählt die Qualität der Lebensmittel, und als Orientierung rate ich: Zwei große Fäuste Portionen Gemüse und Obst am Tag sind eine gute Sache. Und dabei besser mehr Gemüse als Obst.

-Wenn möglichst viele jetzt Ihr Buch lesen, hat Deutschland eine fitte Mannschaft – und alle sind fit beim Public Viewing. Wie würden Sie persönlich eine Titelverteidigung feiern: Gönnen Sie sich ein Dessert oder mal ein Glas?

(lacht) Ich halte mich stets an die Regel „Die Dosis macht das Gift“. Das bedeutet, ich gönne mir auch mal was Süßes oder ein Glas Alkohol. Es bringt einen nicht um.

Interview: Andreas Werner

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