Man hat den Fußball 1967 noch nicht so wichtig genommen wie heute. Vielleicht lag es aber auch an der Jahreszeit, dass diesem noch ausstehenden internationalen Spiel wenig Beachtung geschenkt wurde im Vorfeld.
Der Vorschaubericht auf das Europameisterschafts-Qualifikationsspiel Albanien – Deutschland vor 50 Jahren kam in dieser Zeitung auf die Sportseite nach unten. Es gab Wichtigeres: „Schmutzige Wäsche und ein neuer Mann“ lautete der Aufmacher, und es ging – was auch sonst? – um eine Fußballabteilungsleiter-Wahl beim TSV 1860. Zum Thema Nationalmannschaft wurde geschrieben: „Hoher Favorit – und dennoch ,gemischte Gefühle’“. Aber könnte da wirklich was passieren? Nicht doch.
Am 17. Dezember 1967, einem Sonntag, hatte die deutsche Mannschaft in Tirana anzutreten. Die klare und einfache Vorgabe: gewinnen, irgendwie, ein 1:0 würde genügen. Erstmals hatte der DFB sich entschlossen, an einer Europameisterschaft (1968) teilzunehmen. Die war damals noch ein nicht vollständig etabliertes Turnier, der langjährige Bundestrainer Sepp Herberger hatte daran kein Interesse gezeigt: Eine EM würde zwischen den Weltmeisterschaften (alle vier Jahre) zu viel Kraft fordern. Aber mit seinem Nachfolger Helmut Schön änderte sich die deutsche Einstellung.
Man wollte 1968 dabei sein, man kam in die einzige Dreier-Quali-Gruppe, in allen anderen waren vier Nationen. Die westdeutschen Gegner: Jugoslawien, Albanien. Gegen die „Jugos“ gab es einen Sieg, eine Niederlage, gegen Albanien im Hinspiel ein 6:0 mit vier Gerd-Müller-Toren. Die Ausgangslage war, dass die DFB-Vertretung in Albanien (0:6 Punkte, 0:12 Tore) nur gewinnen musste.
Albanien 1967: Ein verschlossenes Land, Sozialistische Volksrepublik, diktatorisch regiert von Enver Hoxha. Es gab nur zwei Telefone, eines war das von Hoxha.
Über den Fußball dort wusste man nur wenig. „Was uns halt in Dortmund beim Hinspiel aufgefallen war“, wie Bernd Patzke, einer der beteiligten Spieler, in einem Rückblick-Interview erzählte. Die Namen der Gegenspieler sagten ihm wenig, er fühlte sich, als reise man „zu einem Hobbyspiel in den Park“.
Drei Kölner standen im Aufgebot, und sie hatten im Europapokal in Tirana spielen müssen. Wolfgang Overath sagte noch warnend: „Gegen die Abwehr gab es kaum ein Durchkommen. Die haben sich mit acht Mann hinten eingeigelt. Es war, als würde man gegen eine Gummiwand rennen.“
Aber man war diesmal nicht der 1, FC Köln, man war die deutsche Nationalmannschaft, der Vizeweltmeister, der auf frische Talente zurückgreifen durfte: Overath und Günter Netzer, der kommende Mittelfeldstratege. Oder mit viel Schwung aus der Bundesliga als bester Torjäger kommend: Peter Meyer. Der sagte forsch: „Es wird auf die gleichen Tore geschossen wie in der Bundesliga.“ Es sollte nicht ins Gewicht fallen, dass die FC-Bayern-Achse fehlte: Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Gerd Müller.
Die waren auch in Albanien trotz aller Abschottung bekannt. 3000 Zuschauer fanden sich zum Abschlusstraining ein, sie fragten nach diesen Spielern und nach Uwe Seeler, der auch fehlte, Es war kein Zufall, dass Jahrzehnte später, als die Deutschen in den 2000ern wieder nach Albanien mussten, ein Fan ein kleines Gerd-Müller-Museum eröffnet hatte und es Besuchern aus Deutschland zeigte.
Was die deutschen Fußballer damals, 1967, aber erstaunte: Dass kein albanischer Zuschauer beim Training nach Autogrammen fragte. Aber so war das eben, als die Globalisierung die Welt noch nicht erfasst hatte, als Grenzen dichter waren und Staaten – auch unter Druck – ihre Eigenheiten betonten. Die Reise des Teams aus einem erblühenden Wohlstandsland war auch eine in den Sozialismus. Vielleicht ist es so, als würde man 2017 nach Nordkorea kommen.
In den Rückblicken nimmt daher einen großen Raum ein, was die Spieler an ungewöhnlichen Eindrücken gewannen in Tirana. „Es fühlte sich an wie eine Reise zum Mond, sehr irreal. In der Stadt nur Fahrräder, keine Autos. Das Hotel war karg, überall lag die Mao-Bibel herum. Es gab kein Fleisch, nur Brot und Eier aus einem Eierkombinat“, ließ Willy Schulz, der Abwehrchef, den Tirana-Besuch im Magazin „11Freunde“ noch einmal an sich vorbeiziehen. Bernd Patzke zur Ernährung: „Wirklich grausam.“ Hinterher, nach dem kraftlosen 0:0, als man in die Analyse ging, war auch das ein Thema: Zu wenig Substanz gehabt, um zu gewinnen? Fortan nahm der DFB ins sozialistische Ausland immer einen eigenen Koch mit.
Was noch auffiel: Im Stadion (offiziell waren es 28 000 Zuschauer, manche Quellen sprechen auch von 40 000) nur Männer, unter ihnen auch reihenweise Chinesen – die Beziehungen waren eben eng. Die Fußbälle importierte der albanische Verband aus China, er selbst hatte keine. Viele Menschen zogen sich gleich an: grün, mit Mao-Mützen, es gab keinen Individualismus.
Das Spiel: Die Albaner „kämpften wie die Wilden“ (Schulz), „die Zuschauer beklatschten höhnisch jeden Fehlpass von uns“. Man konnte auch gar nicht tadellos spielen auf diesem Platz: hart, holprig. Bernd Patzke: „Ein Sandplatz mit ein paar grünen Büscheln. Als Bolzplatz wäre er perfekt gewesen.“ Das waren die Umstände in Albanien, doch auch auf Malta oder Zypern, bei den anderen Kleinen.
0:0 ging die Partie aus, qualifiziert aus der Gruppe war für die EM somit Jugoslawien. Live konnte diese Blamage im deutschen Fernsehen nicht mitverfolgt werden. Technisch nicht möglich. Es gab eine halbstündige Zusammenfassung nach Mitternacht. Andere Zeiten.
Daheim war dann schon ein bisschen Aufruhr. „Sensation in Tirana: 0:0 – für Jugoslawien“, witzelte diese Zeitung, „Bild“ griff tief in die Kiste und forderte, den soften Helmut Schön durch den harten Hund Max Merkel zu ersetzen.
„Schlecht für Schön“, kommentierte in diesem Blatt der Sportchef Rolf Hofmann. Er blieb sachlich: Der Bundestrainer hätte vielleicht ein wenig mutiger sein können taktisch; er habe ja schon im WM-Finale von 1966 nicht brilliert, als er Franz Beckenbauers Potenzial in der Bewacherrolle von Bobby Charlton nicht nutzte.
Schön blieb im Amt, noch elf Jahre. Seine Zeit endete 1978 mit der „Schmach von Cordoba“, der 2:3-Niederlage gegen Österreich bei der WM, dem neben Tirana schlimmsten deutschen Fußballerlebnis. Doch Schöns Abschied war lange im Voraus angekündigt.
Für Peter Meyer blieb das Länderspiel vom 17. Dezember 1967 das einzige, andere Karrieren gingen weiter. „Es gab keine Vorwürfe, wir haben uns nicht zerfleischt“, sagte Bernd Patzke.
Am längsten hing das Erlebnis von Tirana Günter Netzer nach. Das Spiel wurde zu einem frühen Beleg dafür, dass ein Mittelfeld mit ihm und Overath nicht funktionieren würde, fortan spielte der eine oder der andere. Als Netzer nach seiner Karriere ARD-Experte wurde, musste er es sich gefallen lassen, dass sein Kompagnon Gerhard Delling ihn immer wieder mit Albanien aufzog.
2003 gastierte Deutschland mal wieder in Tirana, die ARD hatte eine lange Nachberichterstattung und kam daher nicht mehr auf den Charter der Mannschaft, die sich gleich nach Schlusspfiff zur Rückreise aufmachte.
Netzer musste eine zusätzliche Nacht in Albanien bleiben. Er war restlos sauer.