München – Schon allein optisch trennen die beiden Welten. Hier der stachlige Irokese mit imposanten Tattoos auf dem ganzen Körper – dort der Schwiegermamatyp, der in keiner BWL-Lesung auffallen würde. Arturo Vidal wird der „Krieger“ genannt, Leon Goretzka hingegen gelobt, weil er mit 22 Jahren bei Schalke und der Nationalelf stets wie ein Klassensprecher auftritt.
Wenn Goretzka nach München kommt, steht dann ein Stilwechsel an? „Die Chancen sind gut“, sagte Uli Hoeneß gestern auf dem Neujahrsempfang der DFL der „Funke Mediengruppe“ über die Verhandlungen. Es sei zwar noch nichts unterschrieben, „aber wenn er zu uns kommt, wäre das gut. Auch für ihn.“ Und auch für Vidal? Sein Vertrag läuft 2019 aus. Allerdings hat der Chilene, der im Mai 31 wird, schon oft bewiesen, dass man ihn nicht abschreiben sollte. Er stand einige Male auf der Kippe und ist immer noch da. Weil seine Qualitäten geschätzt werden, wenn es heiß wird.
An Vidals Gelb-Rot gegen Real hatte Ancelotti viel Anteil
Als der Mittelfeldrackerer im Sommer 2015 von Juventus Turin wechselte, war Hoeneß nicht ganz überzeugt. Er sei nicht sicher, ob sich dieser 40-Millionen-Euro-Transfer rechne, unkte er damals. Inzwischen hat sich der Präsident längst eines Besseren belehren lassen. Die gelegentlichen Unbeherrschtheiten des Chilenen missfallen den Bossen natürlich, und dennoch gehört er auch zu den Lieblingsspielern. Um Titel zu holen, braucht man Krieger.
Bei Vidal ist es jede Saison das gleiche Prozedere: In der ersten Hälfte der Spielzeit hadert man mit seiner frappierend laxen Berufsauffassung, zur Wiesn treibt es der Lebemann gerne auf die Spitze. Ab der Winterpause aber beginnt er, zu arbeiten. Unter Pep Guardiola gehörte er in den K.o.-Spielen der Champions League stets zu den Besten. Bloß in der letzten Saison musste er sich Kritik gefallen lassen, mit einem verschossenen Elfmeter und einer Gelb-Roten Karte hatte er Anteil am Aus gegen Real Madrid. Da sich Vidal aufgrund seiner Vita angreifbar machte, übersahen dabei aber die meisten, dass es in Wahrheit an Carlo Ancelotti gelegen hatte. Der Italiener hatte im Rückspiel keinen Plan B, um seinen Platzverweis-gefährdeten Mittelfeldmann rechtzeitig aus der Partie zu nehmen. Guardiola wäre das nicht passiert. Jupp Heynckes auch nicht.
Überhaupt: Heynckes und Vidal, das ist eine besondere Geschichte. Keiner weiß den Krieger besser zu packen wie der 72-Jährige. Das Duo lernte sich einst bei gemeinsamen Zeiten in Leverkusen schätzen, diese Saison schaffte es Heynckes mit einer einzigen Gardinenpredigt, das Gute in Vidal hervorzuholen. Als er bei seinem Dienstantritt den desolaten körperlichen Zustand des 30-Jährigen bekrittelte, packte der im Training umgehend ein paar Prozente drauf. In den folgenden vier Spielen traf er vier Mal.
Man muss vorsichtig sein, Vidal abzuschreiben. Auch beim Rückrundenstart erhielt er in Leverkusen den Vorzug, unter anderem vor dem Rekordeinkauf Corentin Tolisso und Sebastian Rudy, der nach einer starken Phase im Sommer in Vergessenheit zu geraten droht. Vidal bereitete das 1:0 durch Javi Martinez vor und verrichtete seinen Dienst wie gewohnt rigoros.
Die große Frage wird sein, ob ein neuer Coach kommt – und womöglich nicht böse ist, wenn man sich von einem so schwierigen Charakter wie Vidal trennt. Chelsea hat immer wieder Interesse, es ließe sich sogar etwas Geld verdienen, und im Münchner Mittelfeld ist das Gedränge ohnehin recht groß; gibt es ja auch noch Thiago, James und – sofern er zurückkehrt – den derzeit nach England verliehenen Renato Sanches.
Leon Goretzka hat sich in den vergangenen Monaten als Unruhestifter zwischen den Linien einen Namen gemacht. „Wir wären im falschen Film, wenn wir uns nicht um ihn bemühen würden“, sagt Rummenigge. Ob für Vidal dann noch eine Rolle bliebe? Das Drehbuch wird ab Sommer interessant. Ein möglicher Arbeitstitel für das Manuskript: Der Krieger und der Klassensprecher.