Melbourne – Das Haus, in dem Maria Scharapowa in Manhattan Beach nahe Los Angeles wohnt, hat wie die meisten teuren Häuser der Gegend eine traumhaft schöne Aussicht auf den Pazifik. Aber vor einem Jahr um diese Zeit sah sie öfter in den Fernseher als aufs Meer, neben sich eine Schachtel mit Papiertaschentüchern. Sie hatte sich eine Erkältung eingefangen und sah mit laufender Nase zu, wie die Kolleginnen 12 000 Kilometer entfernt in Melbourne um den Titel bei den Australian Open spielten.
Da drüben, auf der anderen Seite des Pazifiks, war zwölf Monate zuvor die positive Dopingprobe bei ihr genommen worden, aber als sie Mitte Januar 2017 in Manhattan Beach vor dem Fernseher saß, stand bereits der Zeitpunkt ihrer Rückkehr zum Tennis nach der verbüßten Sperre fest, Ende April. Es fiel ihr trotzdem schwer, den anderen in Melbourne zuzusehen – nicht nur wegen der Erkältung.
Jetzt, ein Jahr später, hat sie das Gefühl, als habe sie sich selbst in den Fernseher und damit mitten in die Rod Laver Arena transportiert. „Es gibt eine Menge Dinge, über die ich mich freuen kann“, sagte sie nach dem Sieg gegen Anastasija Sewastowa. „Ich wollte hier sein, und ich bin wieder hier.“ Sie macht kein Hehl daraus, dass ihr der Erfolg in zwei Sätzen auch deshalb so gut gefiel, weil sie im September 2017 bei den US Open im Achtelfinale gegen die Lettin verloren hatte. In Australien ist Scharapowa nun zum zweiten Mal nach ihrer Sperre bei einem Grand-Slam-Turnier wieder im Spiel, und der Rummel um ihre Rückkehr hat spürbar nachgelassen.
Dennoch gab es Kritik, als sie in der vergangenen Woche bei der live im australischen Fernsehen übertragenen Auslosung nicht nur den Pokal in die Arena tragen durfte, sondern in einem Gespräch danach auch mit keiner Silbe nach dem Grund ihrer Abwesenheit im vergangenen Jahr gefragt wurde. Turnierdirektor Craig Tiley rechtfertigte den Auftritt, er habe wie auf der Seite der Männer mit Roger Federer jemanden präsentieren wollen, der das Turnier gewonnen habe, und deshalb sei Maria Scharapowa, die Siegerin des Jahres 2008, die logische Wahl gewesen.
Theoretisch wäre für diesen repräsentativen Job auch Angelique Kerber in Frage gekommen, die das Turnier vor zwei Jahren gewann. Doch die spielte in den Tagen vor Beginn der Australian Open beim Turnier in Sydney. Wie viele Kolleginnen findet auch Kerber, das Thema Scharapowa und Sperre sei nun erledigt. „Sie hat ihre Strafe abgesessen.“ Das Spiel zwischen beiden wird ohne Frage der Knüller der dritten Runde sein, nicht nur mangels Alternative. 17 der 32 gesetzten Spielerinnen sind bereits ausgeschieden, darunter die an Nummer 3 gesetzte Wimbledonsiegerin Garbiñe Muguruza und die Engländerin Johanna Konta (9).
Für Scharapowa und Kerber kann sich in der achten gemeinsamen Begegnung viel entscheiden. Für die amerikanische Russin wäre ein Sieg gegen die mit Abstand erfolgreichste Spielerin der ersten Wochen des Jahres 2018 ein höchst willkommener Hinweis darauf, sich wieder auf einem Niveau mit den Besten zu bewegen. Und für Kerber geht es darum, Schritt für Schritt auf jenem Weg weiterzugehen, bei dem sie seit dem Saisonauftakt beim Hopman Cup in Perth alle beeindruckt. Beim Sieg am Donnerstag gegen die Kroatin Donna Vekic (6:4, 6:1) wirkte sie genauso souverän wie in Runde eins und sie überstand auch die Grillzeit unbeschadet. Den Spitzenwert von 39,9 Grad gönnte sich dieser brüllend heiße Tag erst einige Stunden nach dem Ende der Partie, aber auch am Nachmittag hätte man Spiegeleier auf dem blauen Belag braten können.
Für Kerber gab es nach der Partie aber Feineres: Sie nahm zwei Torten und reichlich Glückwünsche zum 30. Geburtstag in Empfang.