„Wir sind die besseren Außenseiter“

von Redaktion

Die Skifahrer Thomas Dreßen und Josef Ferstl über ihren Aufstieg in die Weltspitze, Olympia und die Tücken der Streif

Kitzbühel – Beide standen in dieser Saison schon auf dem Podest: Thomas Dreßen (25/SC Mittenwald) als Dritter bei der Abfahrt in Beaver Creek, Josef „Pepi“ Ferstl (29/ SC Hammer) sogar als Sieger beim Super-G in Gröden. Die deutschen Abfahrer spielen im Ski-Weltcup wieder eine gute Rolle – wir sprachen mit den beiden über den Aufschwung, die Tücken der Streif und die Erwartungen für die beiden Rennen in Kitzbühel (Super-G/heute 11.30 Uhr, Abfahrt/morgen 11.30 Uhr).

-Der Ur-Bayer Thomas Dreßen aus Mittenwald ist zum Wahl-Österreicher geworden, wohnt am Traunsee in Oberösterreich. Wie kam’s?

Dreßen: Meine Freundin Birgit kommt von dort. Man kann sich nicht immer aussuchen, wo einen die Liebe hinverschlägt (lacht). Da ich die meiste Zeit dort lebe, ist da auch mein Hauptwohnsitz. Zu den Rennen kommt Birgit übrigens nach Kitzbühel, wie auch meine Mutter Martina.

-Josef Ferstl wohnt zumindest nicht weit von der Grenze entfernt. Sie haben in Tengling am Waginger See (bei Traunstein) ein Haus gebaut, in dem Sie mit Frau und zwei Kindern (Leni / fast 3, Hannes / 6 Monate) leben. Nimmt zumindest Leni ihren Papa schon wahr, wenn er im Fernsehen kommt?

Ferstl: (lacht) Na ja, sie weiß, dass grün gut ist und rot schlecht (bei den Zeiten/d.Red.). Sie erkennt mich schon ein bisserl, weiß aber nicht richtig, um was es sich da beim Skifahren dreht.

-Und was sagt Ihre Freundin dazu, Herr Dreßen, wenn Sie sich die gefährliche Streif herunterstürzen, die so manchen unsanft abwirft?

Dreßen: Am Anfang war sie nicht begeistert von der Abfahrt. Aber mittlerweile hat sie keine Angst mehr. Meine letzte richtige „Brezn“ ist auch schon länger her, vor zwei Jahren in Gröden bin ich gestürzt.

-Muss man einen eigentlich einen Schuss lebensmüde sein, um sich die Streif herunterzuhauen?

Dreßen: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich lebensmüde bin. Ich würde eher sagen: Positiv gestört. Kitzbühel ist eine Herausforderung, du bist erst mal herausgefordert, da überhaupt runterzukommen. Da musst du wirklich bei der Sache sein. Speziell in der Mausefalle musst du schon deine sieben Zwetschgen beinander haben, sonst wird’s gefährlich. Und da habe ich nicht unbedingt Lust drauf. Da ist dein ganzes Können gefordert, bei den meisten anderen Strecken hat man das nicht so.

-Felix Neureuther hat es mit dem Kitzbühel-Sieg seinem Vater Christian nachgemacht – Ihr Vater, Sepp Ferstl, war zweimal Kitzbühel-Sieger in der Abfahrt (1978 und 1979) . . .

Ferstl: In der Kindheit war er einfach ein Vorbild. Bei uns standen die zwei Gämsen als Pokale daheim, ich habe sie jeden Tag gesehen. Seit ich weiß, was das wert ist, die Streif zu gewinnen, war und ist das immer mein Ansporn. Es war immer mein Riesenziel, das auch zu schaffen. Auch das hat mich motiviert, auch Ski-Profi zu werden.

-Wurde Ihr Vater auch schon so als Superstar hofiert, vergleichbar mit den heutigen Helden?

Ferstl: Immer wenn Kitzbühel anstand, hat man gemerkt, was die Erfolge wert sind. Dann kommen viele Leute und erinnern sich: Erster deutscher Streif-Sieger, letzter deutscher Streif-Sieger, schon krass: Der eigene Vater hat das zweimal gewonnen, und wenn man dann selbst dabei ist, nimmt man das noch ganz anders wahr.

-Als Sie zum ersten Mal im Starthaus der Streif standen, kam da Panik auf?

Ferstl: Ich bin da als Kind mit sechs Jahren schon runtergerutscht mit Papa, ich kenne diesen Hang einfach. Das machte es einfacher.

-Aber Sie, Thomas Dreßen, fahren heuer erst zum zweiten Mal auf der Streif.

Dreßen: Beim ersten Mal war der Adrenalinspiegel schon vor dem Start extrem hoch. Was ich heuer gelernt habe: Wenn man von Anfang an aktiv an die ganze G’schicht herangeht, zeigt das, dass man da wirklich runter will, dann fällt es ein bisserl leichter. Da bist du von der Körpersprache ganz anders unterwegs, als wenn man sagt: ,Na ja, ich schau’s mir mal an.’ Auf der Streif spielt sich nicht viel mit anschauen. Normal bin ich einer, der im ersten Training eher verhalten aus dem Starthaus anschiebt, aber diesmal habe ich gleich gesagt: Gemma Vollgas!

-Was macht die Streif so einzigartig?

Dreßen: Da spielt vieles zusammen. Aber wenn du in Kitzbühel eine Kurve so dermaßen am Limit hinpressen musst, wie es eigentlich gar nicht mehr geht, etwa bei der Steilhangausfahrt oder in der Traverse – da gibt es nichts Vergleichbares.

-Sie beide standen in dieser Saison schon auf dem Podest, zusammen mit dem Kollegen Andreas Sander gibt es wieder ein deutsches Abfahrts-Trio, das in der Weltspitze mitfahren kann. Endlich?

Dreßen: Dass ich konstant vorne dabei bin, überrascht mich schon ein bisserl. Aber so tolle Teamkollegen wir Andi Sander und Josef Ferstl, die vorne mitfahren können, sind super Anhaltpunkte. Wenn man mit denen im Training mithalten kann, dann gibt das Selbstvertrauen.

-Früher war es umgekehrt: Nur die Techniker um Felix Neureuther, Fritz Dopfer und Stefan Luitz standen im Mittelpunkt.

Ferstl: Wir haben lange darauf hingearbeitet, das zahlt sich jetzt langsam aus. Von Sportdirektor Wolfgang Maier haben wir das Zeichen bekommen, dass er an uns glaubt, er hat einen neuen Trainerstab engagiert mit Mathias Berthold und Christian Schwaiger. Sie stehen zu 100 Prozent hinter uns. Die Wertschätzung ist spürbar.

-Werden die deutschen Abfahrer jetzt auch von der Konkurrenz ganz anders wahrgenommen?

Dreßen: Man merkt schon, dass die arrivierten Athleten mehr mit einem über die Strecke reden. In Beaver Creek habe ich mit Christof Innerhofer oder Hannes Reichelt über die Strecke diskutiert, kürzlich in Wengen mit Aksel Lund Svindal und Beat Feuz. Dann frag ich den Feuz schon: ,Du, das Silberhorn, fährst du das voll?’ Die helfen dir gerne weiter, aber du musst sie halt auch fragen. Es freut mich brutal, dass diese Kollegen auch offen für den Kontakt sind. Okay, zur Strecke fragen sie mich als Jungen vielleicht nicht so wirklich viel . . .  (lacht) Aber ich finde es ganz wichtig, dass man in der Abfahrt mit allen Athleten den Dialog sucht und sich austauscht.

-Wie prägen Sie sich eine Strecke wie die Streif ein, geht man die Kurven hundert Mal im Kopf durch?

Dreßen: Bei der Besichtigung gehe ich die ganzen Strecken-Punkte ganz langsam durch. Und wenn es im Kopf sitzt, dann gehe ich es immer schneller und schneller durch.

-Auch noch im Schlaf?

Dreßen: Nein. Ich schlafe so tief und fest. Höchstens als kleiner Bua, da träumt man schon mal davon, dass man Kitzbühel gewinnt.

-Und heute?

Dreßen: Ja klar. Wenn man Abfahrer ist, muss es das Ziel sein, einmal Kitzbühel zu gewinnen.

-Thomas Dreßen, wie bei Josef Ferstl war in der Kindheit auch Ihr Vater Ihr erster Trainer. Die Nummer 44 auf ihrem Rennhelm erinnert an ihn. Warum 44?

Dreßen: Diese Zahl steht für meinen verstorbenen Papa. DD sind die Buchstaben für seinen Namen Dirk Dreßen. D ist der vierte Buchstabe im Alphabet, deswegen 44. Ich wollte etwas auf meinem Helm, das für meinen Papa steht, das finde ich eine coole Lösung. Ich denke, er wäre stolz auf mich, dass ich jetzt auf der Streif fahre (Dirk Dreßen kam 2005 bei einem Seilbahnunglück in Sölden ums Leben/d.Red).

-Im Februar starten Sie beide bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang. Bei Olympia gibt es manchmal Überraschungssieger . . .

Dreßen: Bei Josef wäre es ja keine Überraschung, der hat ja schon in Gröden gewonnen (lacht).

Ferstl: Für jeden ist alles drin bei den Olympischen Spielen. Wir gehören nicht zu den Megafavoriten, aber zu den Außenseitern. Zu den besseren Außenseitern.

-Eine Streif erwartet Sie in Südkorea eher nicht . . .

Dreßen: Ich war vor zwei Jahren beim Testlauf drüben. Es sind viele Wellen drin, eine sehr technische Strecke, ohne wirkliches Gleitstück. Da muss man seinen Rhythmus finden.

-Erinnern Sie sich an ein erstes Olympia-Erlebnis in Ihrer Kindheit?

Ferstl: Ich war neun Jahre alt, als ich den Dreifachsieg in der Kombination bei Olympia in Nagano 1998 gesehen habe. Katja Seizinger vor Martina Ertl und Hilde Gerg. Das hat mich geprägt, weil da drei deutsche Mädels oben standen. Da habe ich gedacht: Richtig cool.

Das Gespräch führte Jörg Köhle

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