Doha – Dieser Jerome Boateng kann manchmal unfreiwillig komisch sein, und seitdem er in jeder Sekunde abseits des Fußballplatzes Modelle seiner eigenen Brillen-Kollektion trägt, hat sich dieses Potenzial noch mal verstärkt. Auch dieser Tage in Doha blickte er durch den goldenen Rahmen im Style „Nerd“ und sagte ohne mit der Wimper zu zucken: „Ich bin ja generell nicht so ein Muskelpaket.“ Da saß also dieses Koloss von Mann, 1,92 Meter groß, 90 Kilogramm schwer, und sprach über seinen eigenen Körper, als sei er der von Philipp Lahm.
Die Nachfrage kam, natürlich, sie musste kommen – und Boateng führte aus: „Naja, sagen wir es so: Ich bin kein Pumper.“ Fitnessstudios, Krafträume, all das mag der Verteidiger nicht so gerne, noch nie, und vor allem nicht, seitdem er in diesen klimatisierten Räumen deutlich mehr Zeit verbringen musste, als ihm lieb war. 2016 war das, 2017 auch, insgesamt fehlte der Weltmeister dem FC Bayern in dieser Zeit knapp 400 Tage lang. Gefangen in einem Teufelskreis aus Blessuren, einer schweren Schulterverletzung und zahlreichen Folge-Beschwerden war er so lange auf Formsuche, dass er sich seinen Status als Abwehrchef des Rekordmeisters nun mühsam zurück erarbeiten muss. Das ist anstrengend, das war in den letzten Tagen in Doha vor allem sehr schweißtreibend. Aber Boateng sagt: „2017 habe ich mit 80 Prozent beendet, und nach dieser Woche bin ich bei 100 Prozent.“
Wenn er am Freitag in Leverkusen auflaufen wird – wohl neben Niklas Süle, da Mats Hummels nach wie vor Probleme an den Adduktoren hat –, soll alles erinnern an den Start in das Weltmeister-Jahr, in dem der 29-Jährige auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit war. Rapide bergab ging es, nachdem er sich bei der EM 2016 einen Muskelbündelriss zuzog, es kam eins zum anderen. Vor allem von den Auswirkungen der Schulter-OP war Boateng selbst überrascht. „Ich wollte nicht glauben, wie lange das dauern kann“ – er wurde eines Besseren belehrt. „Der Muskel war weg, mein ganzer Körper verändert“. Dynamik, Laufstil, alles musste neu eingestellt werden. „Leicht zu akzeptieren“ war das nicht, sagt er. Diese Zeit: „Nicht schön.“
Doha sollte ein Neuanfang sein, und wenn man sieht, mit welcher Akribie Boateng die acht Trainingseinheiten vor Ort absolvierte, ist dieser schon mal gelungen. Nicht nur ein Mal nahm er Bälle artistisch an, nicht nur ein Mal checkte er einen Gegenspieler in altbekannter Manier ohne Mühe aus. Mitte der Woche sah man Jupp Heynckes lange mit ihm sprechen. Was er ihm gesagt hat? Boateng grinst: „Dass er im Moment nichts an mir zu meckern hat.“
Der erfahrene Coach wird diese Botschaft nicht plump dahergesagt, sondern ausgeschmückt haben, weil er weiß, dass Boatengs Seele genau wie sein Körper besondere Pflege nötig hat. Für Zweiteres ist er selbst verantwortlich, Extra-Übungen gehören da dazu, wie die neue Fähigkeit, „mich durchchecken zu lassen, sobald ich irgendetwas merke“. Streicheleinheiten bekommt er obendrauf, weil Heynckes um den Wert eines Boatengs in Topform nicht zuletzt aus dem Triple-Jahr weiß.
Das Ziel für 2018 ist – na klar – „stabil und gesund bleiben“, dann ist der Weg zur WM ein Selbstläufer. Dass Süle in der Hinrunde zu 20 Pflichtspiel-Einsätzen kam und sich auch prächtig mit Hummels versteht, lässt den eigentlichen Chef nicht nervös werden. Er sei zwar nie „jemand gewesen, der viel redet“, aber könne schon mal klarstellen: „Ich habe keine Angst vor niemandem.“
Mal ehrlich: Bei den Schultern hat es sich auch leicht reden. Aber hinter Boatengs Brille zuckt wieder keine einzige Wimper.