Garmisch-Partenkirchen – Kaum war das Kapitel Kandahar abgehakt, musste Schussfahrer Thomas Dreßen seine geliebten langen Latten erst mal eintauschen gegen die taillierteren Modelle. Slalom-Training ist angesagt seit gestern in Saalbach-Hinterglemm. Schult die geborene Pistensau plötzlich zum Zick-Zack-Künstler und auf kurze Kurven um? Grund für die Fortbildungsmaßnahme in dieser für einen Abfahrer artfremden Disziplin ist der Kombinations-Wettbewerb bei Olympia, wo der Mittenwalder nebst Linus Strasser aus München das deutsche Team vertreten soll. Vielleicht besteht sogar eine Medaillenchance, wenn Dreßen eine Abfahrtszeit hinlegt, die er im Slalom gar nicht mehr verbocken kann.
Die Generalprobe für die olympische Abfahrt der Männer, mit der die Alpinen ihr olympisches Programm am 11. Februar eröffnen, schloss Dreßen bei der Abfahrt am Samstag in Garmisch-Partenkirchen auf Rang sieben ab. Siebter, super!, fand er selbst – die Erwartungen für Pyeongchang driften auch nicht gleich ins Uferlose ab. Konnte jemand ernsthaft erwarten, es würde gleich weitergehen wie vor einer Woche beim Sieg in Kitzbühel? Siebter, „wenn ich da nicht zufrieden bin, g’hörat i g’schlagn“, meinte Dreßen in feinstem O-Ton Süd. Zuletzt stand er vier Mal in den Top Ten, heuer schon zwei Mal auf dem Podest, das Kitzbühel-Wunder – „da kann ich mit einem siebten Platz mal ganz zufrieden sein“, wär ja noch schöner. Zumal er mit seiner Feststellung auch nicht ganz daneben lag: Die Leute „vor mir sind ja auch keine Nasenbohrer“.
Vor ihm lagen, nur 0,53 Sekunden, der Schweizer Beat Feuz als Sieger und die zeitgleichen Vincent Kriechmayr (2.), eine Art österreichische Dreßen-Version, und Dominik Paris (Italien/3.) sowie Aksel Lund Svindal (4.) – alle in Schlagdistanz. Weit unter Wert geschlagen statt auf dem möglichen Podest musste sich nach einigen Zwischenbestzeiten wieder einmal Andreas Sander mit Rang elf abfinden, Josef Ferstl hing ein Grippevirus nach, weshalb ihm auf halber Strecke „die Körner ausgingen“ und nur für Platz 35 reichten. Dahinter kamen noch die deutschen Nachwuchskräfte Manuel Schmid (Fischen/37) und Christoph Brandner (Königssee/41) ins Ziel.
Soll ein siebter Platz plötzlich nichts mehr wert sein? Thomas Dreßen wirkte innerlich wieder so herrlich aufgeräumt, strahlte unglaubliche Zufriedenheit aus mit dem, was er da machen darf. Die Piste wunderbar präpariert, völlig freie Bahn, so schnell rasen wie man kann, da trägt einer wie Thomas Dreßen auf der schattigen Kandahar die Sonne im Herzen. Siebter. Zwei kleine Fehler nach dem Seilbahnsprung und bei der Anfahrt zum Freien Fall habe er unterwegs selber bemerkt, aber diese Strecke „ist ein finsteres Loch, da musst’ erst mal runterkommen“.
Unten tauchte er ein in ein Meer von Menschen, wie es die Kandahar selten gesehen hat. Keine 50 000 wie an der Streif, aber 8000 Zuschauer, so die offizielle Angabe, dürften auch nicht gereicht haben. Das „Gemma-Dreßen-schaun“-Motto trieb die Leute scharenweise in der Freiluft-Bühne am Kreuzeck. Der Anfang der Woche eiligst gegründete Fanklub aus Mittenwald hatte Plakate über die Tribüne gehängt, Stadionsprecher Andre Siems heizte kräftig ein, als um 12.12 Uhr mit Startnummer 13 der deutsche „Turbo-Thomas“ Fahrt aufnahm. Mittenwalds Bürgermeister Hornsteiner hatte seinem neuerdings berühmtesten Bürger schon nach Kitzbühel einen bajuwarischem Ritterschlag verpasst: „A Hund bist scho.“
Wie in Kitzbühel harrte Beat Feuz in der Leader-Box des Führenden, diesmal aber kam Dreßen nicht vorbei am Schweizer Kugelblitz aus dem Emmental, dem Mann der Stunde: Wengen 1., Kitzbühel 2., Garmisch 1. – Feuz schnappte sich damit auch die Führung im Abfahrtsweltcup, in dem Dreßen nun an vierter Stelle rangiert. Feuz hatte vor allem die untere Passage am „Freien Fall“ so fabelhaft gut erwischt wie kein anderer. „Besichtigt haben es viele so, aber letztlich ist es nur mir so geglückt“, freute sich Feuz.
Auch Sander vergab an dieser Stelle den längst mal fälligen Podestplatz, die vorletzte Zwischenzeit leuchtete noch grün (- 0,18 Vorsprung), Feuz unten erstarrte, im Ziel aber lag der Deutsche plötzlich 1,06 Sekunden zurück. Im Freien Fall am Podest vorbei. „Natürlich wäre es schön fürs Selbstvertrauen, wenn ich es mal von oben bis unten ins Ziel bringe“, sagte Sander. Was ihn aber beruhigt: „Der Speed ist da.“ In Kitzbühel (6. Platz), jetzt auf der Kandahar (11.). Die olympische Schussfahrt dürfte ihm wegen ihrer Kürze (ca. 1:40 Minuten) entgegenkommen, da ist das Rennen vorbei, ehe man unten Fehler machen kann.
Die Kollegen Ferstl (in Gröden) und Dreßen (Kitzbühel) haben ihren ersten Karrieresieg heuer schon eingefahren – und Sander? Hebt ihn sich für Olympia auf? „Das wäre natürlich eine Geschichte“, sagt er lachend. Die kurzen Slalom-Ski für einen Versuch in der Kombination schnallt er dafür aber nicht an.