Leipzig – Alles in seinem Gesicht drückte Genugtuung aus, doch Davie Selke beließ es bei der sportlichen Demütigung für seinen Ex-Klub. Der Torjäger von Hertha BSC trat verbal nicht nach, und er verzichtete auch darauf, seinen Doppelpack beim 3:2 -Überraschungssieg gegen RB Leipzig als persönlichen Triumph auszukosten. Ja, er verspüre zwar eine gewisse Befriedrigung, gab der 22-Jährige hinterher zu, „aber das war für mich nicht so ein großes Spiel wie es von außen gemacht wurde“.
Das sah auf dem Platz aber etwas anders aus. Selke war „on fire“, er ging keinem Zweikampf aus dem Weg und brachte die RB-Fans mit provozierenden Jubel- und Schweigegesten gegen sich auf. Als Selke nach seinem zweiten Treffer demonstrativ das Hertha-Logo küsste, war er endgültig der Buhmann für die Leipziger. Das gellende Pfeifkonzert bei seiner Auswechslung in der 69. Minute nahm Selke äußerlich gelassen. „Das können die gerne so machen“, sagte der Stürmer. Das Küssen der Hertha-Fahne auf dem Trikot war „ein Zeichen, dass ich sehr stolz bin, bei Hertha zu sein. Ich bekomme hier das Vertrauen geschenkt, das bedeutet mir sehr viel.“
Es braucht nicht viel Fantasie für den Umkehrschluss: Dieses Vertrauen hat ihm vor allem zum Ende seiner zwei Jahre in Leipzig gefehlt. RB-Trainer Ralph Hasenhüttl setzte den U-21-Europameister in der Bundesliga meist auf die Bank und wehrte sich auch nicht gegen einen Verkauf im Sommer für 8,5 Millionen Euro. Am Sonntag räumte Hasenhüttl zähneknirschend ein: „Er hat heute ein gutes Spiel gemacht. Glückwunsch.“ Hertha-Coach Pal Dardai sah Selkes Rückkehr an die alte Wirkungsstätte im Vorfeld mit Sorge. „Ich hatte ein wenig Angst, dass er übermotiviert ist, dann gibt es schnell eine Gelbe oder Rote Karte“, sagte Dardai: „Aber das Vertrauen, das wir in ihn gesetzt haben, hat sich ausgezahlt.“ Von seiner Topform ist Selke, der sich in der Saisonvorbereitung eine Mittelfußverletzung zugezogen und erst am 8. Spieltag sein Ligadebüt für Hertha gegeben hatte, noch etwas entfernt. Seinen befreienden Doppelpack gegen den Ex-Klub feierte er daher nicht: „Die Kraft für eine Party habe ich nicht mehr.“
Leipzig hingegen hatte keinen Grund dazu: Nach der Sieglos-Flaute im Dezember müssen sie bis nächstes Jahr auf die angestrebte Wiedergutmachung warten. „Wenn man das letzte Spiel vor der Pause verliert, ist das kein schönes Gefühl“, sagte Manndecker Lukas Klostermann. Der letzte Leipziger Sieg datiert vom 25. November mit dem 2:0-Erfolg in der eigenen Red Bull Arena gegen den SV Werder Bremen. Heißt: Kein Überwintern in der europäischen Meisterklasse. sid/dpa