München – Der Montag war einer von diesen Tagen, an denen einem auch mal der Name Renato Sanches wieder in den Sinn kommen konnte. Den Portugiesen, vor anderthalb Jahren noch die große Zukunftshoffnung des FC Bayern, hat es inzwischen nach Swansea verschlagen, und die Nachrichten aus Südwales klangen vielversprechend. Swansea City, der Tabellenletzte der britischen Premier League, besiegte am Montagabend den FC Liverpool 1:0, doch Renato Sanches trug zu diesem Coup herzlich wenig bei. Der Hoffnungsträger a. D. ist verletzt.
Nach Lage der Dinge wird auch der beste Nachwuchsspieler der EM 2016 im Sommer wieder den Kader der Bayern schmücken. Dabei ist der schon schmuck genug, gerade im zentralen Mittelfeld. Aktuell ist zum Beispiel für Corentin Tolisso, immerhin der bisher teuerste Bayern-Einkauf, kein Platz. Beim Rückrunden-Auftakt in Leverkusen stand er exakt eine Minute auf dem Rasen. Am Sonntag gegen Bremen war es eine weniger.
„Das ist nicht so einfach“, sagt Jupp Heynckes zu diesem Thema, und man meint das Seufzen förmlich herauszuhören. Der Trainer nennt die Situation einen „Luxus“, weil er in der Zentrale mehr als an jedem anderen Ort die volle Auswahl hat. Doch wie so oft im Leben gibt es eine Kehrseite. Wo der eine im Luxus schwelgt, muss ein anderer dafür bezahlen.
Bekanntlich ist Javi Martinez seit Heynckes’ Rückkehr wieder ins Mittelfeld vorgerückt und steht bei seinem Trainer dermaßen hoch im Kurs, dass alle anderen sehen müssen, wo sie bleiben. Arturo Vidal pendelt zwischen Feld und Bank, Tolisso und Sebastian Rudy liegen in der Hierarchie schon ein gutes Stück zurück, und wenn demnächst Thiago wieder gesund ist, wird es noch ein bisschen enger.
Auch ein Rekordmann gerät da schon mal in Vergessenheit, obwohl Heynckes beteuert, Tolisso mache seine Sache wirklich gut: „Er ist ein laufstarker, aggressiver Mittelfeldspieler mit sehr gutem Torabschluss.“ Als Allererstes erwähnt der Trainer bei dem Franzosen allerdings eine ganz andere Qualität: „Er hat einen sehr guten Charakter. In der Mannschaft genießt er große Anerkennung.“
Ein pflegeleichtes Wesen ist tatsächlich hilfreich, wenn man Bestandteil eines so komplexen Gebildes wie einer Fußballmannschaft ist. Sollte Tolisso sich von seinen ersten Monaten in München mehr erhofft haben, behält er seinen Unmut sehr vorbildlich für sich. Im Herbst, nach dem Trainerwechsel von Carlo Ancelotti zu Heynckes, gab es schon mal eine Phase, wie man sie nach einschneidenden personellen Veränderungen häufiger erlebt. Tolissos Einsatzzeiten nahmen deutlich ab, doch der Mann, der im Sommer für 41,5 Millionen Euro von Olympique Lyon kam, ließ sich im Training nie hängen. Und als er im Champions League-Spitzenspiel gegen Paris St. Germain überraschend in der Startelf stand, glänzte er mit zwei Toren. So eine Reaktion wünscht sich jeder Trainer.
Objektiv gibt es nicht viel, was man Tolisso nach etwas mehr als einem halben Jahr vorwerfen kann. Subjektiv fallen die Zwischentöne auf, wenn Heynckes über ihn spricht. Er nennt den Franzosen „ein wirklich großes Talent, das wahnsinnig viel mitbringt“. Aber wie das bei Talenten so ist: Sie brauchen Zeit und Pflege, damit aus ihnen ein gestandener Klasseprofi wird, wie Javi Martinez. Über den spricht Heynckes in der Gegenwartsform, während Tolisso (23) ein Mann der Zukunft ist: „Er wird auf Sicht sehr wertvoll sein.“
Wie weit die Sicht reicht, ist im Fußball aber naturgemäß schwer zu sagen. Schon im Sommer werden die Bayern im Mittelfeld wieder ganz anders sortiert sein, ob mit oder ohne Sanches. Bei Arturo Vidal etwa sind die Bosse für Angebote durchaus offen. Das trifft sich gut, weil der FC Chelsea ein solches Angebot wohl unterbreiten wird. Spannend ist auch die Frage, wie lange Leon Goretzka benötigt, um sich in München zu akklimatisieren. Der Schalker ist ein Jahr jünger als Corentin Tolisso. Und ebenfalls ein Mann der Zukunft.