Melbourne – Dienstagmorgen hing der Zettel in der Kommando-Zentrale des Pressezentrums, darauf Namen und Strafen aus der ersten Woche der Australian Open. In den meisten Fällen handelte es sich um die üblichen Vergehen wie Misshandlung des Spielgeräts oder hörbare Obszönitäten, die Höchststrafe in dieser Abteilung wurde gegen den Kroaten Borna Coric verhängt, 5000 Dollar.
Eine Summe aber auf halber Höhe der Tabelle fiel sofort ins Auge, weil sie eine Stelle mehr hatte als die anderen, jene 45 000 Dollar hinter dem Namen Mischa Zverev. Der deutsche Tennis-Profi hatte in der ersten Runde beim Stand von 2:6, 1:4 gegen den Südkoreaner Chung Hyeon aufgegeben und hinterher bestätigt, er sei mit einer fiebrigen Grippe und einer Knochenhautentzündung im Oberarm ins Spiel gegangen.
Nun könnte man die Sache ja theoretisch so sehen, es sei lobenswert, wenn ein Spieler trotz gewisser Einschränkungen auf den Platz gehe und alles versuche, um zu gewinnen. Aber da es in den vergangenen Jahren viele Fälle gab, in denen jemand mit vermeintlich besten Absichten an die Arbeit ging, dann aber nach einer gewissen Zeit aufgab und dann das Preisgeld mitnehmen durfte, wurden auch aus dem Kreis der Spieler Forderungen laut, es müsse etwas geschehen
Besonders drastisch sah die Sache 2017 in Wimbledon aus, als die Gegner von Novak Djokovic und Roger Federer nacheinander aufgaben und die Zuschauer nicht viel mehr als zweimal 40 Minuten Tennis zu sehen bekamen. Federer sagte damals, ein Spieler, der wisse, dass er das Spiel nicht beenden könne, solle nicht antreten, Djokovic stellte fest, der Gegner habe nicht richtig gehen können.
Insgesamt gaben damals in Wimbledon sieben Spieler in der ersten Runde auf und kassierten anschließend das saftige Preisgeld (knapp 40 000 Euro). Bei den Turnieren der ATP wurde im vergangenen Jahr schon eine neue Regel getestet, die einem Spieler, der rechtzeitig wegen Krankheit oder einer Verletzung vor der ersten Runde zurückzieht und damit einem so genannten Lucky Loser (Verlierer der letzten Runde des Qualifikationsturniers) die Chance auf einen Start gibt, das komplette Preisgeld zusichert.
An dieser Lösung orientierten sich die Organisatoren der Grand-Slam-Turniere mit einer ab 2018 geltenden Regel, allerdings mit einer nicht unerheblichen Einschränkung. Ein Spieler, der bis spätestens Donnerstagmittag vor Beginn des Turniers zurückzieht und damit einem Lucky Loser eine Chance gibt, erhält 50 Prozent des Preisgeldes, die andere Hälfte geht an den Nachrücker.
Die neue Regel, die bei den Australian Open nun zum ersten Mal bei einem Grand-Slam-Turnier angewendet wird, sagt allerdings weiter: Ein Spieler, der keine Leistung bringt, die einem professionellen Standard entspreche, riskiere eine Strafe bis in Höhe des Preisgeldes. Wer das Erreichen des professionellen Standards einschätzt, ist allerdings unklar.
Die 45 000-Dollar-Strafe gegen Mischa Zverev ist drastisch. Es ist die höchste Strafe, die während eines Grand-Slam-Turniers verhängt wurde, und sie blieb nur knapp unterhalb seines Preisgeldes von 47 000. Zverevs Manager Patricio Apey teilte am Dienstag auf Anfrage mit, nach Austausch von Details mit dem Supervisor des Turniers habe Zverev Berufung eingelegt.
Entschieden ist dagegen eine andere Angelegenheit, die auch mit dem älteren der Brüder zu tun hat. Der 30-Jährige steht nicht im deutschen Davis-Cup-Aufgebot. Er hatte bereits am Tag seiner Aufgabe in Melbourne gesagt, er müsse jetzt erstmal wieder gesund werden und nur, wenn das rechtzeitig der Fall sei, werde er dem Teamchef zusagen. Sieht so aus, als habe er im Moment genügend Sorgen.