In der Arena wird koreanisch gesprochen

von Redaktion

Bei seinem überraschenden Sieg gegen Novak Djokovic tauscht Chung Hyeon mit seinem einstigen Idol die Rollen

von doris henkel

Melbourne – Normalerweise wird in der Rod Laver Arena Englisch gesprochen. Nicht nur deshalb, weil Australien die große Mehrzahl der Zuschauer stellt, sondern weil die Sieger-Interviews auf dem Platz auch in der Tennis-Weltsprache geführt werden. Manchmal, nach Erfolgen von Rafael Nadal oder Juan Martin del Potro, werden ein paar spanische Vokabeln dazu gemixt, aber ungeschnitten 20 Sekunden Koreanisch gab es noch nie. Interviewer Jim Courier reichte das Mikrofon an Chung Hyeon weiter, der gerade zur allgemeinen Überraschung in drei Sätzen gegen Novak Djokovic gewonnen hatte, und ermunterte den jungen Mann aus Südkorea zu ein paar Worten an die Zuschauer zuhause.

Chung ist also im Viertelfinale der Australian Open gelandet, und mal ehrlich: Wer wäre vor einer Woche auf eine Idee wie diese gekommen? Chung brachte einiges an Renommee mit, vor allem den Sieg 2017 beim NextGen-Finale, dem Turnier der besten acht Spieler unter 21 Jahren. In Melbourne besiegte er in der ersten Runde den grippekranken Mischa Zverev, in der dritten dessen Bruder Sascha. Der meinte danach, er rechne mit einer starken Saison von Chung Hyeon, bisher Weltranglistenplatz 58.

Nach dem Sieg gegen Novak Djokovic schlossen sich diverse Menschen dieser Meinung an. Es wurde zwar relativ schnell klar, dass der Serbe wieder Schmerzen im rechten Ellbogen hatte, dennoch sah es in vielen langen Ballwechseln so aus, als spiele eine Version des früheren Weltranglisten-Ersten gegen die zweite. Chung berichtete hinterher, Djokovic sei sein Idol gewesen, und deshalb habe er versucht, dessen Spielstil zu kopieren. An diesem Abend war die Kopie besser als das Original, aber trotz seiner sichtbaren Schmerzen hielt Djokovic bis zum Ende durch und schmälerte den Sieg des Gegners nicht durch eine Aufgabe.

Wie es jetzt für ihn weitergeht, wird man sehen. „Im Moment habe ich keine Ahnung“, sagt er. „Ich werde mit meinem Team, auch mit dem medizinischen Team, neu beurteilen müssen, noch mal einen Scan machen lassen, um zu wissen, wie die Lage ist. Ich hab jetzt hier eine Menge Tennis gespielt und muss erst sehen, wie es danach im Ellbogen aussieht.“

Für den Mann aus Südkorea mit den schnellen Beinen und der weißen Brille geht es morgen im Viertelfinale weiter. Theoretisch hätte er auf den Schweizer Stan Wawrinka oder auf den an Nummer fünf gesetzten Österreicher Dominic Thiem treffen können, aber um diese beiden kümmerte sich auf verblüffende Art ein Amerikaner mit sehr speziellem Namen: Tennys Sandgren. Der gehört zwar zu den besten hundert Spielern der Weltrangliste (97), hatte aber zuvor nur zweimal im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers gespielt. Seine Punkte sammelte Sandgren in erster Linie bei Challengerturnieren.

Dominic Thiem meinte, in fünf Sätzen sei sein Gegner einfach der bessere Mann gewesen, und im Übrigen sei die Sache ja so: „Wenn einer in der vierten Runde ist und Wawrinka geschlagen hat, dann kann er Tennis spielen.“

In den wenigen Geschichten, die bisher über den Mann aus Tennessee geschrieben wurden, ging es natürlich auch um seinen Namen, den er quasi vom Großvater geerbt hat, bevor jemand in der Familie eine Ahnung hatte, dass der Junge eines Tages Tennisprofi werden würde. Um einem gewissen Erklärungsnotstand aus dem Wege zu gehen, bestellt er seinen Kaffee und andere Dinge im Take-away oft unter einem belanglosen Namen wie David; es macht nicht jedes Mal Spaß, die Geschichte seines Namens erklären zu müssen.

Tennys Sandgren oder Chung Hyeon, einer dieser beiden wird im Halbfinale landen und am Freitag gegen Roger Federer oder Tomas Berdych spielen. Keiner der beiden Außenseiter hätte sich im Traum so was vorstellen können, als sie vor ein paar Wochen in der ersten Runde beim Turnier in Auckland/Neuseeland gegeneinander spielten. Damals gewann Chung, aber man sieht sich ja bekanntlich immer zweimal.

Artikel 1 von 11