der EHC München wird 20

Von der Hobbytruppe zum Konzernteam

von Redaktion

An Profi-Eishockey und Deutsche Meisterschaften war bei der Gründung des HC 98 nicht zu denken

Von Günter Klein

München – Eishockey in München ist jetzt ziemlich eventig. Im ersten Powerbreak schießen hochhackige Sponsoren-Damen aus ihren Kanonen T-Shirts in die Fankurve, in den Drittelpausen wird die Eisfläche in eine Lichterlandschaft verwandelt, auf der die neuesten Stadionunterhaltungsspiele stattfinden, und schließlich, bei einer passenden Spielunterbrechung, darf sich noch der Zuschauer feierlich und allseits beklatscht erheben, der den längsten Anreiseweg hatte (also erwischt es immer einen arglosen Touristen). Alles Red-Bull-Regie.

Das alte Eishockey-München lebt nur noch dann auf, wenn Stadionsprecher Stefan Schneider die Zuschauerzahl durchgibt. Er sagt dann meist: „Vergelt’s Gott, dass sie zum Eishockeyclub gehen.“ Als bestritte der seinen Etat aus den Tageseinnahmen. Das Geld kommt vom österreichischen Getränkekonzern, und manchmal formuliert Schneider auch: „Danke, dass sie zu den Redbulls gehen.“ Er sagt jedoch deutlich öfter „Eishockeyclub“.

EHC. Das alte Kürzel und der Name des Stammvereins spielen in der Kommunikation des EHC Red Bull München keine große Rolle mehr, aus dem Vereinswappen wurde ein Logo, in dem die drei Großbuchstaben nicht zu finden sind. Diesen Freitag (19.30 Uhr), wenn die Düsseldorfer EG im Olympia-Eissportzentrum zu Gast ist, wird der Eishockeyclub aber sehr wohl erwähnt und gerühmt werden. Auf den Tag vor zwanzig Jahren nämlich wurde er gegründet – als „Eishockeyclub HC 98 München“. Also feiert Red Bull München seinen 20. Geburtstag und gönnt sich ein wenig Tradition.

Es ist ja durchaus bemerkenswert, dass auf dem Fundament des HC 98 München mal ein Deutscher Meister stehen würde. Absehbar und beabsichtigt war solch ein Werdegang überhaupt nicht bei der Gründungsversammlung vor zwanzig Jahren. Höchstes Team in München war damals der ESC, der vor dem Aufstieg in die dritthöchste Liga stand. Es gab aber noch eine Szene mit ehemaligen ESC- und Hedos-Spielern, die ohne Druck und als Hobby Eishockey spielen wollten. Franz Jüttner, der inzwischen verstorbene Geschäftsführer der Disco P1, war als früherer Profieishockeyspieler die treibende Kraft. Erster Torschütze: Bastian Schwele, der in Kaufbeuren sogar DEL gespielt hatte und nun in München sich beruflich bilden wollte. Das ist ihm auch gut gelungen, er hat eine Medienkarriere gemacht, wurde gefragter Kommentator von Eishockeyspielen, saß erst wieder am Sonntag beim 4:3 des EHC gegen Nürnberg oben in seiner Reporter-Box. Vielleicht ist er bald sogar Träger des Deutschen Fernsehpreises, der Ende Januar vergeben wird. Mit Rick Goldmann (war auch mal Spieler beim EHC München) und Sascha Bandermann zusammen ist Schwele für die Sport1-Berichterstattung von der Eishockey-WM nominiert worden. „Eine Riesenehre“, sagt er, „ich dachte, als die E-Mail kam, zunächst: Macht Rick einen Spaß mit mir?“

Die Jüttner-Schwele-Truppe fing im Oktober 1998 mit dem Spielbetrieb im Prinzregentenstadion an; als das renoviert wurde, wich der HC 98 nach Grafing aus, auf dem Oberwiesenfeld wäre die Miete zu hoch gewesen. Außerdem spielten da die Barons, das 1999 vom amerikanischen Anschutz-Konzern mit der vom EV Landshut übernommenen Lizenz gegründete DEL-Team. Doch 2002 war es schon wieder vorbei mit Spitzeneishockey, die Barons-Franchise wurde nach Hamburg verpflanzt.

Rettung durch den Bogenhausener Kreis

Dem HC 98, mittlerweile in der Bayernliga angekommen, der vierthöchsten Klasse, eröffnete sich ein neuer Markt. Er benannte sich um in EHC, er bekam Strukturen, die schon ein wenig professionell anmuteten. Er zog um in die Olympia-Eishalle, er war nun das Münchner Team. Und orientierte sich nach oben. 2003 Oberliga, 2005 Zweite Liga. In Christian Winkler hatte der EHC einen Manager, der bis heute amtiert, der finanziell starke Mann im Club war Jürgen Bochanski, mit seiner „Aktiv Assekuranz“ schon ein Sponsor des Münchner Eishockeys zu Hedos-Zeiten in den 80er-Jahren.

Sportlich wuchs der EHC, doch wirtschaftlich erlebte er die für München typischen Turbulenzen. Nach der Saison 2006/07 war der Betrieb nicht mehr finanzierbar, mit einer neuen Gesellschafterstruktur, dem „Bogenhausener Kreis“, ging es nach zwei Wochen der Schreckensstarre weiter. 2010 gelang der sportliche Aufstieg in die DEL, doch der EHC reichte seine Unterlagen zu spät und unvollständig ein. Er zog bereits eine Auswanderung in die Erste Bank Eishockey Liga (EBEL) nach Österreich in Erwägung, bekam von der DEL aber noch eine Nachfrist gesetzt. Schließlich wies der kanadische Geschäftsmann Michael Philipps, einer von drei EHC-Hauptgesellschaftern, von einem amerikanischen Flughafen aus die notwendigen Bürgschaften und das DEL-Eintrittsgeld von 800 000 Euro an.

Die in der Zweiten Liga bereits angehäuften Fehlbeträge der EHC München Spielbetriebs GmbH wuchsen in der DEL trotz respektabler erster Saison 2010/11 (Pre-Playoffs) in Richtung zweistelliger Millionenhöhe. Die Gesellschafter wollten raus, ein Verkauf der Lizenz an den Zweitligisten Schwenninger Wild Wings ließ sich 2012 nicht realisieren. Die Mitarbeiter saßen auf der Geschäftsstelle, damals im Bauch des großen Münchner Olympiastadions, und wussten nicht, ob sie für die nächsten Wochen noch planen sollten.

Dass es weitergehen würde, erfuhr man interessanterweise über Marcus Höfl, den Ehemann von Skistar Maria Riesch, und Manager von Franz Beckenbauer. Er verbreitete die Nachricht per Twitter: Red Bull würde einsteigen. Für 2012/13 erwarben die Österreicher die Namensrechte, dafür bezahlten sie eine Million Euro. Ein Jahr später erfolgte die Komplettübernahme. Die Geschäftsstelle des EHC ging auf in der deutschen Red-Bull-Zentrale am Englischen Garten. Die Company modernisierte die alte Olympia-Eishalle und hob den Etat von vier auf geschätzte 13 Millionen an. Fast alles wurde neu: Trainer, Mannschaft, das Betreuer-Team ums Team herum. Der EHC zahlt verlässlich, im Eishockey lockt das. Der Anspruch: Meister werden. Das gelang 2016 und 17.

Trotz des Erfolgs und des aggressiven Marketings von Red Bull in der ganzen Stadt: Eishockey muss sich hinter zwei traditionsreichen Fußballvereinen und den Bayern-Basketballern einreihen, abseits der zum Jahreswechsel in die Olympiahalle ausgelagerten Halleluja-Spiele und der Playoffs (ab dem Halbfinale) braucht es immer wieder Rabattaktionen, um im Ligenalltag die kleine Halle wenigstens zu zwei Dritteln zu füllen. An manchen Tagen ist wirklich nur das Fachpublikum da.

Dann kommt Stefan Schneiders „Vergelt’s Gott“ von Herzen – und aus alter Gewohnheit.

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