Friedrich und die „große Unbekannte“

von Redaktion

Der Weltmeister im Zweierbob gilt als Goldfavorit – wäre da nicht der Koreaner Yunjong Won, für dessen Erfolg in der Heimat alles getan wird

München – Der Weg aus Berchtesgaden war am Montag in der Früh beschwerlich. Rund dreieinhalb Stunden brauchte der BSD-Tross durch die frisch verschneite Winterlandschaft und über die A8 zur Olympia-Einkleidung nach München. Schon mittags blickte Francesco Friedrich auf die Uhr und sagte: „Ich glaube nicht, dass unser Training heute noch stattfinden wird.“ Dabei war es eine der letzten Gelegenheiten, dem Olympia-Material in Testfahrten den nötigen Feinschliff zu verpassen. Ab jetzt sind die Schlitten verladen. Ihre Reise nach Südkorea dauert länger als jene der Athleten, die noch eineinhalb Wochen (Aus-)Zeit haben.

Friedrich will die Tage nutzen, um einfach mal „keinen Bob zu sehen“. Daheim die Füße hochlegen ist das Restprogramm für diese Woche, ab der kommenden wird an der Athletik gefeilt, um an den vier Tagen der olympischen Entscheidungen in Topform zu sein. Auf die Frage, ob der Serien-Weltmeister nach seinem Sieg am Königssee im Zweier Favorit sei, sagt der 27-Jährige prompt: „Ja!“ Jeder der Konkurrenten wisse spätestens seit vergangenen Samstag, „dass sie an mir zu knabbern haben und vorbei müssen, um Gold zu holen“. Er spricht dabei vor allem von den Kanadiern Justin Kripps und Chris Spring. Und vielleicht von Yunjong Won. Wobei der Weltcup-Dritte der vorolympischen Saison in der Bob-Szene aktuell den Beinamen „große Unbekannte“ trägt.

Dass der Koreaner Bob fahren kann, hat er in den vergangenen Jahren bewiesen. 2015/16 holte er die Kristallkugel, im vergangenen Winter war er stets vorne mit dabei. Und in diesem Jahr: Schloss er die Übersee-Weltcups in Lake Placid und Whistler als Zehnter, 13. und Sechster ab und zog sich dann zurück. Nach Pyeongchang, wo er inzwischen auf eine Testfahrten-Anzahl kommen dürfte, die im hohen dreistelligen Bereich liegt. Zum Vergleich: Allen anderen Piloten standen seit der Fertigstellung des Alpensia Sliding Centers 40 Läufe zu.

Vierer-Weltmeister Johannes Lochner ist sich nicht sicher, ob sich der Konkurrent aus dem Gastgeber-Land mit seiner Taktik, fünf der acht Weltcup-Stationen auszulassen, einen Gefallen getan hat. Er sagt: „Es kann sein, dass Won sich damit selbst ein Ei legt, der hat dann so viele Läufe, da kann man schnell auch mal zu verbissen runterfahren. Man will die perfekte Linie treffen – und dann klappt es nicht.“

Es ist in der Branche nur logisch, dass jeder Pilot eine Heimbahn hat, auf der er seine Erfahrung nutzen kann. Die Taktik der Koreaner aber ist vor allem dem deutschen Bundestrainer schon seit über einem Jahr ein Dorn im Auge. Rene Spies wurde nie müde, darauf hinzuweisen, dass der Vorteil, den sich die Südkoreaner verschaffen, an der Grenze sei. Won darf auf der Bahn, die als tückisch gilt, üben, üben, üben, während alle anderen Piloten kaum Praxiserfahrungen haben. Dass der olympische Eiskanal nach den letzten Tests im Oktober noch dazu komplett abgeschmolzen und – nach Wons Vorlieben – neu modelliert wurde, kommt erschwerend hinzu. Spies erwartet „ein ganz anderes Eis“ als bei der letzten Stippvisite in Pyeongchang. Eines, das keiner kennt – bis auf die Koreaner.

Spies ist sich nicht sicher, ob Won dem Druck standhalten kann, der von außen auf seinen Schultern lasten wird. Friedrich glaubt, dass die „fehlende Wettkampfhärte“ den Lokalmatadoren schwächen dürfte, „außerdem könnte er auch Pech mit der Startnummer haben“. Als 21. der Weltcup-Gesamtwertung ist er nicht gesetzt, spekuliert aber auf das Los, das in den Regularien des Weltverbandes IBSF gar nicht allzu viel Glück erfordert. Während die besten zehn Piloten die Startnummern 6 bis 15 erhalten, werden „die Startnummern 1 bis 5 aus den letzten 7 rangierten und anwesenden Piloten ausgelost“. Heißt: Won kann zu den fünf glücklichen gehören, die auf bestens präparierter Bahn in die Spur gehen. Und mit ganz viel Pech zu den zwei anderen, die nach den Weltklasse-Piloten starten.

Gelost wird offiziell elektronisch, der BSD hat aber einen Antrag gestellt, dass die Auslosung heuer vor Verantwortlichen stattfindet. Der Gastgeber-Vorteil ist ausgereizt, man will den Rest nun überwachen lassen. Der Weg nach Pyeongchang ist ja noch beschwerlicher als jener am Montag nach München. Deshalb soll am Ende alles mit rechten Dingen zugehen. Im Sport sagt man: Fair. hanna raif

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