„Mir hat’s die Ganslhaut aufgestellt“

von Redaktion

Doppel-Olympiasieger Markus Wasmeier schwärmt vom Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen

Kitzbühel – Wenn einer weiß, was auf Thomas Dreßen nach seiner Schussfahrt ins Glück auf der Kitzbüheler Streif jetzt hereinbricht, dann der frühere Alpin-Held Markus Wasmeier. Der junge Bursche aus Schliersee war mit 21 Jahren plötzlich Riesenslalom-Weltmeister (1985 in Bormio) geworden, ohne davor ein Rennen gewonnen haben. Wie Wasmeier damals mit den Erwartungen umging, wie er den Triumph Dreßens erlebte, was er ihm nun rät, wie er mit den Erwartungen bei Olympia umgehen soll, das verrät uns der letzte deutsche alpine Olympiasieger (Doppel-Gold im Riesenslalom und Super-G 1994 in Lillehammer) im Interview. Markus Wasmeier ist heute 54 Jahre alt und betreibt seit 2007 in Schliersee ein Freilichtmuseum mit altbayerischen Bauernhöfen.

-Markus Wasmeier, Sie standen am Samstag selbst auf der Tribüne, als Thomas Dreßen dieser historische Sieg gelang. Ihre ersten Gedanken . . .

Das war das geilste Wochenende seit langem! Es war ein ganz besonderer Tag, nicht nur für Thomas, generell für den Skisport. Da fällt uns ein Riesenstein vom Herzen, vor allem nach dem Ausfall von Felix (Neureuther) und Stefan (Luitz) ist das wie Balsam auf den Seelen, wenn ein junger Bursche wie Thomas ausgerechnet in Kitzbühel sein erstes Rennen gewinnt – und das noch direkt vor Olympia. Der Skisport ist einfach gigantisch, jetzt haben wir mit dem Thomas einen, der das nach außen trägt. Eine geile Geschichte!

-Hatten Sie ihn auf der Rechnung für einen Kitzbühel-Sieg?

Ich erkenne natürlich relativ schnell, dass er extrem stabil unterwegs war. Schon im oberen Teil, wo es wirklich rund geht, hat er eine souveräne Zeit hingelegt. Da war bei uns Zuschauern Gänsehaut pur. Dann verlieren viele Läufer Zeit im Flachstück, aber Thomas ist mit einer dermaßenen Souveränität aus der Alten Schneise rausgekommen, der Wahnsinn. Da zieht’s mir jetzt noch richtig die Ganslhaut auf, so gigantisch war das! Dann hat er leicht verloren an der Hausbergkante, aber er macht das mit einer Coolness, die ist bewundernswert.

-Die hat man oder man hat sie nicht?

Du hast ja nicht einmal das Gefühl gehabt, er ist jetzt am Limit angekommen. Wenn ich den Österreicher Matthias Meyer anschaue, wie der in der Traverse gekämpft hat, um überhaupt zu überleben, oder die zwei Stürze gesehen habe – da wäre Thomas nicht annähernd in die Gefahr gekommen, so stabil fährt er. Er strahlt so viel Ruhe aus, das ist keine Hektik – so fährt man Abfahrt! Er erinnert eigentlich an den Norweger Aksel Lund Svindal, da sieht man auch selten Unruhe.

-Wie kann man mit 24 schon so reif sein?

Ich kenne den Thomas seit seinem zwölften Lebensjahr, weiß, was er alles durchgemacht hat. Nicht nur wegen der Tragödie mit seinem Vater. Er musste um seine Skikarriere sehr hart kämpfen, ist dadurch aber extrem gereift. Darum steht er auch so bodenständig da, ist so ein umgänglicher Mensch geworden, der so viel Freundlichkeit an den Tag legt – und immer ganz bescheiden bleibt. Da haben wir jetzt noch einen Athleten, der das Herz am richtigen Fleck trägt. Was ich bemerkenswert finde: Dass er mit dem Thema mit seinem Vater (der bei einem Seilbahnunglück 2005 in Sölden ums Leben kam/d. Red) extrem klar umgeht: Da ist die Grenze – und weiter sagt er nichts. Er weiß genau, was ihm guttut und was nicht. Da sehe ich, dass er extrem gewachsen ist von seinem ganzen Charisma, von seinem Auftreten. Er hat seinen Charme, seinen Witz beibehalten, der Schalk sitzt ihm im Nacken. Ich hoffe, er bleibt so. Aber jetzt kommt eine neue Zeit für ihn.

-Mit Olympischen Spielen. Was kommt da jetzt auf einen Kitzbühel-Helden zu, sind die Erwartungen noch zu bremsen?

Ich hoffe, dass ihn der Verband gut abschirmt. Ich kenne das selber: Als 21-Jähriger plötzlich Weltmeister zu sein, wie ich das damals erlebte, das war zwar kein Stress, aber irgendwann später merkt man, dass es dir die Kraft nimmt. Das ist jetzt für Thomas schon eine Herausforderung. Zu zeigen: ,Hey, das war jetzt keine Eintagsfliege.’ Was man bei einem Kitzbühel-Sieger eigentlich sowieso nicht annehmen braucht. Aber der Athlet will ja selber beweisen: Auch wenn mal nicht die Sonne scheint, kann ich das Rennen gewinnen.

-Ist die Situation Dreßens vor Olympia mit Ihrer damals vergleichbar?

Ich habe vorher vielleicht auch mal einen vierten oder fünften Platz gehabt, war ein Außenseiterkandidat für eine Medaille. Das ist eigentlich die günstigste Version, keinen Druck zu bekommen. Man kann sich im Hintergrund vorbereiten, um dann zuzuschlagen. Bei Dreßen ist das jetzt anders.

-Weil ein Kitzbühel-Sieg die Erwartungen für Olympia geradezu explodieren lässt. Gerade weil die Deutschen so ausgehungert sind. Ihre Olympiasiege liegen auch schon 24 Jahre zurück . . .

Thomas hat jetzt schon vor Olympia diesen Titel eingefahren, der in Abfahrtskreisen ein Ritterschlag ist. Garmisch (Weltcup-Abfahrt am kommenden Samstag/d. Red.) ist die nächste Herausforderung. Wenn er die auch noch gut meistert, ist er natürlich ein klarer Kandidat für den Olympia-Sieg. Und das ist ein Problem. Es ist immer besser, bei Olympia geht man an den Start und kann sich seine Nerven vorher sparen.

-Was können Sie ihm also raten? Sich abzuschotten?

Sorry, aber ich habe meine ganze Karriere nie eine Zeitung gelesen, das hat mir sehr geholfen (lacht). Irgendwann ist irgendwas dabei, was nicht so nach deinem Sinne war, dann regst du dich furchtbar auf. Da kann ich nur raten: Konzentriere dich auf deinen Sport. Es gibt manche Athleten, die sind ganz wissbegierig: Was ist über mich geschrieben worden? Die haben sich ja manchmal gegenseitig zerfleischt. Das ist der beste Rat, den ich Thomas mitgeben kann, dass er sich da nicht ins Bockshorn jagen lässt. Korea liegt gottseidank so weit weg, dass er eine gute Chance hat.

-Aber die Erwartungen entstehen jetzt automatisch, nicht durch die Medien. Auch Sie sehen Dreßen als Gold-Kandidaten.

Insgeheim habe ich schon länger gehofft, dass mich jemand als letzter deutscher Olympiasieger ablöst. Nachdem Felix und Stefan ausfallen, war schon irgendwo der Thomas bei mir im Hinterkopf. Es wäre doch schrecklich, wenn es wieder 58 Jahre dauern würde. Solange hat es bei mir gedauert, bis wieder ein Olympiasieger da war. 1936 Franz Pfnür, 1994 Wasmeier, das war eine lange Zeit dazwischen.

-Erinnert Sie Thomas Dreßen eigentlich an den jungen Wasmeier?

Ich kann über meinen Charme wenig sagen. Aber von seiner sportlichen Entwicklung, da haben wir sehr viele Parallelen. Ich bin ja auch nur in der Abfahrt groß geworden, dann als Abfahrer wieder zum Riesenslalom gekommen. Dreßen hat sich in den letzten Jahren nur auf die Abfahrt spezialisiert. Er kann ja auch irgendwann über den Super-G noch Riesenslalom fahren.

-Aber Parallelen zum jungen Wasi gibt es schon auch, was Bodenständigkeit, bajuwarischen Humor und Schlagfertigkeit betrifft.

Es ist sehr erfrischend, wenn ich wieder so eine schöne bairische Sprache höre und diesen jugendlichen Charme. Das tut uns allen gut, so einem Burschen zuzuschauen. Mag sein, dass ich das auch gehabt habe, aber das ist jetzt 35 Jahre her (lacht wie früher). Ich komme mir ja heute noch so jugendlich vor, aber mein Körper sagt das nicht.

-Was sind denn Dreßens Stärken auf der Abfahrtsstrecke?

Er hat eine extreme Leidenschaft, bei allem, was er tut. Das hat er schon immer gehabt. Es ist mit Leidenschaft Skifahrer, auch Abfahrer. Er liebt die Geschwindigkeit, hat sich kontinuierlich gesteigert. Das ist eine Basis, die ist Gold wert. Es könnte in der Abfahrt ein Generationswechsel stattfinden.

-Thomas Dreßen hat nun einmal in Kitzbühel das Ziel erreicht – und schon einen Kitzbühel-Sieg mehr als Markus Wasmeier. Das adelt ihn noch mal.

Kitzbühel war mit meiner Technik nicht wirklich meine Abfahrt. Ich bin oben immer Bestzeiten gefahren, und habe im Mittelteil immer mindestens eine Sekunde bekommen. Dieses Flachstück war nicht meines. Klar, ich habe 74 Kilogramm, am Anfang sogar 71 gehabt, der Thomas wird seine 95 oder 98 Kilo wiegen. Ein richtiger Brocken. Der Beat Feuz (Schweiz, am Samstag Zweiter/d. Red.) ist mir wie ein Schüler neben ihm vorgekommen. Dreßen bringt Größe und Stabilität mit, ist von der Statur her ein ganz typischer Abfahrer.

-Leider hat er Bayern verlassen, ist der Liebe wegen nach Österreich ausgewandert. Wie bringt man den bayerischen Helden wieder nach Bayern?

Da muss man halt ein paar fesche bayerische Hasen ausgraben (lacht). Deswegen bleibt er trotzdem ein Mittenwalder. Hauptsache, er fühlt sich in seinem Umfeld wohl, das kann nur positiv für die Leistung sein. Und so haben die Österreicher wenigstens bei seinen nächsten Siegen ein bisserl Wehmut, weil eine Österreicherin dafür zuständig ist.

Das Gespräch führte Jörg Köhle

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